Greg stieß seinen Bruder an.
»Los, schick den Revolverjungen raus. Bill macht ihn fertig, und dann ist das erledigt. Dann spuckst du die Dollars aus.«
Hart fuhr die Hand des Ranchers in das Gesicht des Bruders.
Greg Saunders torkelte zurück.
Da stieß der Tombstoner Bandit aus der zerschlagenen Crew des Ike Clanton mit einem Wutschrei die Hand zum Colt.
»Nicht so hastig, Brocius!« kam da eine schneidende Stimme über den Ranchhausvorbau.
Der Desperado verharrte in der Bewegung, stand wie versteinert da und lauschte dem Ton der Stimme nach.
Er kannte sie genau. Zu genau!
Da kam ein harter, sporenklirrender Schritt über die Vorbaubohlen bis in den äußersten Kreis des Windlichtes. Curly Bill erkannte auch den Schritt – und jetzt den Mann.
»Hölle und Verdammnis! Wyatt Earp!« entfuhr es ihm.
Friedhofsstille herrschte auf der Veranda.
Bis Cherry Pika brüllte: »Bist du verrückt, Boß? Wer ist das?«
Der Desperado wandte sich ganz herum und starrte den verhaßten Mann aus Missouri an.
Wyatt Earp war doch gerade erst in Dodge gewesen, wo Curlys Freunde ihm und Doc Holliday den Prozeß hatten machen wollen. Well, er war freigekommen, aber wie konnte er so plötzlich hier, ausgerechnet hier in der neuen Zone, im »County« Curly Bills auftauchen?
Langsam öffneten sich die wulstigen Lippen des Verbrechers:
»Wyatt Earp!« wiederholte er. »Yeah, Pika, er ist tatsächlich Wyatt Earp!«
Der Grenzbandit trat neben Curly Bill.
»Aber das ist doch Unsinn. Du mußt dich irren! Wie kann er denn Wyatt Earp sein? Er ist ein Cowpuncher, ein Schießer, yeah, und ein Schläger. Er hat mir die Colts aus beiden Händen geschossen und Owen Thumb auseinandergenommen wie eine Kartoffel. Aber Wyatt Earp – kann er doch nicht sein!«
Ohne Pika anzusehen stieß Brocius hervor:
»Halt’s Maul, Pika. Was ich sage, stimmt. Niemand kennt diesen Mann besser als ich. Es ist Wyatt Earp!«
Fred Gennan wich zurück und suchte ins Dunkel zu kommen. Und der kleine McLean wollte ebenfalls verschwinden.
Andy Lederer war so bestürzt, daß er erneut seinen Trick vom Morgen anzuwenden gedachte.
Da hob Curly Bill die Hand.
»Nichts da, Leute. Das geht ins Wasser!«
»Wieso denn?« zeterte McLean. »Der Mann ist doch wegzupusten.«
»Das sieht nur so aus«, belferte der Bandenführer. »Und da waren schon bessere Männer als du, Joel, die ihn gern von den Beinen geholt hätten. – Vorwärts, Boys. Wenn das der neue Cowboy ist, dann haben wir hier nichts mehr zu suchen!«
Mit düsteren verkniffenen Gesichtern zogen sie sich in ihre Sättel.
Als Curly Bill auf seinem Rotschimmel saß, wandte er sich noch einmal um. »All right, Marshal, die Runde geht an Sie. Aber ich habe diesmal den längeren Atem. Denn ewig können Sie ja nicht hierbleiben.«
»Irrtum, Brocius. Ich bleibe genau so lange hier, bis ich dir sämtliche Zähne gezogen habe. Und nun zieh ab, sonst gibt’s noch Regen!«
Mit gefletschten Zähnen nahm der Desperado die Zügel auf und trabte vor seinen »Boys« aus dem Ranchhof.
Auf der Veranda war es still.
John Saunders stand da und spannte beide Hände um das Windlicht, das einen zuckenden Schein über die rohbehauenen Dielen bis hin zu dem großen Mann schickte, der also nicht irgendein unbekannter Cowboy, sondern der berühmte Wyatt Earp war.
Der alte Peon, der am Morgen gesagt hatte, daß er den Fremden schon gesehen hatte, rief:
»Jetzt weiß ich es. Ich habe ihn in Wichita auf der Mainstreet gesehen, als er Mannen Clements und seine Boys zum Teufel jagte! By Gosh! Er ist Wyatt Earp! Der große Wyatt Earp!«
Beklommene Stille.
Endlich löste sich der Vormann unten von seinem Platz neben der Vorbautreppe und kam auf die Veranda. Er sah zu dem Missourier hinüber.
»Es ist also wahr: Sie sind wirklich Wyatt Earp?«
»Yeah, Mister Teck.«
»Und weshalb haben Sie es uns nicht gesagt?«
»Weil es absolut unnötig war. Wenn Curly Bill erfahren hätte, daß ich es bin, der seine Leute so hat abfahren lassen, dann hätte er sich schwer gehütet, sich selbst so offen hier zu begeben. Jetzt hat er es getan. Er hat sich damit bloßgestellt. Es war eine doppelte Abfuhr, die er heute einstecken mußte. Selbstverständlich wird er nun auf Rache sinnen; aber dazu braucht er Zeit. Und diese Zeit wird auch uns nützen…«
»Uns…?« fragte der Rancher etwas rauh.
»Yeah, uns! Denn wenn Sie nichts dagegen haben, Rancher, bleibe ich noch eine Weile.«
John Saunders’ Augen blitzten.
»Was könnte ich dagegen haben. Es ist mir eine Ehre, daß Sie hier bei uns sind und uns geholfen haben. Aber was soll jetzt werden? Curly Bill weiß jetzt, daß Sie hier sind. Er wird vermutlich jetzt mehr Leute ansammeln, um schwereres Geschütz aufzufahren. Darüber kann es doch kaum einen Zweifel geben.«
»Stimmt genau. Nur – er braucht Zeit dazu, die auch wir her nützen können.«
»Und was glauben Sie, was wir noch tun könnten? Unsere jungen Leute sind auf dem Trail nach Santa Fé. Mein Bruder wußte das genau. Deshalb hat er jetzt zum Schlag gegen mich ausgeholt. Er träumt davon, daß er die Ranch bekommt. Erst hat er unseren schwarzen Hausdiener aus dem Haus getrieben, dann meinen Jungen – und eine kleine Indianerin.«
»Ihren Jungen?«
»Yeah«, versetzte der Rancher mit gesenktem Kopf.
»Er ist mit einer Indianerin weggeritten?«
»Sie lebt seit vielen Jahren auf der Ranch. Mein Sohn ist mit ihr aufgewachsen. Ich weiß, daß sie ihm alles bedeutet.«
»Sie wissen nicht, wo er ist?«
»Nein, Marshal. Ich habe ihn schon auf den umliegenden Ranches suchen müssen. Denn er kann doch nur auf einer Ranch arbeiten.«
John Saunders berichtete dem Missourier, wo überall er schon hatte nach seinem Jungen suchen lassen.
Wyatt Earp nickte. »All right. Ich glaube, es ist das beste, wenn wir uns jetzt schlafen legen.«
»Glauben Sie nicht, daß Curly Bill zurückkommen wird?«
Ein stilles Lächeln blinkte in den Augenwinkeln des Marshals.
»Nein, Rancher, ganz sicher nicht.«
*
Als Jonny Saunders die Ranch seines Vaters verlassen hatte, wandte er sich dorthin, wo ihn niemand suchen sollte, nach Südosten, der Stadt Harpersville zu.
Was seinen Weg erheblich erschwerte, war der Umstand, daß er die Frau bei sich hatte. Kein Reiter wirkte so lächerlich wie der, der eine Frau vor sich im Sattel hat.
Er