William Lovell. Ludwig Tieck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Tieck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783849637699
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er meine Aufmerksamkeit ganz auf sich geheftet. Er ist kein Enthusiast, aber auch kein kalter, verschlossener Mensch, er ist sehr empfindlich für das Schöne, ohne zum Deklamator zu werden. Es freut mich, daß er sich an William schließt, von solchen Menschen kann dieser viel lernen, wenn er erst den geheimen Haß abgelegt hat, den er gegen Wesen fühlt, die ihm überlegen sind.

      Wir sind mit einem jungen, aufbrausenden, sonderbaren Deutschen bekannt geworden, dem sich William ganz und gar hingibt; er heißt Balder und ist auch nur seit kurzem in Paris. Zwei harmonierendere Töne können nicht so leicht ineinanderschmelzen, als diese beiden Seelen: beide sind Enthusiasten, beide poetisch gestimmt, beide begegnen sich mit gleicher Liebe. – Ich mag noch itzt nichts davon merken lassen, daß eine solche Freundschaft, von zweien so ganz gleichgestimmten Wesen geschlossen, sich selbst bald aufzehren muß: es ist ein schnelles aufloderndes Feuer, das aber keine Hitze hat und ohne Dauer ist, denn wo man nicht fremde Fehler und fremde Vorzüge entdeckt, kann man nicht verehren und nicht lieben. – Aber William würde mir doch davon nichts glauben und darum schweig ich lieber, und wenn er selbst mit der Zeit diese Erfahrung macht, so bietet er gewiß seinem eigenen Gefühle Trotz, um sich diese unvermutete Erscheinung abzuleugnen.

      Lebe wohl und antworte mir bald.

      2

      William Lovell an Eduard Burton

      Paris.

      Paris, liebster Freund, mißfällt mir höchlich; ich denke oft an Dich und an das einsame Bondly zurück, wenn ich mich hier in den glänzenden Zirkeln herumtreibe; dort war meine Seele in einer steten lieblichen Schwingung, hier bin ich verlassen in Felsenmauern eingekerkert, ein wüster Müßiggang ist mein Geschäft, vom Geschwätze betäubt, von keiner Seele verstanden. Doch nein, ich will mich nicht an dem Schicksal versündigen, ich habe hier einen Menschen gefunden, wie ihn mein Herz bedarf, ich habe auch hier einen Freund, der mich für so viele verlorne Stunden entschädigt. Ich habe die Bekanntschaft eines jungen Deutschen gemacht, er heißt Balder, ein Jüngling, dessen Seele fast allen Forderungen entspricht, die meine übertreibende Empfindung an einen Freund macht; er ist sanft und gefühlvoll, sein Herz wird leicht von der Schönheit und Erhabenheit erwärmt, fast allenthalben treffen sich unsre verwandten Geister in einem Mittelpunkte, ohne daß doch unsrer Natur jene Nuancen mangeln, die, wie man behauptet, in der Freundschaft und Liebe unentbehrlich sind, um beide dauerhaft zu machen. Ich habe nicht, wie er, diesen tiefen Hang zur düstern Schwärmerei, diese Kindlichkeit, mit der er sich an jeden Charakter schmiegt, den er liebt; ich bin kälter und zurückgezogener, meine Phantasie ist mehr in süßen, lieblichen Träumen zu Hause, er ist mit der Unterwelt und ihren Schrecknissen vertrauter. Alles macht auf ihn einen tiefen bleibenden Eindruck, sobald er nur eine schwermütige Seite auffinden kann, die Freude kann ihn nur aus der Ferne beleuchten, wie ein sanfter untergehender Abendschimmer. Sein Äußeres hat daher beim ersten Anblicke etwas Zurückscheuchendes, aber kaum kam ich ihm einen Schritt entgegen, als er sogleich die ganze zwischenstehende Wand niederwarf, die so oft auch die innigsten Freunde noch in manchen Stunden trennt. – Mortimer ist mir um so fremder, er kann kein empfindendes Herz haben, er lacht beständig, oder lächelt in seiner Kälte über meinen Enthusiasmus, auch Balder scheint ihm nicht zu gefallen. Ich zweifle nicht an seinem Edelmute, er spricht, so scheint es mir, oft mit vielem Verstande, er ist älter als ich und kennt die Welt mehr – aber ich zweifle, daß er den holden Einklang jener zarten Gefühle versteht, die sich nur den feinern Seelen offenbaren. – Zuweilen quält er mich wirklich, wenn ich eben unter goldenen Träumen der Zukunft und Vergangenheit wandle, von Deinem Bilde, und der holdseligen Gestalt Amaliens angelächelt; mit ihm zugleich ein andres feindseliges Wesen, das sich zu mir hinandrängt: ein Italiener, ein sogenannter feiner und ausgebildeter Mann – mein Herz kann ihm nicht vertraulich entgegenschlagen, mir ist in seiner Gegenwart ängstlich und beklemmt; ich mag lieber viele Stunden mit dem alten ehrlichen Willy zubringen, sein gutmütiges Geschwätz kömmt aus seinem Herzen, ich weiß, daß er nicht über mich spottet, daß er mich nicht studiert, um seine Menschenkenntnis zu vermehren. –

      Du wirst mir vielleicht wieder Bitterkeit und Übertreibung vorwerfen – mag's! aber ich wünsche nichts so sehnlich, als den Tag, an welchem ich Paris verlasse. Ich finde hier nichts von allem, was mich interessiert. – Die Stadt ist ein wüster, unregelmäßiger Steinhaufen, in ganz Paris hat man das Gefühl eines Gefängnisses, die Pracht des Hofes und der Vornehmen kontrastiert auf eine widrige Art mit der Armseligkeit der gemeineren Klassen; alles erinnert an Sklaverei und Unterdrückung. Die Gebäude sind mit kleinlichen Zieraten überladen, man stößt auf kein Kunstwerk, in welchem sich ein erhabener Geist abspiegelte, die Göttin der Laune und des lachenden Witzes hat alles Große zum Reizenden herabgewürdigt, und so sind aus den männlichen, kraftvollen Urbildern Roms und Griechenlands gezierte und unnatürliche Hermaphroditen geworden. Von dem großen Zwecke, von der erhabenen Bestimmung der Künste, von jenem Gefühle, aus welchem die Griechen ihren Homer und Phidias an die Halbgötter richten – davon ist auch hier die letzte Ahndung verlorengegangen; man lacht, man tanzt – und hat gelebt. – Ach, die goldenen Zeiten der Musen sind überhaupt auf ewig verschwunden! Als sich noch die Götter voll Milde auf die Erde herabließen, als die Schönheit und Furchtbarkeit noch in gleichgefälligen Gewändern auf den bunten Wiesen verschlungen tanzten, als die Horen noch mit goldenem Schlüssel Auroren ihre Bahn aufschlossen und segnende Gottheiten mit dem wohltätigen Füllhorne durch ihre lachende Schöpfung wandelten – ach damals war das Große und Schöne noch nicht zum Reizenden herabgewürdiget. Versinnlicht stand die erhabene Weisheit unter den fühlenden Menschenkindern, an mitfühlende Götterherzen gelangte das Gebet des Flehenden, Götter hielten Wacht an dem Lager des schlafenden Elenden, keine Wüste war unbewohnt, seine Götter landeten mit dem Verirrten an fremde Gestade, Sturmwinde und Quellen sprachen in verständlichen Tönen, in der schönen Natur stand der Mensch unbefangen da, wie ein geliebtes Kind im Kreise seiner zärtlichen Familie – aber itzt, o Eduard, schon oft hab ich es gewünscht und ich sag es Dir ungescheut – ich bedaure es, daß man den entzückten Menschen so nahe an das schöne Gemälde geführt hat, daß die täuschenden Perspektiven verfliegen: wir lachen itzt über die, die sich einst von diesen grobaufgetragenen Farben, von diesen verwirrten Strichen und Schatten hintergehn ließen und Leben auf der toten Leinwand fanden – wir haben den Betrug mit einem dreisten Schritte enträtselt – aber was haben wir damit gewonnen? Die Gestalten sind verschwunden, aber unser Blick dringt doch nicht durch den Vorhang – und wenn er es könnte, würden wir mit diesen körperlichen Augen etwas wahrnehmen? Ist der Mensch nicht zur Täuschung mit seinen Sinnen geschaffen – wie ist es möglich, daß sie jemals aufhöre? – Ich liebe den Regenbogen, wenn man mir gleich beweist, daß er nur in meinem Auge existiere – ist mein Auge nicht ein wirkliches Wesen und darum für mich auch die Erscheinung wirklich? – Ich hasse die Menschen, die mit ihrer nachgemachten kleinen Sonne in jede trauliche Dämmerung hineinleuchten und die lieblichen Schattenphantome verjagen, die so sicher unter der gewölbten Laube wohnten. In unserm Zeitalter ist eine Art von Tag geworden, aber die romantische Nacht- und Morgenbeleuchtung war schöner, als dieses graue Licht des wolkigen Himmels; den Durchbruch der Sonne und das reine Ätherblau müssen wir erst von der Zukunft erwarten. –

      Wie mich alles hier anekelt! – Man spricht und schwatzt ganze Tage, ohne auch nur ein einzigmal zu sagen, was man denkt; man geht ins Konzert, ohne die Absicht zu haben, Musik zu hören; man umarmt und küßt sich, und wünscht diese Küsse vergiftet. Es ist eine Welt voller Schauspieler und wo man überdies noch die meisten Rollen armselig darstellen sieht, wo man die fremdartigen Maschinerien der Eitelkeit, Nachahmungssucht oder des Neides so deutlich durchblicken läßt, daß bei manchen keine Täuschung möglich ist. –

      Ich bin aus Langeweile einige Male ins Theater gegangen. Tragödien voller Epigrammen, ohne Handlung und Empfindung, Tiraden, die mir gerade so vorkommen, wie auf alten Gemälden Worte den Personen aus dem Munde gehn, um sich deutlich zu machen – diese hertragiert, auf eine Art, daß man oft in Versuchung kömmt, zu lachen; je mehr sich der Schauspieler von der Natur entfernt, je mehr wird er für einen großen Künstler gehalten, Könige und Königinnen, Helden und Liebhaber sind mir noch nie in einem so armseligen Lichte erschienen, als auf der Pariser