»Verstanden.«
Jetzt wandte sich Seymour an Stephen Kendrick und Pauline Child vom CDC. »Was können Sie mir über dieses Virus sagen?«, erkundigte er sich.
Kendrick und Child sahen einander an, dann nickte Kendrick und gab seiner Kollegin damit das Okay, die Frage zu beantworten.
Pauline Child beugte sich nach vorn und versuchte mit ihrer Stimme den Lärm der Rotoren zu übertönen. »Vor etwa achtzehn Monaten hat die Universität von Texas eine Erkundungsreise in die Antarktis finanziert, wo man auf eine bislang einzigartige Bakterienform gestoßen ist, die über zweihunderttausend Jahre alt ist und mit keinem uns bekannten Bakterium oder Virus verwandt ist. Als man die Proben sichergestellt und sie aufgetaut hat, wurde der Virus wieder aktiv, nachdem er all die Jahrhunderte vor sich hin geschlummert hat.«
»Und?«, bohrte Seymour weiter nach.
»Wie bei jedem unbekannten Pathogen wurde es als Sicherheitsmaßnahme sofort als B-4 klassifiziert und für weitere Studien nach Atlanta geschickt, bis wir genau wussten, wozu es in der Lage ist.«
»Dieser Virus, hat soeben eine ganze Kleinstadt ausgerottet«, warf Seymour ein. »Er hat alles mit einer ascheähnlichen Schicht bedeckt. Womit genau haben wir es hier zu tun?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das ist keine Asche«, erklärte sie ihm. »Was Sie da gesehen haben, nennen wir die Überreste.«
Verwundert neigte er den Kopf. »Überreste?«
»Dieser Virus, Mr. Seymour, ist die perfekte Tötungsmaschine. Er tötet nicht nur jegliches organisches Leben, sondern auch alle anderen Viren und Bakterien. Es vernichtet einfach alles, was sich in unserer Luft befindet, aber zu klein ist, um mit bloßem Auge wahrgenommen zu werden. Es tötet die Milben, die sich von dem toten Gewebe ihrer Haut ernähren. Es tötet sämtliche Pflanzen und pflanzliches Material wie Bäume oder Unkraut, und das, was Sie da auf dem Boden gesehen haben, sind die Überreste dessen, was das menschliche Auge normalerweise nicht sehen kann, lebendige Partikel, die nur ein Milliardstel unserer Größe haben.«
Diese Erläuterungen beunruhigten Seymour sichtlich und er fragte sich, ob die Schutzanzüge wirklich imstande sein würden, dieses Virus zurückzuhalten.
Als Pauline seinen besorgten Gesichtsausdruck bemerkte, hob sie ihre Hand und winkte ab. »Keine Sorge«, sagte sie. »Diese Anzüge sind eine reine Vorsichtsmaßnahme.«
»Woher wollen Sie das so genau wissen?«
»Wegen der beiden Brüder«, erklärte sie. »Ihnen geht es schließlich gut. Sie sind direkt in die Höhle des Löwen gelaufen und haben offenbar keinerlei Schäden davongetragen.«
»Vielleicht dauert es einige Zeit, bis sich der Virus bemerkbar macht.«
»Negativ. Der Omega-Virus wirkt extrem schnell. Er tötet binnen weniger Augenblicke und besitzt eine Todesrate von einhundert Prozent.«
»Sofern es sich wirklich um den Omega-Virus handelt.«
»Da bin ich mir sicher«, erklärte Kendrick. Es war das erste Mal, dass Seymour den Mann reden hörte. »Anhand der Schilderungen der beiden Brüder und dem, was sie gesehen haben, insbesondere der Leichen, besteht kein Zweifel daran. Wer immer den Omega-Virus in dieser Stadt freigesetzt hat, hat das Ganze offenbar als Testlauf angesehen. Sie haben mit Absicht eine kleine Gemeinschaft ausgewählt, die isoliert genug liegt, um die Resultate ohne äußere Einwirkungen betrachten zu können. Dieser Ort war ein Versuchsgebiet und jeder darin war nichts weiter als ein Testobjekt.«
Damit hatten Seymour und das Department of Counter Terrorism insgeheim schon die ganze Zeit über gerechnet. Als dieses Virus gezielt aus dem Labor in Texas entwendet worden war, war man sich im Team einig gewesen, dass die Täter es zuerst irgendwo testen würden, bevor sie es als Druckmittel verwenden würden. Mit einiger Sicherheit würden die Terroristen später auf Bensenville als Beispiel minimalen Umfangs verweisen, um androhen zu können, welcher Gefahr Primärziele wie New York oder Washington D.C. im Falle des Falles ausgesetzt wären.
»In den Händen von Terroristen und in dicht bevölkerten Gebieten … wozu wäre der Omega-Virus in der Lage?«
Wieder antwortete ihm Kendrick. »Darüber wird noch diskutiert«, meinte er. »In noch laufenden Tests des CDC und in Galveston schien es sich nicht von einer Person auf die nächste übertragen zu können, wie es für Viren normalerweise üblich ist. Es scheint nur seinen Wirt zu befallen und diesen zu töten, bevor das Individuum überhaupt eine Chance hat, es weitertragen zu können. So schnell kann es töten. Aber wenn sie von dicht bevölkerten Gebieten sprechen … nun, jede dieser Ampullen enthält etwa einhundert Millionen Mikroben. Also können Sie es sich ausrechnen.«
Seymour war vollkommen durcheinander. Die erste Frage, die ihm durch den Kopf ging, war: Wieso um alles in der Welt sollte jemand so etwas entwickeln? Doch es war ja gar nicht künstlich erschaffen worden. Es war ein Verteidigungsmechanismus der Natur selbst, der jahrhundertelang im ewigen Eis verborgen gelegen hatte, und wenn es eine Sache gab, die der Mensch nicht bezwingen konnte, dann die Natur selbst – sie war eine Macht, die einem alles zur Verfügung stellte, was man benötigte, es einem aber genauso schnell wieder entreißen konnte.
Noch schlimmer wog allerdings der Umstand, dass sich der Virus nun in den Händen von Terroristen befand, deren Wissen allenfalls sehr dürftig sein würde und die sich mehr für die direkten Konsequenzen als für die wirklichen Folgen interessierten, welche tatsächlich die Ausrottung der gesamten Menschheit sein könnte, wenn der Virus sich weit genug ausbreitete. Diese Menschen dachten nur an Städte, aber nicht an den gesamten Planeten.
Wenn sie aus dem Fenster sahen, konnten sie die kleine Stadt jetzt rasch näherkommen sehen. Selbst aus ihrer Höhe war deutlich zu erkennen, dass der Boden mit einer fürchterlich aussehenden grauen Schicht bedeckt war und dämmrig und trostlos wirkte, obwohl die Sonne sich gerade erst in Richtung Westen wandte.
Als der Hubschrauber wenige Meter von dem Springbrunnen entfernt auf einer quadratischen Fläche landete, wirbelte er grauen Sand in die Luft. Als der Staub sich schließlich wieder legte, ging Seymour nur eines durch den Kopf: Oh mein Gott!
In der Mitte des Quadrates lagen vier staubbedeckte Leichen. Ohne ihre Kleidung wirkten sie beinahe eingefallen. Unter ihnen breiteten sich Lachen aus einer dunklen, klebrigen Flüssigkeit aus.
Als die Truppen aus den Hubschraubern stiegen, teilte Seymour sie unverzüglich in zwei Teams auf. Eines sollte Seymour und Child, das andere Melbourne und Kendrick folgen. Sie sollten ausschwärmen und nach Überlebenden suchen, und – sofern sie welche fanden – diese unter Quarantäne stellen. Falls sich jemand wehren sollte, waren die Befehle klar: sie zu töten, um eine weitere Ansteckung zu verhindern.
Während Melbourne und Kendrick mit ihrer Einheit den östlichen und nördlichen Teil der Stadt übernahmen, blieb Seymour bei den Leichen in der Mitte der Stadt zurück und deutete fragend auf die Toten, während er sich an Pauline Child wandte: »Würden Sie mir verraten, wieso die so aussehen?«, fragte er.
Die Leichen waren mit einer feinen Schicht aus grauem Staub überzogen, den Überresten. »Der Omega-Virus ist darauf ausgelegt, jegliche Materie in ihre reinste flüssige Form zu zersetzen, aus der der menschliche Körper bekanntermaßen zu sechzig Prozent besteht.«
Er sah sie an. »Dann sprechen wir hier also von einer Art Ebola … etwas, das Organe verflüssigen kann?«
»Nein«, antwortete sie ihm. »Die Vorstellung, dass Ebola die Organe eines Menschen verflüssigt, ist ein Irrtum. Ebola löst im Körper starke innere Blutungen aus, was den Eindruck vermittelt, die Organe würden zerfließen, was in Wirklichkeit aber nicht stimmt. Es gibt kein bekanntes Virus, welches mit dem Omega-Virus vergleichbar wäre. Dieser Virus befällt seinen Wirt und zersetzt die Knochenstruktur, bis die Knochen schließlich so brüchig werden, dass sie in kleine Splitter nicht größer als ihr Daumennagel zerfallen. Danach zersetzen sich die