William Lovell. Ludwig Tieck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Tieck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783849637699
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brennenden Strahlen das Herz des armen William – niemand anders, als meine Schwester. – Sie hat gewiß seine Liebe bemerkt, aber er scheint es nicht bemerkt zu haben, daß ihr diese Bemerkung nicht mißfallen hat, denn es fehlt nur wenig, so liebt sie ihn wieder. Es gibt die lächerlichsten Szenen, wie er ihr oft im Garten ausweicht und sie emsig in der nächsten Allee wieder sucht, wie sie Stunden lang miteinander zubringen, ohne fast nur eine Silbe zu sprechen; wie er seufzt und sich wunder wie unglücklich fühlt, daß sie sich ihm nicht freiwillig in die Arme wirft; um kurz zu sein: er ist unglücklich, weil er glücklich ist – aber auch wieder glücklich, weil er an Unglück Überfluß hat, denn glaube mir nur, er würde seine poetischen Leiden um vieles Geld nicht verkaufen.

      Plötzlich kam die Nachricht: meine Schwester solle von hier abreisen. Ihr Besuch bei mir und beim alten Burton war so immer schon von einer Woche zur andern verlängert; – der Barometer stieg um viele Grade und immer mehr, je näher es dem Tage der Abreise kam. Fast jedermann bemerkte seine Schwermut, er behauptete aber jedem mit einer kecken, verdrossenen Traurigkeit ins Gesicht: er wäre noch nie so aufgeräumt gewesen. Er machte sich itzt zuweilen an mich, und ging auf den Spaziergängen lange neben mir auf und ab; ich fürchtete immer, plötzlich in die Rolle eines Vertrauten geworfen zu werden, und unter Bedrohung des Totschlages, des Untergangs der Welt, oder einer ähnlichen Kleinigkeit, ein öffentliches Geheimnis zu erfahren; aber nein, ich hatte geirrt, dazu hätt ich wenigstens vorher mein Probestück in Seufzen und Weinen ablegen müssen. – Mit einer so erzwungenen Kälte, daß ihm fast die Tränen in den Augen standen, fragte er mich: ob ich meine Schwester nicht zu Pferde begleiten würde? – nun merkte ich, wo er hinauswollte. – Er wünschte, ich möchte meine Schwester einige Meilen begleiten, damit er einen Vorwand haben könnte, mitzureiten. Es hat mich wirklich gerührt, daß ihm an dieser Kleinigkeit so viel lag, er ist ein sehr guter Junge – ich sagte sogleich ja, und bat ihn selbst um seine Gesellschaft. – Morgen reiten wir also. –

      Sind die Menschen nicht närrische Geschöpfe? Wie manches Unglück in der Welt würde sich nicht ganz aus dem Staube machen und sein Monument bis auf die letzte Spur vertilgt werden – wenn nicht jeder sorgsam selbst ein Steinchen oder einen Stein auf die große Felsenmasse würfe – bloß um sagen zu können: er sei doch auch nicht müßig gewesen, er habe doch das Seinige auch dazu beigetragen? Gingen wir stets mit uns selbst gerade und ehrlich zu Werke, ließen wir uns nicht so gern von kränklichen Einbildungen hintergehn, glaube mir, die Welt wäre viel glücklicher und ihre Bewohner viel besser. – Aber denkst Du, daß ich es wage, ihm so etwas zu sagen? – Nie. – Sonderbar, daß ein Mensch vorsätzlich einschlafen kann, und sich nachher nicht aus seinen Träumen will wecken lassen, weil er sich schon wachend glaubt – und ihn mit kaltem Wasser zu begießen, halt ich für grausam.

      Du siehst, wie mir die Landluft bekömmt, ich, ich fange an zu moralisieren – doch, auch das gehört unter die menschlichen Schwächen, und irgend eine Abgabe zur allgemeinen Kasse der Menschlichkeit muß doch jeder brave Erdenbürger einreichen.

      Gott schenke Dir ein recht langes Leben, damit ich mir keinen Vorwurf daraus zu machen brauche, daß ich Dir durch einen langen Brief so viel von Deiner Zeit genommen habe; doch willst Du mein Freund bleiben, so soll es mich eben nicht sehr gereuen, noch hinzuzusetzen, daß ich bin

      Der Deinige.

      Nachschrift. Soeben lese ich meinen Brief noch einmal durch und bemerke mit Schrecken, daß ich Dir einen Bündel Stroh schicke, in welchem Du, mit Shakespeare zu reden, auch nicht ein einziges Korn finden wirst. Ich setzte mich nämlich nieder, Dir zu schreiben, daß meine Schwester nach London zurückgeht und daß Du sie nun also kannst kennenlernen; daß ich nicht nach London reise, weil es der alte Burton ebenso ungern als sein Sohn sehen würde – der alte Mann scheint an meiner Gesellschaft Geschmack zu finden – und wer weiß, ob ich es auch außerdem getan haben würde.

      Wieso? hör ich Dich fragen. – Könnt ich nun den Brief nicht schließen, und Dich mit Deiner Frage im offnen Munde stehnlassen und das Petschaft besehn? – Hättest Du nicht Gelegenheit, in einem Briefe an mich Deinen Scharfsinn zu zeigen und mir tausend Erklärungen zu schicken, ohne auch nur der wahren mit einer Silbe zu erwähnen? – –

      Der junge Burton – (der wirklich ein vortrefflicher Jüngling ist; schade, daß ich zeitlebens nicht so sein werde) – der junge Burton also hat eine Schwester, die zugleich die Tochter des Alten ist –

      Sei nur ruhig, ich werde nie in die Grube fallen, die sich Lovell gegraben hat!

      Ich habe mir ernsthaft vorgenommen, daß es keine Liebe werden soll – denn – sieh, wie schön das zusammenhängt! – denn mein Vermögen ist gegen das ihrige viel zu geringe. –

      Du lachst? – Und würde die Welt nicht über Dich lachen, wenn Du den Zusammenhang hier vermißtest? –

      Auch William Lovell kömmt nächstens nach London, und darum bilde Dir ein, daß ich so viel von ihm geschrieben haben könnte –

      Ich bin noch einmal – (denn so etwas kann man nicht zu oft sein) – Dein zärtlichster Freund.

      Karl Wilmont.

      2

      William Lovell an Eduard Burton

      am 18. Mai –

      Ich schreibe Dir, Eduard, aus einem Wirtshause hinter York, es ist Nacht und Karl schläft im Nebenzimmer – alles umher ist feierlich und still, die Glocke eines entfernten Dorfes tönt manchmal wie Grabgeläute zu mir herüber. –

      Einsam sitz ich hier, wie ein Elender, der aus einem goldenen Traume in seiner engen Hütte erwacht. – Die schmelzenden Akkorde der Symphonie sind geschlossen, das Theater ist zugefallen, ein Licht nach dem andern erlischt. – In diesem Gefühle schreib ich Dir, Freund, Bruder, meine Seele sucht Teilnahme und findet sie bei Dir am reinsten und wärmsten.

      Ich bin nie so aufmerksam, als in diesen Augenblicken, darauf gewesen, wie von einem kleinen Zufalle, von einer unbedeutenden Kleinigkeit oft die Wendung unsers Charakters abhängt. Ein unmerklicher Schlag richtet und formt unsern Geist oft anders; wer kennt die Regeln, nach denen unser schützender Genius umgewechselt wird? – Eduard, eine dunkle, ungewisse Ahnung hat mich befallen, als sei hier, in diesen Momenten eine der Epochen meines Lebens; mir ist, als säh ich meinen guten Engel weinend von mir Abschied nehmen, der mich nun unbewacht dem Spiel des Verhängnisses überläßt – als sei ich in eine dunkle Wüste hinausgestoßen, wo ich unter den dämmernden Schatten hin und wider schwankende feindselige Dämonen entdecke.

      Ja, Eduard, spotte nicht meiner Schwäche, ich bin in diesen Augenblicken abergläubig wie ein Kind, Nacht und Einsamkeit haben meine Phantasie gespannt, ich blicke wie ein Seher in den tiefen Brunnen der Zukunft hinab, ich nehme Gestalten wahr, die zu mir emporsteigen, freundliche und ernste, aber ein ganzes Heer furchtbarer Gebilde. Der ebne Faden meines Lebens fängt an, sich in unauflösliche Knoten zu verschlingen, über deren Auflösung ich vielleicht vergebens meine Existenz verliere.

      Bis itzt ist mein Leben ein ununterbrochner Freudentanz gewesen, kindlich habe ich meine Jahre verscherzt und mich lachend der flüchtigen Zeit überlassen, in der hellen Gegenwart genoß ich und weidete mich an Träumen einer goldenen Zukunft, in der glücklichsten Beschränktheit liebt ich Gott wie einen Vater, die Menschen wie Brüder und mich selbst als den Mittelpunkt der Schöpfung, auf den die Natur mit allen ihren Wohltaten ziele. Itzt steh ich vielleicht auf der Stufe, von wo ich in die Schule des Elends mit ernster Grausamkeit verwiesen werde, um mich vom Kinde zum Manne zu bilden: und werd ich glücklicher sein, als ich war, wenn ich vom harten Unterrichte zurückkehre?

      Und hab ich denn ein Recht über mein Unglück zu klagen? und bin ich wirklich unglücklich? – Liebt mich denn Amalie, ist sie mein, daß mich ihre Entfernung