Gerhard Tötschinger
Gerhard Tötschinger
MÖRDERISCHES VENEDIG
Die dunkle Seite der Serenissima
Mit 63 Abbildungen,
Glossar und ausführlichem Register
AMALTHEA
Bildnachweis: Roberto De Nart (21), Madeleine Pichler (25, 61, 62, 111, 186), DEA/United Archives/picturedesk.com (37), Didier Descouens (51, 91, 185), Pier Luigi T. (63), Giovanni Dall’Orto (73, 126 beide), Sailko (97), Berthold Werner (101), Gerig, Uwe/Action Press/picturedesk.com (114), Bildarchiv Foto Marburg/Walter Hotz (125), Warburg (133), AKG-images/picturedesk.com (161, 163), Tony Hisgett (196), Privatarchiv des Autors, Archiv des Amalthea Verlages
Die Abbildungen auf den Seiten 135, 136 und 137 stammen aus: E. T. A. Hoffmann: Doge und Dogaressa. Mit Original-Lithographien von Ernst Huber. Verlag Paul Knepler, Wallishaussersche Buchhandlung, Wien, o. J.
Der Verlag hat alle Rechte abgeklärt. Konnten in einzelnen Fällen die Rechteinhaber der reproduzierten Bilder nicht ausfindig gemacht werden, bitten wir, dem Verlag bestehende Ansprüche zu melden.
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© 2014 by Amalthea Signum Verlag, Wien
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Elisabeth Pirker, OFFBEAT
Umschlagmotive: San Giorgio Maggiore © iStock.com
Herstellung und Satz: Franz Hanns
Gesetzt aus der Adobe Garamond 11,5 auf 15,5 pt
Printed in the EU
ISBN 978-3-85002-882-0
eISBN 978-3-902998-02-6
Vorwort
Das Titelbild dieses Buches lässt an Wenn die Gondeln Trauer tragen denken, einen Film nach Daphne du Mauriers Kurzgeschichte Dreh dich nicht um. Das ist keine schlechte Assoziation, so ist es gemeint.
Oft sind die Täter und Mittäter keine Venezianer, ja nicht einmal unbedingt Italiener. Natürlich gibt es in Italien eine umfangreiche Kriminalstatistik – zahlreiche spektakuläre Morde in allen Regionen, die zum guten Teil auf die Konten der ’Ndrangheta, der Mafia, der Cosa Nostra, der Camorra gehen.
Aber auch Eifersuchtsmorde sind zu verzeichnen, und eben immer wieder Taten, die von Ausländern begangen werden. Das trifft ganz besonders auf Venedig zu.
Auf diesen Seiten werden sich etliche Mordfälle finden, in denen Venezianer keine Rolle spielen. Die Mörder kamen immer wieder von außerhalb, aus Rom, aus Russland.
Die permanente Fluktuation von Fremden, seit Jahrhunderten, hat ihre Folgen.
Selbst ein Mordfall im gar nicht so nahen San Stino di Livenza, immerhin sechzig Kilometer von der Lagune entfernt, firmiert unter »in der Nähe von Venedig« oder »in einem Straßengraben bei Venedig«. Dort fand man die Leiche von Carmen Wieser, einer Osttirolerin, die von dem LKW-Fahrer Frank Thäder aus Sachsen-Anhalt vergewaltigt und ermordet worden war.
Oder der Fall der Cesarina Boscaro, sie kam 1908 in Vicenza zur Welt, aber ihr Schicksal vollzog sich in Venedig. Sie hatte 1929 einen Sohn zur Welt gebracht, ohne verheiratet zu sein. Das war damals noch ein gewaltiger Skandal. So übersiedelte sie nach Padua, arbeitete in einem Hotel und verdiente genug für sich und ihr Kind. Da lernte sie einen Handelsreisenden aus Prato kennen – der sich als verheiratet erwies. Schließlich verliebte sie sich in einen städtischen Beamten aus Venedig, lebte mit ihm zusammen und war endlich einmal glücklich. Das Paar plante den Hochzeitstermin, wieder einmal, sie hatten ihn schon zweimal verschoben. Da hörte Cesarina von den Nachbarn, dass ihr Bräutigam offenbar eine zweite Braut hatte. Nach einer heftigen Aussprache trennte er sich von Braut 1 und wandte sich endgültig Braut 2 zu, kurz danach heiratete er sie, ein fünfundzwanzigjähriges Mädchen.
Cesarina war schon seit Monaten vor Eifersucht krank und nun endgültig verzweifelt und tatsächlich halb irr. Sie hoffte immer noch und drängte den Untreuen zu immer neuen Aussprachen – und bei solch einer Gelegenheit nahm sie eine Pistole mit. Im Teatro Goldoni hatten sie ihre Verabredung, der frühere Bräutigam wollte nichts von ihr wissen und verschwand in der Menschenmenge.
Cesarina Boscaro schoss – und traf seine Ehefrau, tödlich. Das Gericht anerkannte die Umstände und die offen ausgebrochene Geisteskrankheit der Angeklagten, und so wurde sie 1952 nur zu achtzehn Jahren Gefängnis verurteilt.
Solche Geschichten findet man bei genauer Lektüre der Zeitungen, des Gazzettino und der Gazzetta di Venezia. Manche Fälle aber sind so geheimnisvoll, dass sie eher ins Reich der Sagen und Märchen gehören.
Dieses Reich der Sagen wurde durch eine unüberschaubare Zahl von fantasievollen Autoren erweitert. In Venedig lässt man einfach gern morden – da kommen andere, nicht minder geheimnisvolle Städte nicht mit, wie Prag im 19. Jahrhundert, Paris und Rom im späten Mittelalter, das London von Sherlock Holmes und Jack the Ripper, das mafiafrohe Palermo.
Das Angebot an tatsächlichen Untaten ist zwar an allen diesen Orten groß, doch dem Venedig der Fantasie kommt nichts gleich, da drängen sich Nicolas Remin, Richard Dübell, Daphne du Maurier, Juan Manuel de Prada, natürlich in der ersten Reihe Donna Leon – und viele andere.
Dieses Ineinander, Miteinander von Fantasie und manchmal Realität hat seine Vorfahren in den Bocche di Leone, den steinernen Aufforderungen zu anonymen Anzeigen. Man steckte sein Brieflein einem dieser Löwenköpfe ins Maul, dahinter lauerte schon ein Agent. Hatte der Angezeigte Pech, so wurde dieser anonymen Meldung mehr geglaubt als der eigenen Aussage. Das konnte im Venedig des Rats der Zehn schwere Folgen haben. Man landete im Gefängnis, ohne Anklage, ohne Möglichkeit der Verteidigung, ohne Anwalt, ohne einen Horizont in der Zukunft.
Und hatte man ganz besonderes Pech, so erlebte man seine letzten Lebensmomente zwischen den Säulen auf der Piazzetta, zwischen San Marco und San Teodoro, in Venexian San Todaro. Denn hier wurde hingerichtet, der Delinquent hatte den Molo im Rücken und den Uhrturm vor Augen. So machte man ihm seine letzten Minuten noch mehr bewusst, und so lebt noch heute die venezianische Redensart »Varda che te fasso veder che ora che xe« – flott übersetzt aus dem Venezianischen – ich werde dir schon zeigen, wie viel es geschlagen hat!
Der geborene wie der gelernte Venezianer geht um die beiden Säulen herum, niemals zwischen ihnen durch – denn da droht Gefahr. War ein Delinquent schon fast dem Blick zur Torre dell’Orologio ausgesetzt, so hatte er noch eine allerletzte Chance: um eine ganz bestimmte Säule des Dogenpalastes herumgehen, mit Blick zur Säule hin, aber nur auf der schmalen Basis – gelang das, so war man gerettet. Es ist niemals gelungen.
Wenn jemandem die beiden einzigen Säulen im ersten Stock des Palazzo Ducale aus rötlichem Stein auffallen, ist er auf den Spuren der Justiz – von hier wurden die Todesurteile verkündet.
Ein Bereich, in dem es um viele Mordtaten gehen könnte, wird auf den folgenden Seiten keine Erwähnung finden. Er passt nicht zwischen frivole Polizeiakten und Sagen, er ist zu real und zu tragisch. Das Ghetto erlebte eine jahrhundertelange Geschichte, es gilt als das älteste der Welt. Zwar hatten die venezianischen Juden auch immer wieder unter Repressalien zu leiden, aber gerade in den Jahren des Faschismus und Mussolinis war das nur wenig der Fall. Doch 1943 änderte sich die politische Lage mit der Republik von Salò, die deutsche Armee übernahm das Kommando, die Menschen waren nun schweren Lebensbedingungen ausgesetzt. Die Bewohner des Ghettos von Venedig wurden deportiert, wurden ermordet.
Unaufgeklärt sind immer wieder Bluttaten auch der jüngeren Vergangenheit, zum Beispiel der Kochtopf-Mord, der hier bald folgt.
Ich bin überhaupt durch einen