Nils nahm ihr gegenüber Platz, ohne den Blick von ihr zu lassen.
»Und jetzt«, sagte er nach einem kurzen Schweigen rauh, »jetzt, wo ich wieder da bin…«
»Ja, du bist wieder da«, unterbrach Beate ihn herb, »einfach so. Wieso eigentlich? Warum? Ich habe mir mein Leben mit Felix ganz gut eingerichtet, wir sind froh miteinander, es fehlt ihm an nichts. Ich verdiene als Übersetzerin großer Romane genug, daß wir keine Sorgen haben. Du siehst, wir brauchen niemanden«, schloß sie.
Nils senkte den Kopf, er sah auf seine Hände.
»Ich wollte nur sehen, wie es dir geht, darum bin ich gekommen«, sagte er gepreßt. »Ich dachte, du wärst längst verheiratet, und ich hoffte, daß du glücklich wärst. Dann wollte ich dir erklären…«, er stockte, »ja, was eigentlich schwer zu erklären ist. Daß ich die Verbindung abreißen ließ, aus Leichtsinn, aus Unbedachtheit, das Leben war so bunt…«
»Und in jedem Hafen ein anderes Mädchen«, warf Beate spöttisch ein.
»Ganz so war es nicht. Der Dienst war hart, und manche Stürme auf hoher See galt es zu überstehen. Aber es war auch berauschend, fremde Welten kennenzulernen, auf dem Landgang, in Städte anderer Kulturen und Bauweisen einzutauchen. Da kann es geschehen, daß man nicht mehr daran denkt, an sein Mädchen zu Hause zu schreiben. Wenn man wieder daran denkt, stellt man beschämt fest, daß man zu lange gewartet hat, und sicher schon ein anderer da ist. – Du wirst ja auch nicht allein geblieben sein, Beate.«
»Und wenn es so wäre? Vielleicht gehöre ich zu den Menschen, die nur einmal lieben können.«
In diesem Moment klingelte es. Nils sprang auf. »Ist das Felix?«
Beate ging an die Tür. Aber es war nur jemand, der Staubsauger verkaufen wollte. Erleichtert setzte sich Nils wieder hin. »Wo ist er, wann kommt er?«
»Er hat eine kleine Spielgefährtin in der Nachbarschaft«, antwortete Beate. »Ich weiß nicht, wann er kommt.«
»Was wollen wir ihm sagen?« fragte Nils angespannt. »Er soll es doch wissen, daß ich sein Vater bin, Beate.«
Beate legte die Arme vor der Brust zusammen, sie beugte sich etwas vor und starrte zu Boden. »Darauf müßte ich ihn erst vorbereiten«, entrang es sich ihr. »Was wäre das sonst für ein Schock für ihn. Seine Welt war bisher so klar und festgefügt.«
»Könnte es nicht auch eine Freude für ihn sein, daß sein Vater gar nicht tot ist, sondern daß er lebt?« gab Nils zu bedenken. »Du solltest die Dinge nicht komplizierter machen als sie sind.«
»Wie lange bleibst du in der Stadt?« fragte Beate sprunghaft.
»Das liegt bei dir. Ich habe noch eine Woche Urlaub, und ich bin ungebunden.« Er räusperte sich. »Ich würde gern bleiben, um meinem… unserem Sohn näherzukommen.«
Und dann kam er doch, ihr Felix, früher als von Beate erwartet.
»Frau Scholl hat Sandra reingerufen, weil Besuch gekommen ist, da hab’ ich mich schnell verzogen«, erzählte er und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht.
»Wir haben auch Besuch«, sagte seine Mutter. Sie signalisierte Nils mit einem langen Blick, seine wahre Identität noch zu verschweigen.
»Oh, Sie sind das!« rief Felix aus, als er des Besuchers gewahr wurde. »Sind Sie doch endlich raufgekommen. Kennst du ihn denn nun, Mama?«
»Ja. Das ist Nils Eckert. Wir kennen uns von früher.«
»Guten Tag, Herr Eckert«, sagte Felix artig und gab ihm die Hand, dabei musterte er ihn nach Kinderart ungeniert. Der Mann gefiel ihm. Er fand, daß das ein dufter Typ war. Den Ausdruck hatte er von Uli.
»Tag, mein Junge.« Nils mußte sich bezwingen, dieses rotwangige Bübchen nicht zu packen und über seinen Kopf emporzuschwenken.
»Bleiben Sie länger zu Besuch?« erkundigte sich Felix interessiert.
»So lange, wie mein Schiff im Hafen liegt«, antwortete Nils. »Am 15. muß ich wieder zurück sein in Bremerhaven.«
Felix riß die Augen auf. »Mein Vater war auch auf einem Schiff, aber das ist untergegangen. Gehört Ihnen das Schiff, sind Sie der Kapitän?«
»Nein, das ist ein Fährschiff, das im Besitz einer großen Seefahrts-Gesellschaft ist, und der Kapitän bin ich auch nicht, ich gehöre nur als Schiffsoffizier zur Mannschaft des Kapitäns«, erläuterte Nils.
»Uij, das find ich toll.« Hingerissen sah Felix zu ihm auf. »Dann kommen Sie bestimmt viel rum in der ganzen Welt.«
Beate, die bis dahin geschwiegen hatte, dachte angesichts der Begeisterung ihres Söhnchens, daß Nils auch das Kinderherz wohl im Sturm gewinnen würde. Sie wußte nicht, ob sie sich darüber freuen sollte. Es war doch allein ihr Felix.
»Nils, entschuldige«, sagte sie etwas unbehaglich. »Zwar habe ich einen freien Beruf, aber meine Zeit ist doch eingeteilt. Ich müßte noch einiges aufarbeiten.«
»Ja, dann will ich dich auch nicht länger aufhalten, Beate.«
»Och nö«, machte Felix, »noch nicht gleich wieder gehen, bitte. Wir können ja in meinem Zimmer weiterreden. Da ist auch der Pipsi, mein Wellensittich. Wenn wir die Tür zumachen, stören wir die Mama nicht.«
»Vielleicht doch. Ein anderes Mal, Felix.« Nils griff in seine Tasche, er wandte sich an Beate. »Hier ist die Nummer von meinem Hotel. Ruf mich an, wenn ich wiederkommen soll.« Er suchte ihren Blick und sah ihr bedeutsam in die Augen.
Felix schluckte seine Enttäuschung hinunter, daß dieser interessante Besuch wirklich schon wieder gehen wollte. Dann machte er ein schelmisches Gesicht. »Wenn ihr euch ›Du‹ sagt, darf ich das doch auch, oder?«
»Aber klar doch. Ich heiße Nils.« Die große Männerhand streckte sich nach dem Jungen aus, die kleine Hand schlug kräftig ein.
Felix brachte ihn noch an die Tür. »Aye, Aye, Sir, Seemannsgruß!« rief er ihm übermütig nach. Schließlich sah man fern und wußte Bescheid.
Nils drehte sich auf der Treppe um. »Seemannsdank«, sagte er fröhlich.
Beate mußte ihren Sohn vom Balkon hereinholen, wo er immer noch winkend stand. »Nun ist es genug, geh in dein Zimmer«, kam es mit ungewohnter Strenge. Aber sie meinte es nicht so. Sie war aufgewühlt. Sie mußte allein sein.
An ihrem Schreibtisch stützte sie den Kopf in die Hände. Hinter ihren Schläfen hämmerte es. Sie mußte Felix die Wahrheit sagen, das war ihr klar. Aber wie sollte das Kind es verstehen, und wie sollte es dann weitergehen?
Nils – empfand sie noch etwas für ihn?
Sie wußte keine Antwort darauf. Die Verwirrung über sein Auftauchen nach so vielen Jahren war zu groß. Sie überdeckte alles andere.
Und dann – Felix. Das lastete ihr schwer auf der Seele. Lieber Gott, sie hatte doch nur das Beste für ihn gewollt!
Im Innersten wie zerrissen, stand sie auf und ging hin und her. Vielleicht sollte sie es gleich hinter sich bringen.
Nein, nein, sie mußte erst ruhiger werden. Sich überlegen, wie und wo beginnen. Morgen, dachte sie. Aber morgen würde es auch nicht anders sein. Und wie sie ihr Söhnchen kannte, würde er für den Rest des Tages von nichts anderem mehr reden als von dem Seemann Nils.
Mal sehen, was er machte…
Unschlüssig öffnete sie die Tür zu seinem Zimmer. Sie mußte sich ja nicht gleich entscheiden.
Felix lag bäuchlings auf dem Teppich, wie er es gern tat. Vor sich hatte er einen Bogen Papier, darauf hatte er zuerst Buchstaben gemalt. Er wollte schon etwas können, wenn er nun bald in die Schule kam. Aber dann war unversehens ein Schiff daraus geworden, wo Nils auf dem Deck in einer großartigen weißen Uniform stand.
»Mami!« Er blickte auf. »Bist du schon fertig? Guck mal, was ich gemalt