»Ich bin in Nizza in Behandlung«, sagte sie tonlos.
»In Nizza, so«, erwiderte Clemens erbittert. »Und Sandra und ich, wir warten und warten auf ein Lebenszeichen von dir. Dein Schweigen ist uns völlig unverständlich.«
»Mach mir bitte nicht noch Vorwürfe. Ich bin geschlagen genug.«
Er räusperte sich. Mühsam beherrscht, sagte er in verändertem Ton: »Bianca, soll ich kommen? Freitag ist mein letzter Arbeitstag vor dem Urlaub. Am Sonntag könnte ich bei dir sein, vorausgesetzt, es ist dir recht. Ich weiß ja nicht, was in dir vorgeht…«
»Was geht in einer Frau vor, der die Musik alles war und die sie wahrscheinlich aufgeben muß«, gab Bianca Fabrizius in demselben matten, resignierten Ton zurück.
»Alles?« betonte ihr Mann fragend. »Existiert wirklich nichts anderes mehr für dich auf der Welt?«
Ein Schweigen trat zwischen sie, in dem viel Ungesagtes lag. Dann sagte Bianca leise: »Ich erwarte dich also mit Sandra. Adieu, Clemens.«
Seine Kleine hatte vor der geschlossenen Tür auf ihn gewartet.
»Wir fahren am Sonntag zur Mama nach Südfrankreich, Sandra.«
Ein heller Glanz flog über ihr Gesichtchen. »Hast du mit ihr telefoniert? Hat Mama endlich Zeit für uns, muß sie nicht mehr spielen?«
»Nein. Sie wird jetzt viel Zeit für uns haben«, antwortete er.
»Aber warum freust du dich denn gar nicht, Papa, warum guckst du denn so ernst?« wunderte sich Sandra.
Clemens sah beiseite. »Die Mama hat sich das Handgelenk gebrochen.«
»Oh!« Das Kind erschrak und legte die Finger an den Mund. »Ist das was ganz Schlimmes, tut das sehr weh?«
»Es ist schlimm für sie, Sandra«, nickte er schwer. »Sie ist sehr niedergeschlagen.«
»Dann müssen wir sie trösten, Papi«, sagte Sandra. Sie machte große Augen dabei und nahm ihn bei der Hand, als wollte sie auf der Stelle mit ihm gehen zu ihrer Mama.
Doch mußte sie sich noch einige Tage gedulden, und die wurden ihr lang. Vergeblich hielt sie auch nach ihrem Freund Felix Ausschau. Sie wunderte sich sehr, daß er nicht kam. Sie hatte ihm doch soviel zu erzählen.
Endlich sah sie ihn wieder angeflitzt kommen. »Wo warst du denn so lange?« fragte sie.
»Im Moment hab ich keine Zeit, Sandra, ich muß auch jetzt gleich wieder gehen«, antwortete er eilig. »Ich bin nämlich viel mit meinem Vater unterwegs, solang er noch da ist.«
Das kleine Mädchen zwinkerte verständnislos. »Hast du denn jetzt einen neuen Vater?«
»Neu ist der nicht. Das ist mein richtiger. Er war gar nicht tot, sondern immer nur weit fort. Er ist ein Seemann!« Triumphierend sah Felix die Spielgefährtin an.
»Das versteh ich nicht«, sagte Sandra verwirrt.
»Mach dir nichts draus, hab’ ich auch nicht, zuerst. Ist auch eine ziemlich komplizierte Sache. Aber jetzt ist alles klar. Für mich und Nils jedenfalls. Meine Mutter hat soviel mit ihrem Buch zu tun, daß sie nicht mitkommt.«
»Nils?« fragte Sandra unsicher.
»So heißt er, Nils Eckert. Manchmal sag ich auch schon Papa zu ihm. Ist nur noch ’n bißchen ungewohnt. Er ist auch mehr so – mehr so ’n Kumpel, verstehst du?«
»Nein«, sagte Sandra.
»Erzähl ich dir alles ein andermal ausführlich. Tschüs jetzt, Sandra.«
»Du, wir fahren weg, nach Frankreich, und da bleiben wir ganz lange«, versuchte sie ihn festzuhalten.
»Viel Spaß!« rief Felix und machte sich davon.
Enttäuscht sah Sandra ihm nach. Das interessierte ihn anscheinend überhaupt nicht. Was hatte er da nur erzählt, von einem Vater, der auf einmal wiedergekommen war?
»Mir kam das vor«, sagte Sandra am Abend zu ihrem Papa, »als hätte Felix mir da nur so eine Geschichte erzählt. Aber so war das auch nicht. Er sagt, das wär sein richtiger Vater.« Fragend sah sie ihn an, als könne er das Rätsel lösen.
Aufmerksam hatte Clemens seinem Töchterchen zugehört. Flüchtig erinnerte er sich an Beates Reaktion, als er das Thema einmal berührt hatte. Wie sie geschwiegen und sich verschlossen hatte.
Er hatte sie sowieso noch anrufen wollen, um sich vor der Reise von ihr zu verabschieden.
Beate war erfreut über seinen Anruf. Wenn er zu seiner Frau nach Südfrankreich fuhr, wie er sagte, schien die Ehe doch wieder ins Lot zu kommen. Sie wünschte es für ihn.
»Da wird Sandra aber nun froh sein, daß sie ihre Mami wiedersieht«, äußerte sie herzlich.
»Ein Grund zu reiner Freude ist es leider nicht«, erwiderte der Mann, und er erzählte ihr, was mit Bianca passiert war.
»Um Gottes willen«, erschrak nun auch Beate. »Es wird doch hoffentlich kein Schaden zurückbleiben. Das wäre ja entsetzlich, bei ihrem Beruf.«
»Ich bin kein Knochenspezialist, mein Fachgebiet sind die Erkrankungen der inneren Organe des Körpers. Ich muß erst näheres wissen. Aber die Befürchtung besteht natürlich, und meine Frau weiß das auch…«
Wenige Sekunden schwiegen sie, Beate etwas hilflos, denn jedes Wort der Teilnahme erschien ihr banal.
»Und wie geht es Ihnen, Frau Herder?« Er kehrte zu der offiziellen Anrede zurück. Es hatte eine Stunde der Vertrautheit gegeben, aber Beate hatte die Grenzen gesetzt.
»Mein Felix«, begann Beate zögernd, »wollte heute mal kurz zu Sandra. War er nicht bei ihr?«
»Doch… Und er hat ihr etwas erzählt, was meine Kleine kaum glauben konnte.« Abwartend schwieg Clemens erneut.
»Es ist wahr. Sein Vater ist wieder aufgetaucht.« Ihre Stimme klang belegt. »Es war nicht einfach, Felix zu erklären, warum ich ein Schiffsunglück erfunden hatte, damit er glauben sollte, sein Vater sei tot.«
»Und warum haben Sie das getan?« fragte Clemens verhalten.
»Ich wollte es meinem Kind leichter machen, und mir vielleicht auch. Wollen Sie mich deshalb verurteilen, Herr Fabrizius?«
»Das liegt mir fern«, sagte er ernst. »Hat der Mann nicht gewußt, daß Sie ein Kind von ihm haben?«
»Nein. Als ich mich schwanger fühlte, war er schon gegangen. Und später hörte ich nichts mehr von ihm.«
»Und was bedeutet es jetzt für Sie, daß er zurückgekehrt ist?«
»Das ist so schwer zu sagen«, antwortete Beate dunkel. »Nils Eckert war die einzige Liebe in meinem Leben. Aber wenn eine Liebe so lange auf Eis gelegt worden ist, kann sie nicht mehr zum Blühen kommen. Es bringt mich nur in einen großen Zwiespalt, daß Felix so begeistert von ihm ist und die beiden ein Herz und eine Seele sind. Der Mann ist voller Vaterstolz, er war es von der ersten Stunde an.«
»Das ist verständlich. Felix ist ja auch ein prächtiger Junge.«
»Ja. – Nun, diese Tage werden vorübergehen, und dann wird Nils Eckert wieder zur See fahren. Man wird sehen, was weiter wird.«
»Ja, meine Liebe«, sprach Clemens mit Wärme, »dann kann ich Ihnen nur wünschen, daß sich alles zum Guten wenden wird, so oder so.«
»Das können wir uns gegenseitig wünschen, Herr Fabrizius…« Mit einem Abschiedsgruß beendeten sie das Gespräch.
*
Zauberhaft war das Haus gelegen, an dessen Mauern Bougainvilleas in bunter Farbenpracht rankten. Ein starker Duft wehte von den Lavendelfeldern her, dahinter breitete sich das sonnendurchglühte Land aus. Gleichzeitig