Der die Träume hört. Selim Özdogan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Selim Özdogan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960542032
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Kelly, Wu-Tang, das Slim-Shady-Album war vor ein paar Monaten erschienen.

      Ich war raus, ich war getrennt von Rahel, aber ich war raus. Und ich freute mich so, wieder drin zu sein und dabei. Hier war ich nicht der, der immer das beste Gras am Start hatte, hier war ich nicht der, der nicht studierte, hier war ich nicht der, der nur Hip-Hop hörte und sich mit den anderen Sachen nicht auskannte. Hier war ich einfach Nizar, zusammen mit Jungs, die meinen Rücken hatten, wenn es Schwierigkeiten gab. Und es gab früher oder später immer Schwierigkeiten, wenn man mit diesen Jungs zusammen war.

      Ein paar Drinks, ein paar Joints, ein paar kleine Nasen und diese Musik, es ging mir gut. Irgendwann nach Mitternacht standen Kamber und ich vor den Toiletten, als sein Motorola klingelte, er ging ran, sagte einige Male Ja und dann: Bin gleich da.

      – Geschäfte, sagte er zu mir. Ich muss los, wir sehen uns.

      Wir umarmten uns, und erst nachdem er gegangen war, bändelte ich mit Ayleen an, Ayleen mit ihrer piepsigen Stimme und dem großen Hintern, den sie zur Musik bewegte. Am Ende der Nacht haben wir uns auf meinem Bett ausgezogen.

      Ich kann mich an keine Abschiedsszene erinnern oder daran, dass wir Telefonnummern ausgetauscht hätten. Siebzehn Jahre lang habe ich nicht mit ihr geredet, nur hin und wieder etwas über sie gehört. Ich war weg. Weit, weit weg in derselben Stadt.

      Und dann rief sie mich an und erzählte, dass wir einen gemeinsamen Sohn haben. Dass er bis vor kurzem geglaubt habe, ihr Mann sei sein Vater. Dass er die Schule schwänze, dass er nichts mehr erzähle, dass sie nicht wisse, mit wem er sich rumtrieb, dass er ständig Streit suche, vor allem mit seinem Stiefvater, dass sie Angst habe, dass einer von beiden gewalttätig werden würde, dass sie weder ein noch aus wisse und ihm deshalb die Wahrheit erzählt habe. Der Junge wisse nicht, wer er sei. Jemand müsse ihm helfen.

      Natürlich habe ich das nicht geglaubt. Das hättest du auch nicht. Ich habe geglaubt, sie denkt, ich sei reich geworden. Ich habe gedacht, sie sieht irgendeinen Vorteil für sich. Ich weiß, wo sie herkommt, natürlich habe ich ihr nicht geglaubt.

      Ich habe gedacht, ich hätte das irgendwie fühlen müssen, wenn ich einen Sohn habe. Ich war mir sicher, dass er nicht von mir ist. Erst das Testergebnis konnte mich überzeugen.

      Abstand zu Menschen. Aber näher dran, als einen Sohn zu haben, kann man kaum sein. Einen Sohn. Da stand er mir gegenüber. Schwarze Jeans, eng an den Waden, Nike-T-Shirt, die Jordan 33 an den Füßen, Irie-daily-Kappe. Er konnte seine Unsicherheit überspielen, besser als ich.

      – Sprich mit ihm, hatte Ayleen gesagt, es ist egal, was du sagst, wozu du ihm rätst. Ich will nur, dass er sich nicht mit Sami prügelt, dass es keine Gewalt gibt. Ich fand immer noch, dass er mir nicht ähnlich sah. Kein bisschen. Aber die Testergebnisse waren nicht gefälscht, so was hätte sie nicht hinbekommen. Er schien auch nicht so sehr nach Ayleen zu kommen, hatte nicht ihr rundes Gesicht, sondern ein hageres mit einem kantigen Kinn. Er sah gut aus, ich war mir sicher, dass jede Menge Mädchen und junge Frauen auf sein Aussehen reagierten.

      Als wir uns die Hand gaben, machte er eine lockere, ausholende Bewegung aus der Schulter heraus, als seien wir Freunde, die sich schon lange kennen.

      – Lesane, sagte er.

      – Nizar, sagte ich.

      – Warum treffen wir uns hier?

      – Ich wollte dort rein.

      Ich machte eine Kopfbewegung.

      – Da? Wieso?

      – Keine Ahnung. Neutraler Boden, dachte ich.

      – Ein Café für Blondie-Omas? Die sind ja alle fast tot.

      – Eben. Wir beide aber nicht. Lass uns reingehen.

      Er ist unpünktlich, hatte Ayleen gesagt, aber ich hatte nur zehn Minuten auf ihn gewartet. Und ich hatte nicht geraucht, obwohl ich das erste Mal seit Jahren wieder daran gedacht hatte.

      Als ich mich setzte, legte ich die Hände vor mir auf den Tisch. Verdammt, wie lange war das her, dass ich so nervös gewesen war? Wie schon oft in den letzten Tagen überlegte ich, wie ich in seinem Alter gewesen war. Wer war ich gewesen, als Regulate… G Funk Era erschien? Illmatic, Tical, Direkt aus Rödelheim, Murder Was the Case, Southernplayalisticadillacmuzik. Ich erinnerte mich an die Alben, ich erinnerte mich an die Freude, an die Stunden auf dem Platz, an die Möglichkeiten, die ich vor mir sah. Ich erinnerte mich, wie groß die Welt war und wie groß meine Träume. Aber ich erinnerte mich auch, wie ich mich in traurigen Zeilen wiedergefunden hatte, You don’t see what I see, every day as Warren G, you don’t hear what I hear but it’s so hard to live through these years. Wie viel Schmerz in der Freude und in den Möglichkeiten gewesen war. Ich erinnerte mich, wie ich mit Kamber Scheine gemacht hatte, um mir die neuen Jordans kaufen zu können, einen Spalding, eine PlayStation und was sonst nicht noch alles wichtig gewesen war.

      – Komische Nummer von deiner Mutter, das so lange zu verschweigen, sagte ich.

      – Und die versucht mir beizubringen, nicht zu lügen, sagte er. Die Bedienung kam, ich bestellte einen Kaffee und Lesane eine Cola, nachdem er zunächst nach einem Energydrink gefragt hatte.

      Ich wusste nicht, was ich als Nächstes sagen sollte. Vielleicht weiß man das nie. So lange hatte ich es geschafft, nicht verwickelt zu werden, und jetzt war ich mittendrin.

      – Was machst du eigentlich so? Ayleen hat gesagt, ich soll selber fragen.

      – Ich bin Detektiv.

      – Detektiv?

      Ich sah, wie ich in seiner Achtung sank.

      – Ja.

      – So Ladendetektiv?

      Ich schüttelte den Kopf. Seine Hände sahen meinen ähnlich, doch. Und an den Knöcheln keine Zeichen von Prügeleien. Seine Körperhaltung und seine Bewegungen verrieten, dass er sich viel bewegte.

      – Privatdetektiv.

      Er sah mich ungläubig an.

      – So hollywoodmäßig, oder was?

      – Leute kommen zu mir, wenn die Bullen ihnen nicht weiterhelfen können.

      – Du bist also so me…

      Er schluckte das Wort runter, was immer es gewesen war, das er hatte sagen wollen. Ich sah ihn an. Siebzehn. Ich atmete ein. Ich atmete aus. Es musste einen Weg zu ihm geben. Einen direkten, kurzen, ehrlichen. Ich sah seine Ablehnung.

      – Schau, Lesane, ich bin etwas nervös. Das passiert nicht alle Tage, dass man seinen fast erwachsenen Sohn kennenlernt. Und wenn ich du wäre, würde ich es auch scheiße finden, dass mein Vater so etwas Ähnliches ist wie ein Mietbulle. Auf jeden Fall.

      Keine Regung.

      – Ich bin noch nicht so lange in diesem Job. Ich habe viele verschiedene Sachen gemacht. Eine Zeit lang war ich Personal Trainer, für so reiche Leute, die es nicht schaffen, sich selbst zum Training zu motivieren. Die kein Buch in die Hand nehmen, nicht selber lesen wollen, die gelobt und gehätschelt werden wollen und die dich dafür bezahlen, dir auf den Sack zu gehen. Ich habe gut Geld damit verdient. Achtzig Euro die Stunde.

      Ich erkannte die Andeutung eines geringschätzigen Lächelns.

      – Irgendwann habe ich diese Leute nicht mehr ertragen, redete ich weiter. Eine Zeit lang habe ich dann einen Kiosk betrieben. Da haben die Kunden nicht das Gefühl, sie könnten dich kaufen für ihr Geld. Ich dachte, mit der Verkaufstheke als Abstandhalter würde es für mich leichter werden, freundlich zu sein zu den Leuten. Aber das stimmte leider nicht. Nach fünf Jahren auf vierzehn Quadratmetern habe ich als Detektiv angefangen. Detektiv ist kein geschützter Beruf, das kann jeder werden, du bist einfach nur ein Gewerbetreibender. Und ich bin Internetdetektiv, das heißt, ich brauche mich nicht direkt mit den Menschen auseinanderzusetzen.

      – Internetdetektiv?, fragte er.

      – Menschen wollen wissen, ob ihre neue Facebookbekanntschaft vielleicht ein Scammer ist.

      Er