Das leidende Weib
Ein Trauerspiel
Personen
Der Geheimderat
Gesandtin, seine Tochter
Gesandter, ihr Mann
Franz, sein Sohn
Von Brand
Graf Louis
Sein Hofmeister
Baron Blum
Läufer
Magister
Suschen, seine Tochter
Schöne Geister
Julie, Franzens Geliebte
Louise, Kammermädchen der Gesandtin
Doktor, Franzens Freund
Sophchen
Lieschen
Betchen
Kinder des Gesandten
Erster Akt
Erste Szene
Magisterswohnung.
Suschen. Läufer. An einem Tische. In der Ecke zwei Schöne Geister, mit Papieren und Schreibereien beschäftigt. Gelehrte, Zeitungen vor ihnen liegend.
LÄUFER. Liebes Suschen, ich sag dir ja, ich fürchte mich nicht für deinem Vater. Laß ihn kommen! Ich verlaß mich auf dich.
SUSCHEN. Ei sieh doch; auf mich! Was kann ich denn machen?
LÄUFER. Mußt ihn nur ansehen, so wie du mich jetzt ansiehst. Gewiß, er vergißt es und muß es vergessen, daß er mir nicht gut ist. Ach! ich könnte ja meinem ärgsten Feind vergeben, wenn ich dich anseh, Suschen! Süßes Suschen!
SUSCHEN. Geh Er doch mit Seinem Schmeicheln!
1. SCHÖNER GEIST darzwischen. Es ist gar keine Melodie, keine Annehmlichkeit in den Versen. Keine Leichtigkeit –
2. SCHÖNER GEIST. Überall sieht die Müh heraus. Und doch so viel Lärmens. Es soll Gefühl sein, das Herz bricht mir über den schweren Gang.
1. SCHÖNER GEIST. Ach! das Tändlende, Liebliche, das in den Jacobischen Liedern die sanfte, holde Muse verrät – wo das nicht ist.
LÄUFER. Gib mir ein Mäulchen, Suschen!
SUSCHEN. Freilich doch!
LÄUFER. Eigensinnige!
SUSCHEN. Hab den Herrn Fritz doch lieber. Was hat er mir nicht vor schöne Verschens auf meinen Namenstag gemacht! Soll ich sie holen, Herr Läufer? ich hab sie versteckt.
LÄUFER. Grausame, du!
SUSCHEN. Nu, wein Er doch nicht gleich, Herr Läufer! Herrgott, wer kann denn mit euch Gelehrten zurechtkommen. Kann Ihn doch wohl auch liebhaben. Was schadt's Ihm denn?
LÄUFER. Fährst du noch fort?
SUSCHEN. Sei Er doch nicht kindisch, Herr Läufer! Ich fürcht immer, mein Vater möchte kommen. Er weiß, er schließt immer eine Stunde früher, wenn so heiß Wetter ist.
LÄUFER. Heute nicht. Es ist ja gar nicht warm.
SUSCHEN. Er weiß, daß er euch alle nicht leiden kann; es sind nun seine Grillen so. Warum seid ihr auch alle Poeten? Ich mag sie wohl leiden, sie sprechen so fein, so – ich weiß selbst nicht, weil ich nicht alles versteh. Ja, wenn sie nicht immer vom Apoll, Pan, und denen Leuten sprächen.
LÄUFER. Das sind Götter, Suschen.
SUSCHEN. Götter! ei was haben sie mit denen?
1. SCHÖNER GEIST immer darzwischen. Nein ich will's rezensieren. Lassen Sie mir's!
2. SCHÖNER GEIST. Warum aber ich nicht?
1. SCHÖNER GEIST. Hören Sie doch nur, ich will zugleich dem Klopstock noch was abgeben, wegen seiner »Gelehrtenrepublik«. Man kann's ja gar nicht begreifen.
2. SCHÖNER GEIST. Daß er der größte Poet ist, das behaupte ich. Nehmen Sie nur die Begriffe vom Dichter aus dem Batteux! Was er von dem Dichter fordert, das finden Sie alle bei ihm. Begeisterung, Feuer der Imagination, Erfindung –
1. SCHÖNER GEIST. Wenn man ihn aber auch begreifen könnte! es ist doch das Liebliche nicht.
LÄUFER. Sei doch ohne Sorge! Kam er auch. Ich will ihn schon gut machen; auf alle Poeten, Romanen, Komödien und Tragödien schimpfen; alles behandeln, wie er's tut, er soll mir schon noch gut werden.
SUSCHEN. Wieviel Uhr ist's dann? ach! wenn er käme; und die sind auch da.
LÄUFER. Er kommt nicht. Die Schul ist noch lang nicht aus.
1. SCHÖNER GEIST. Was mich das letzt geärgert hat! Franz sagte, das wär der größte Ruhm für Klopstock, daß wir ihn nicht fassen und mit ihm fühlen könnten. Von der »Republik« sagte er, sie sei die größte Poetik, die je geschrieben worden. Denk die Vermessenheit! Wir waren in Berlin, und drei Jahr in Leipzig, haben übers Griechische bei ** gehört. Waren, wo der Sitz der Schönen ist, haben daselbst unsern Geschmack gebildet, unsre Empfindungen verfeinert. Mit den Musen und Grazien schwesterlich vertraut gelebt. Ja, wir haben aus der Quelle selbst geschöpft.
2. SCHÖNER GEIST. Und er weiß kein Wort von der Theorie. Räsoniert in den Tag hinein, schimpft auf Geschmack, hält nichts auf Kritik, die Fackel der Wissenschaften.
LÄUFER. Suschen, schleich dich diesen Abend weg, wir wollen in die Komödie gehn.
SUSCHEN. Daß ich Schläge kriegte, käm ich heim. Er kann's ja vor sein Leben nicht leiden, sagt immer, »Suschen, das setzt bei euch Weibern kein gutes Blut«.
1. SCHÖNER GEIST. Mademoiselle, ich will Ihnen Gellerts Briefe mitbringen; steht einer drinnen zur Verteidigung des Theaters, den müssen Sie ihm vorlesen.
SUSCHEN. Da käm ich schön an.
LÄUFER. Geh mit, nur diesmal! ich will's schon gutmachen.
SUSCHEN. Es hilft aber nichts.
LÄUFER. Ich bitt dich, ein süßes Stück wird gegeben.
SUSCHEN. Wie gern wollte ich. Ich trau dir aber auch nicht.
LÄUFER. Du traust mir nicht?
SUSCHEN. Ja das letztemal – Geh, du bist so ungestüm –
LÄUFER. Verzeih mir diesmal!
SUSCHEN. Wenn ich's auch tu. Ihr Mannsleute!