Peter Turrini
C’est la vie
Peter Turrini
C’est la vie
Ein Lebens-Lauf
Mit Fotos von Moritz Schell und einem Nachwort von Silke Hassler
Der Abdruck der Gedichte erfolgt mit freundlicher Genehmigung des
Suhrkamp Verlages, Berlin. Alle Rechte vorbehalten.
Die Theaterrechte liegen beim Thomas Sessler Verlag, Wien.
Nachwort: © Silke Hassler
Gefördert durch das Land Niederösterreich
Besuchen Sie uns im Internet unter: www.amalthea.at
© 2014 by Amalthea Signum Verlag, Wien
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Elisabeth Pirker, OFFBEAT
Fotos: Moritz Schell
Herstellung und Satz: Gabi Adébisi-Schuster
Gesetzt aus der Capita
Printed in the EU
ISBN 978-3-85002-895-0
eISBN 978-3-902998-16-3
Inhalt
Die menschliche Tragödie als österreichische Komödie Ein Nachwort von Silke Hassler
1.
Wenn man auf die Welt kommt, weiß man nicht, ob man glücklich oder unglücklich wird.
2.
Ich wurde am 26. September 1944 im Krankenhaus Wolfsberg im kärntnerischen Lavanttal geboren. Meine Mutter sagte mir später, meine Geburt hätte im Morgengrauen dieses Tages stattgefunden, um 6 Uhr früh. Im Register des Krankenhauses ist meine Geburtszeit mit 10 Uhr vormittags angegeben. Den damaligen Primarius des Spitals, den ich zu diesem Widerspruch befragen wollte, konnte ich nicht auffinden. Ich selbst bin mir ziemlich sicher, daß meine Geburt um Mitternacht stattgefunden hat. Eine Tante aus Judenburg behauptete, meine Mutter hätte ihr meine Geburt schriftlich mitgeteilt, und da sei von 1 Uhr mittags als Geburtszeit die Rede gewesen. Der Brief ist allerdings verloren gegangen. Mein Vater wiederum sagte, er sei an diesem Tage mit dem Zug von Klagenfurt nach Wolfsberg gefahren, der Zug sei unterwegs von amerikanischen Tieffliegern angegriffen worden, weshalb er, mein Vater, erst um ca. 5 Uhr nachmittags im Krankenhaus eintraf. Zu diesem Zeitpunkt sei ich höchstens zwei Stunden alt gewesen, wäre also frühestens nachmittags auf die Welt gekommen. Aus all diesen Dingen entnehme ich, daß sich nicht einmal der Anfang meines Lebens verifizieren läßt.
3.
Der Montag ist so traurig,
der Dienstag ist verweht,
der Mittwoch ist gar schaurig,
der Donnerstag vergeht.
Am Freitag rinnt der Regen bis in das Herz hinein,
ich glaub, ich laß das Leben
am besten sein.
Am Samstag muß ich sterben,
ich werde nicht vermißt,
am schönsten ist das Leben,
wenn es vorüber ist.
4.
Als Kind hatte ich eine schwere Krankheit, eine lebensgefährliche Krankheit, eine Vergiftung. Ich hatte vergiftete Milch zu trinken bekommen. Das geschah in den letzten Kriegsmonaten häufig, viele Kinder starben daran. Ich kam ins Spital und magerte immer mehr ab, sie legten mich schon in die Totenkammer. Sechs Wochen lang konnten mich meine Eltern nicht besuchen, sie waren ausgebombt und versuchten ein Quartier zu finden. Als mich meine Mutter wieder besuchte, war ich dick und fett und lachte sie an. Ich habe immer das Gefühl, daß ich damals gestorben bin und mich seitdem lächelnd erfinde.
5.
Ich will Weltmeister im Skifliegen werden, lasse diesen Plan jedoch fallen, weil er meine Ernennung zum Papst unmöglich macht. Ich sehe mich als Revolutionär an der Seite von berühmten Revolutionären, kann und will mich jedoch ideologisch nicht festlegen. Ich plane Banküberfälle, möchte mich mit Südseemädchen unter Palmen wiegen, und dann überlege ich mir, ob ich nicht ein Mönchsdasein führen sollte. Ich möchte ein Mörder sein, ein von Interpol gesuchter Killer, verspreche mir jedoch von der Rolle eines internationalen Friedensstifters eine noch größere Beachtung.
6.
Ich saß
auf der Holzstiege
vor unserem alten Haus.
Hinter mir
die Werkstätte
meines Vaters.
Vor mir
der Spielplatz
mit den Kindern.
Ich hatte die Wahl
zwischen dem Schweigen
meines Vaters
und dem Spott
der Kinder.
Ich entschloß mich
sitzen zu bleiben
und zu phantasieren.
7.
Meine Mutter erzählte uns Buben vor dem Einschlafen Geschichten, denen eines gemeinsam war: In ihnen herrschte Gerechtigkeit, wurde Aggressivität bestraft und Gutsein belobigt, gute Taten, auch wenn sie im Verborgenen blühten, bekamen ihren gerechten Lohn, und schlechte Taten, selbst der geheimste Diebstahl, wurden früher oder später entdeckt. Meine Mutter hatte die Fähigkeit, die Dramaturgie der Geschichten zu kürzen oder zu strecken, je nachdem ob wir müde waren oder munter. Die Moral der Geschichte, Strafe oder Lob, stellte sich früher oder später ein, sie kam unausbleiblich. Die Gerechtigkeit hatte etwas Selbstverständliches und gleichzeitig Überirdisches. Sie traf ein wie ein Naturgesetz, die Menschen mochten sich verhalten, wie sie wollten, es kam der Moment des Gerichts und des Einschlafens.
8.
Mein älterer Bruder
schlief auf einem Notbett
hinter einer Bretterwand.
Mein jüngerer Bruder und ich
schliefen mit den Eltern
in einem Raum.