»Nein. Ich kann sie nicht jeden Tag zählen. Ihre genaue Zahl ändert sich ständig.«
»Woher kommt das? Man muß doch wissen, wieviel Rinder man hat. Verkaufst du vielleicht jeden Tag welche?«
»Nein, aber erstens verlaufen sich immer Tiere, werden von der Herde abgetrieben, finden nicht zurück und sind verloren. Dann gibt es schlechte Menschen, die Rinder stehlen…«
»Aber dafür sind doch die Cowboys da, um auf die Rinder aufzupassen. Du mußt sie dafür verantwortlich machen, wenn ein Tier fehlt.«
»Erstens merke ich das ja nicht, Greg, denn ich habe keine Zeit, täglich nachzuzählen – und zweitens wäre das ganz unmöglich, auch für die Weidereiter. Die Tiere weiden auf einer so großen, unübersichtlichen Fläche, daß es ausgeschlossen ist, sie ständig im Auge zu behalten. Zudem wird immer wieder Fleisch für die Küche benötigt. Nichts schmeckt einem richtigen Cowboy besser als ein tellergroßes Rindersteak.«
Greg Saunders schüttelte den Kopf.
»Vater sagte schon, ich würde mich umgewöhnen müssen. Das ist ein ganz fremdes Land.«
»Da hatte er recht. Nun kommt mit ins Haus!«
Als sie auf die saubergefegte Verandatreppe zugingen, kam oben aus der Haustür ein weißhaariger Neger, der einen Moment stehenblieb, sich verbeugte und lachend sein weißes Gebiß zeigte, um gleich darauf im Geräteschuppen zu verschwinden.
John Saunders war schon oben auf der Veranda, als er bemerkte, daß ihm sein Bruder nicht gefolgt war. Er sah sich um und sah ihn immer noch unten vor der Treppe stehen.
»Come on, Greg!«
Aus engen Augen starrte Greg dahin, wo der Schwarze verschwunden war
»Was war denn das?« fragte er, ohne dabei zu dem Bruder hinaufzusehen.
»Das war Sam. Er ist die gute Seele der Ranch…«
»Eine verdammt schwarze Seele. Du beschäftigst einen Neger?«
»Weshalb nicht? Er ist seit siebzehn Jahren bei mir, Greg. Und als das Haus brannte, lag ich damals allein oben in meiner Kammer und schlief, da holte er mich heraus. Als wir dann keuchend auf dem Hof ankamen, brüllte einer: Jonny ist noch im Haus! Da stampfte er, ehe sich ein anderer rühren konnte, davon und verschwand wieder in der schwelenden Glut des Hauses. Er brachte den Jungen heraus und brach hier, wo du jetzt stehst, mit seiner Last zusammen, von mehreren schweren Brandwunden bedeckt, vom beizenden Rauch betäubt.«
»He, du hast wohl hier jedem etwas zu verdanken.«
»Wenn du einmal länger hier bist, wirst du bald feststellen, daß man hier auf den anderen angewiesen ist wie nirgends sonst auf der Welt.«
»Verrücktes Land, ich sage es ja!«
Sie gingen ins Haus.
»Gerade als sie die große Wohnstube von der Halle her betraten, huschte zur anderen Tür ein Wesen hinaus, das den Blick des Iren bannte. Es war eine junge Frau mit braunroter Haut und Kohlenaugen. Eine Indianerin.
Obgleich sie längst verschwunden war, sah er noch ihr bronzefarbenes Gesicht, ihre schimmernden dunklen Augen, ihr glattes Gesichtsoval, umrahmt von blauschwarzem, schulterlangem Haar. Sie trug eine lange Jacke aus hellem dünnen Hirschleder, einen Gurt aus rotem Stoff, ein rotes Haarband, einen Rock aus dunklerem Leder und an den kleinen Füßen bestickte Mokassins.
Greg rührte sich nicht.
Der Bruder stieß ihn an. »Komm zu dir, Boy.«
»Was war denn das?«
»Sie heißt Nointa, es ist ein Apachenmädchen. Wir haben es seit seiner Jugend auf der Ranch. Eines Tages kam ein sterbender Indianer hier an und legte sie vor unsere Ranchhaustreppe.«
Greg höhnte:
»Hast du ihr auch etwas zu verdanken?«
»Nein, aber sie ist jetzt schon so lange hier wie sie denken kann. Sie ist fleißig, sehr still, genügsam und zuverlässig. Mehr kann man in diesem Lande von keinem Menschen verlangen.«
»Aber sie ist doch eine Indianerin!«
»Na und…?«
»Du beschäftigst Indianer und Neger – ich verstehe dich wirklich nicht. Bei uns drüben würde kein Mensch auf den Gedanken kommen, einen Neger zu beschäftigen.«
»Auch das ist etwas, was du hier lernen mußt, Greg. Es ist ein großes freies Land. Abe Lincoln hat die Sklaverei abgeschafft, Gott sei Dank. Die Neger sind Menschen wie du und ich.«
»Nie werde ich mich mit einem Schwarzen auf die gleiche Stufe stellen. Und erst die Roten! Haben sie nicht Millionen Weiße ermordet…?«
»Nein, Greg, das stimmt nicht. Das ist ein übles Greuelmärchen. Fest steht, daß die Weißen in das Land, das immer den Indianern gehört hat, wie die Barbaren einbrachen, das Land ganz einfach beanspruchten und die Indianer fast ausgerottet haben.«
Greg wandte den Kopf und zischte:
»Ansichten hast du!«
*
Es gab niemanden auf der Ranch, dem die Anwesenheit des Mannes aus Irland wirklich Freude bereitet hätte.
Überall hatte Greg Saunders etwas herumzunörgeln. Das Essen schmeckte ihm nicht. Es war ihm nachts in seiner Schlafkammer zu kalt, obgleich der Rancher ihm sein eigenes Zimmer überlassen und selbst in einen Bodenraum gezogen war. Der Arbeitslärm auf dem Hof begann ihm zu früh und das »Gejohle« der Cowboys störte ihn gewaltig. Er trank unglaubliche Mengen Whisky, dessen Qualität er unentwegt zu rügen hatte – und erwies sich überhaupt als ein sehr unliebsamer Gast.
Eines Abends sprach der Rancher mit ihm.
»Greg – so kann es nicht weitergehen. Eine Ranch ist kein Sanatorium und kein gemütlicher Bauernhof. Hier wird sehr hart und verbissen gearbeitet. Ein Cowboy ist im Grunde ein armer Teufel, denn die Arbeit, die er für knapp vierzig Dollar im Monat leistet, ist Berserkerarbeit. Und es ist schwer, gute Cowboys zu bekommen. Ich bin froh, daß ich eine brauchbare Crew zusammengebracht habe.
Hier ist die große Ranch, Greg – du gehörst zu unserer Familie. Wenn du ein Cowboy wirst, so bleibst du doch mein Bruder…«
Greg verstand – aber er wollte nicht verstehen.
Eines Vormittags stand Greg im Vorratsraum im Dunkeln hinter einem mit Blech ausgeschlagenen Fleischschrank, als sich vorn die Tür öffnete und der Neger Sam den Raum betrat.
Greg wußte, wann der Schwarze kommen mußte, um das Fleisch für das Mittagessen zu holen. Als der ahnungslose Mann an dem Schrank vorbeikam, schnellte Greg blitzschnell vor, packte ihn mit beiden Händen am Hals und würgte ihn.
»Du verdammter schwarzer Hund hast hier nichts zu suchen! Das ist unser Haus, unsere Ranch. Wir füttern keine Schwarzen!«
Er würgte ihn, als wollte er ihn umbringen.
In seiner Verzweiflung und Todesnot gelang es dem Neger, eine große Porzellanschüssel zu packen und sie gegen die Tür zur Halle zu schleudern, wo sie mit einem enormen Lärm zersprang.
Jonny kam sofort herein. Mit einem Blick übersah er die Situation, sprang hinzu und befreite den Neger von dem Würgegriff.
»Onkel Greg!« stieß er erregt hervor. »Was war denn los?«
Keuchend stand der Ire da und stierte auf den um Atem ringenden Alten.
»Dieser verdammte Hund! Er hat mir hier aufgelauert und mich angefallen. Ich bringe ihn um!« Wieder wollte er sich auf den Schwarzen stürzen.
Aber der Bursche schob sich dazwischen.
»Halt! Das geht auf keinen Fall. Wir müssen Vater die Sache vortragen!«
»Vater die Sache vortragen? Was gibt es da vorzutragen, wenn mich dieser schwarze Bandit angefallen hat? Aufhängen