»Ach nein, daran denkt Nils doch längst nicht mehr«, behauptete Beate, als Bertold eine Bemerkung dazu machte. Das war in der letzten Stunde vor seiner Weiterreise. Bertold wollte noch kurz nach Amrum, wo er mit Ingeborg und Uli so manchen Urlaub verbracht hatte, bevor die große Erbschaft gekommen war und sich das Leben für die Baslers grundlegend verändert hatte.
»Weiß Ingeborg, daß du nach Amrum willst?« fragte Beate. »Es wird sie sonderbar berühren, ist es doch gerade so, als wolltest du Erinnerungen wiederaufleben lassen.«
»Nein, ich habe ihr nur gesagt, daß ich zu euch wollte. Alles andere, was ich tue und lasse, interessiert sie auch nicht weiter.«
»Vielleicht gibt sie das nur vor, Bertold. Wenn du Ingeborg wiederhaben möchtest, mußt du viel Geduld haben.«
»Und wenn es sich nicht mehr kitten läßt, was einmal zerbrochen ist?« sagte der Mann düster.
Beate sah ihn aufmerksam an. »Eure Ehe hatte schon einmal einen Riß«, sprach sie langsam, »damals lag es an Ingeborg. Ihr fandet wieder zueinander. Warum sollte es diesmal nicht auch so gehen?«
»Aber sie ist nicht mehr allein, sie hat einen Freund«, murmelte Bertold. Da legte ihm Beate die Hand leicht auf den Arm.
»Ich glaube nicht, trotz allem, daß der ihr soviel gilt wie der Mann, mit dem sie lange verheiratet war – und noch ist. Du wirst sie wiedersehen in wenigen Tagen, sagtest du. Es könnte sein, daß ihr inzwischen auch einiges durch den Kopf gegangen ist…«
So war es in der Tat.
Sie hatte Jens Mertens erzählt, daß ihr Mann sie besucht hatte, und er hatte ihr vorgehalten, daß sie wohl doch an ihrer Ehe festhalten wollte. So sicher sei das keineswegs, hatte sie geantwortet.
Aber sie war wankend geworden, und der andere spürte das.
»Ich habe keine Lust, mich länger hinhalten zu lassen«, erklärte er brüsk. »Du weißt nicht, was du willst, Ingeborg.«
»Ich habe dich nicht hingehalten«, verteidigte sie sich. »Ich habe dich nicht im unklaren darüber gelassen, daß ich nicht daran dachte, aus unserer Beziehung eine Lebensgemeinschaft zu machen.«
Jens Mertens preßte die Lippen zusammen. Dann sagte er: »Irgendwann, so dachte ich, würdest du doch noch anderen Sinnes werden. Jetzt glaube ich nicht mehr daran. Darum ist es wohl besser, wir ziehen einen Schlußstrich.«
»Ja, Jens.« Ingeborg nickte ernst. »Ich weiß, daß du wieder eine Frau in deinem Haus haben möchtest, und ich verstehe das auch sehr gut. Ich will dem nicht länger im Wege stehen. Du sollst dich frei fühlen.«
So waren sie auseinandergegangen, zwei Menschen, die Liebe gesucht hatten, aber nicht füreinander bestimmt gewesen waren.
Und nun war Bertold wieder da, für ein paar Stunden nur, am Sonntag gegen Mittag kam er.
»Du warst auf der Insel?« sagte Ingeborg verwundert. »Hat sich das denn gelohnt für die kurze Zeit?«
Bertold blickte versonnen. »Ich bin die Wege gegangen, die wir so gut gekannt haben. Dort hat sich nichts verändert. Ich habe in unserer Pension übernachtet. Die Wirtsleute haben nach dir gefragt, und nach Uli.«
»So. Hast du gesagt, daß wir seit langem getrennt leben?«
»Nein, das habe ich nicht gesagt. Es geht sie schließlich nichts an. Und es könnte ja sein, daß sich das einmal wieder ändert und wir mal zusammen hinfahren.«
»Das glaubst du?«
Sie sah ihrem Sohn nach, der sich, mit fast behutsamen Schritten, die Schultern etwas hochgezogen, in sein Zimmer verzog.
»Ich möchte es so gern glauben, Ingeborg. Ich habe viel über uns nachgedacht, und ich meine, wir könnten einen Neuanfang finden, wenn wir beide guten Willens sind.« Dabei sah er ihr tief und ernst in die Augen.
»Ich habe auch nachgedacht«, sagte sie langsam, und diesmal wich sie seinem Blick nicht aus. Bertolds Züge spannten sich, er wartete darauf, daß sie fortfahren sollte.
»Und?« fragte er endlich, als nichts weiter kam, »zu welchem Schluß bist du gekommen?«
Um ihren Mund zuckte es, wie von einem seltsamen Lächeln. »Daß wir es ja versuchen könnten«, sagte sie.
Er konnte zum Mittagessen bleiben, es war genug da, sie brauchten nicht auszugehen. Uli saß zwischen ihnen, er beobachtete seine Eltern verstohlen. Etwas hatte sich geändert, eine große Hoffnung zog in sein Herz.
Als sein Vater sich später verabschiedete, sagte die Mutter: »Uli braucht nicht mit dem Zug zu fahren, wenn er das nächste Mal zu dir will. Wir nehmen den Wagen, ich komme mit.«
Da wußte der Junge, daß seine Hoffnung nicht unerfüllt bleiben würde. Seine Eltern gingen den Weg der Versöhnung, und eines Tages würden sie wieder eine Familie sein.
*
Beate begegnete Dr. Clemens Fabricius an einem Samstagnachmittag in der Innenstadt, wo sie ein paar Einkäufe gemacht hatte. Erfreut über diese zufällige Begegnung begrüßten sie sich. Auch er hatte eine Tragetüte mit dem Aufdruck eines Kaufhauses in der Hand.
»Ein Geburtstagsgeschenk für Frau Scholl«, bemerkte er. »Etwas Persönliches soll doch für die treue Seele auch dabei sein.«
»Und das besorgen Sie?« lächelte Beate erstaunt.
»Ja, meine Frau ist nicht da, sie ist wieder in ihrem Haus bei Nizza. Dort ist der Frühling schon eingekehrt, während es hier noch tiefster Winter ist. – Wie geht es Silvie?«
»Sie wächst und gedeiht und ist unser aller Sonnenschein«, antwortete Beate froh.
Sie bewegten sich fort von dem Menschengetümmel in der Einkaufsstraße zu einer ruhigeren Seitenstraße hin. Eine seltsame Verbundenheit war zwischen ihnen, als sie so langsamen Schrittes nebeneinander hergingen.
Beate mußte daran denken, wie ihr Kopf einmal an der Schulter dieses Mannes gelegen hatte, als eine ungeheure Nervenanspannung sich in Tränen der Erleichterung gelöst hatte. Sie würde das nie vergessen. Deshalb war er ihr auch so nahe.
»Unsere beiden Großen«, sagte Clemens Fabricius nach einem kleinen Schweigen, »scheinen sich ja sehr gut zu verstehen. Sandra möchte nie mehr fort von Hamburg. Nicht zuletzt wegen Felix, glaube ich.«
Beate lächelte leise. »Er erzählt mir immer von ihr, wenn er sie getroffen hat. Sandra ist ihm fast wichtiger geworden als seine Freunde.«
Vor einem Café blieb der Mann stehen.
»Hätten Sie noch Zeit, eine Tasse Kaffee mit mir zu trinken, Frau Eckert?« Sie sahen sich an. In beider Augen lag der Wunsch, dieses Zusammensein noch ein wenig zu verlängern.
»Ich habe wieder einen Auftrag für eine Übersetzung angenommen«, erzählte Beate, als sie sich an einem der kleinen runden Tische gegenübersaßen. »Es sind Kurzgeschichten von einem englischen Autor.«
»Finden Sie denn die Zeit dafür, mit Haushalt und Familie?«
»Ich nehme sie mir, wenn Silvie im Kindergarten ist und meine beiden Männer fort sind. Eine geistige Betätigung ab und zu tut den kleinen grauen Zellen gut«, schloß sie scherzhaft.
»Werde ich ein Exemplar davon bekommen?« fragte Clemens.
»Das erste«, versprach Beate heiter. »Aber es wird noch dauern, bis es erscheint.«
So plauderten sie, und eine halbe Stunde war schnell vergangen. »Soll ich Sie nach Hause bringen?« schlug Beates Begleiter vor. »Ich habe den Wagen in der Tiefgarage.«
»Nein, danke, ich nehme die
U-Bahn. Auf Wiedersehen, Herr Dr. Fabricius.«
»Auf Wiedersehen.« Fest umschloß er ihre schmale Hand. »Es war mir eine Freude, Sie getroffen zu haben.«
Das war mehr als eine höfliche