Was war aus der einst so gutaussehenden Freundin geworden! Über die Jahre hinaus gealtert erschien sie ihr, und sie hatte, seltsamerweise, eher noch einige Pfunde zugenommen. Wahrscheinlich hatte sie zuwenig Bewegung.
Ihre Tätigkeit bei Dr. Harmsen hatte sie aufgegeben, um einer Stellungssuchenden Platz zu machen, die Geldverdienen nötig hatte.
»Du solltest dein Leben radikal ändern«, riet ihr Nils. »Zieh aus deiner alten Wohnung aus und richte dich vollkommen neu ein, so wie es deinen jetzigen Verhältnissen entspricht. Du bist doch nun eine reiche Frau. Wenn Bertold in
einer Luxusvilla wohnt, brauchst du nicht in einer bürgerlichen
Dreizimmerwohnung zu versauern.«
»Nein, ich bleibe vorläufig da wohnen«, widersprach Ingeborg mit starrer Miene. »Vielleicht –« Sie vollendete den Satz nicht, aber die Freunde wußten, was sie meinte. Ein Funken Hoffnung war doch noch in ihr, daß der Mann zurückkommen könnte.
Nils zuckte nur die Achseln, Beate war voller Mitgefühl. Es war sicher noch zu früh für sie zu handeln. Auch sie, Beate, wollte doch an eine Umkehr glauben. Man mußte die Zeit für sich arbeiten lassen.
Der Meinung waren auch Ingeborgs Schwiegereltern, die sich auf die Seite der Verlassenen gestellt hatten. Sie entrüsteten sich über den Sohn, den sie stets für den solidesten Ehemann gehalten hatten und dem plötzlich die eigene Frau nicht mehr gut genug war.
»Was haben wir nun von der Riesenerbschaft, eigentlich gar nix«, sagte Uli verdrossen zu dem zwei Jahre jüngeren Felix. »Meine Mutter hat unseren Anteil einem Vermögensverwalter übergeben, statt ordentlich was damit anzufangen. Es ist stinklangweilig bei uns.«
»Sie ist traurig, das mußt du verstehen«, meinte Felix altklug. »Und du brauchst dich doch nicht zu beklagen, wo du schon so eine tolle Flugreise gemacht hast. Ich denke, in den Sommerferien fliegst du schon wieder hin? Da wird dir doch nicht langweilig.«
»Ja.« Uli blickte zum Himmel, als sähe er sich dort schon im Flieger. »Nur, genau, wie das dort wird, weiß ich noch nicht«, fügte er zögernd hinzu.
*
Sie ließ ihn fort, den Sohn, als es soweit war. Halten konnte sie ihn doch nicht. Die vier Wochen ohne ihn mußten herumgebracht werden.
Ingeborg blieb ein paar Tage bei den Schwiegereltern, dann fuhr sie gen Norden, nicht ohne bei den Hamburgern Station zu machen.
»Nach Amrum willst du«, äußerte Beate bedenklich. »Wirst du dich da nicht doppelt einsam fühlen, wo ihr schon mehrmals gemeinsam Ferien verbracht habt? Fahr lieber woanders hin.«
»Ich gehe nicht in die Pension, sondern in das beste Hotel auf der Insel. Vorher werde ich mir hier noch ein paar schicke Sachen kaufen, soweit es die für meine Größe überhaupt gibt.«
»Ich besuch dich da mal mit Papa«, sagte Felix schnell. »Wir wollen sowieso ein paar Fahrten machen. Mama kann ja nicht weg, wegen Silvie.«
»Was hörst du denn aus Florida?« erkundigte sich Beate, um von dem Thema abzulenken. Nils erlebte das zum ersten Mal, wie viele Zeit und Zuwendung ein Baby bedurfte. Wohl oder übel nahm er es hin, manchmal mit kaum unterdrückter Ungeduld. Das Glück, das eine junge Mutter dabei empfand, konnte der Mann nicht nachvollziehen.
»Nur, daß Uli gut angekommen ist, hat man mir mitgeteilt«, antwortete Ingeborg auf ihre Frage und wandte sich ab.
Das beste Hotel mit perfekten Service und die neuen Kleider vermochten es auch nicht, Ingeborg die sich endlos dahinziehenden Tage zu versüßen. Es waren nur Ehepaare und Familien hier. Sie suchte und fand keinen Anschluß.
Früher wäre ich nicht allein geblieben, dachte sie manchmal. Da hatte sie sich oft nach Abwechslung und einem bunteren Leben gesehnt. Jetzt schien ihr alles null und nichtig geworden zu sein.
Sie fuhr früher als geplant wieder nach Hause, um sich in ihrer Wohnung zu verkriechen. Dann kam der Tag, an dem sie Uli vom Flughafen abholen konnte. Er sah gut aus, nicht mehr ganz so schmal durch das rasche Wachstum der letzten beiden Jahre. Seine Schultern schienen breiter geworden zu sein. Es fiel ihr jetzt erst auf. Er war auf dem Wege, vom Knaben zum Jüngling zu reifen.
»Das waren die schönsten Ferien meines Lebens«, erzählte er. »Mein Vater hat mir viel gezeigt. Ich kenne jetzt schon viel von dem Land, bis nach Mexiko hin. Nur schade, daß du nicht dabei warst.«
»Ich«, sagte Ingeborg, und die Zunge schien ihr schwer im Munde zu liegen, »wäre dabei wohl völlig überflüssig gewesen.«
Er sah sie an, auch sein Blick war nicht mehr kindlich, sondern eher wissend. »Wir waren die meiste Zeit allein, falls du etwas anderes denkst, Mutti. Ja, Papa lebt allein in Steven-House.«
»Sie – wohnt nicht bei ihm?« fragte Ingeborg stockend.
»Nein. Sie will es wohl nicht. Als ich ihn gefragt habe, was denn nun wäre, hat er gesagt, sie wollte ihre eigene Wohnung behalten. Sie kommt nur manchmal. So ist sie ja ganz nett. Gwendolyn heißt sie. Aber ich glaub’ nicht, daß mein Vater froh ist über das, was er mit uns gemacht hat.« Er faßte nach der Hand seiner Mutter. »Jetzt bin ich erst mal wieder bei dir, Mutti, und ich laß dich auch nicht mehr so lang allein.«
»Hauptsache, du hast es schön gehabt«, sagte Ingeborg gepreßt. Viele Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf.
»Ja, schon«, gab Ulli zu. »Aber besser wäre es, wenn wir doch zusammen wären, und nicht er dort und wir hier.«
*
Mit einem ernsten, klaren Blick hatte Gwendolyn ihn angesehen, damals, als seine Familie wieder abgeflogen war.
»Deine Frau war bei mir«, sagte sie. »Ich weiß nicht, ob sie es dir erzählt hat.«
»Ja. Und sie hat die Dinge wohl etwas anders dargestellt, als ich es getan habe«, antwortete Bertold.
»Allerdings. Und wo liegt nun die Wahrheit?«
»Die Wahrheit ist, daß ich dich liebe, Gwen«, sprach Bertold eindringlich. »Ingeborg kann mich nicht mehr halten, auch wenn sie das möchte. Es macht doch keinen Sinn, mit dir über meine Ehe zu diskutieren. Sie ist – wie ein ausgeleiertes Band, das nicht mehr faßt.«
»Für deine Frau aber anscheinend nicht«, warf Gwendolyn ein.
»Ich habe mich von ihr getrennt, Gwendolyn, Liebe. Du bist die Frau, mit der ich leben und glücklich sein möchte.«
So hatte er um sie geworben, die er schon für sich gewonnen zu haben glaubte. Aber sie wollte ihre Eigenständigkeit nicht aufgeben. Sie blieb immer nur Gast in Steven-House, auch wenn es dort glückliche Stunden für sie gab. Sie tummelten sich am Pool, sie kochte etwas für sie beide und tranken Wein dazu, sie küßten und umarmten sich.
Doch sie zog sich immer wieder zurück, behielt gewissermaßen ihre eigene Welt. Damit würde er sich abfinden müssen.
*
»Ich werde das Angebot annehmen«, sagte Dr. Clemens Fabricius zu seiner Frau. Er hatte einen entschlossenen Zug um den Mund. »Bitte, habe Verständnis dafür, Bianca.«
»Warum muß es denn ausgerechnet Hamburg sein?« begehrte sie auf und warf mit einer nervösen Geste das volle rotblonde Haar zurück. »Mich zieht es nicht in diese Stadt. Wenn ich früher ein Konzert dort gab, erschien mir Hamburg immer als eine kalte graue Stadt.«
»Aber das stimmt doch gar nicht. Wenn du erst da lebst, wirst du sie mit anderen Augen betrachten. Es ist eine schöne, weltoffene Stadt, in der man sich durchaus wohl fühlen kann. Bianca!« Er trat einen Schritt auf sie zu und legte die Hand auf ihren Arm. »Jetzt geht es vor allem darum, daß ich wieder in Ruhe arbeiten kann. Du weißt, daß mir die Zustände in der Rosenberg-Klinik allmählich unerträglich geworden sind, seit dieser neue Chef da ist, der weniger Erfahrung hat als ich und dennoch alles besser wissen will. Mit diesem arroganten Typ will ich nichts mehr zu tun haben, außerdem nehmen die Intrigen in der Kollegenschaft