Zenjanisches Feuer. Raik Thorstad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Raik Thorstad
Издательство: Bookwire
Серия: Zenja
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238329
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war mindestens ebenso aufgeregt wie die ihn umgebenden Menschen. Er plusterte sein Gefieder auf, breitete jedoch nur den Geryim abgewandten Flügel aus, bevor er ihm den Schnabel entgegenreckte. Die vertraute Geste entlockte Geryim ein trockenes, kraftloses Auflachen und einen stummen Dank an seinen treuen Gefährten. Syv mochte ihn nicht begleitet haben, aber er war dennoch bei ihm gewesen. Syv war immer bei ihm.

      Dann waren die anderen wieder da. Sie gaben ebenso viel Wärme ab wie die Flammen. Hände berührten seine Arme, klopften ihm auf Schultern und Rücken. Er wollte sie bitten, damit aufzuhören und ihm lieber einen Umhang zu geben, doch er brachte kein Wort heraus.

      Er wusste nicht, seit wann ihm die Zähne klapperten, doch nun schlugen sie so heftig aufeinander, dass sich zu all den übrigen Schmerzen ein warnendes Ziehen in den Zahnwurzeln gesellte. Das Feuer reichte nicht. Die Kälte war zu tief in ihn hineingekrochen und er war noch nie so müde gewesen.

      Geryim hob in einem schwachen Versuch, sich bemerkbar zu machen, die Hände. Die Stimmen waren zu zahlreich, zu laut. Es interessierte ihn nicht einmal, ob sie ihn bejubelten oder beschimpften. Er brauchte… brauchte…

      Eine Hand legte sich auf seinen ausgekühlten Arm. Jemand sagte etwas und das so überzeugend, dass es Wirkung zeigte. Sie ließen von ihm ab. Geryim spürte, wie er vorwärts gezogen wurde und wunderte sich nicht, dass er kaum länger einen Fuß vor den anderen setzen konnte. Ob sie das Herz den Flammen überantwortet hatten, wie es sich gehörte?

      Eine Zeltplane hob sich. Er kämpfte mit dem Gleichgewicht, als er sich unter ihr hindurchschob. Dann schloss sich der Eingang hinter ihm und sperrte die Welt aus.

      Geryim sackte nach vorn. Er landete auf den Knien und dicht neben einer weiteren Feuerstelle, die das niedrige Zelt zuverlässig aufgeheizt hatte. Das plötzliche Fehlen des Windes, die Erkenntnis, wie durchgefroren er war, löste neue Schmerzen aus.

      Neben ihm bewegte sich etwas. Ein Umhang fiel zu Boden, aber Geryim konnte seine Hände nicht überreden, nach ihm zu greifen. Dann kauerte jemand an seiner Seite. Es war der Maskierte. Er hielt Geryim mit einer Hand einen Laib Brot entgegen, während er mit der anderen am eigenen Hinterkopf nestelte. Als die Maske fiel, hatte Geryim bereits die Zähne in das Brot geschlagen.

      Sothorn lächelte, aber es lagen nicht nur Freude und Erleichterung in seinen dunklen Augen. Die offenkundige Sorge ließ Geryim zum ersten Mal einen Blick auf seinen Oberschenkel werfen. Die Wunde war die einzige heiße Stelle an seinem Körper.

      »Was war es?«, fragte Sothorn trügerisch leise. Vermutlich ein Versuch, seine Anspannung zu verbergen.

      »Ein Keiler.« Ruppig riss Geryim das Brot in zwei Hälften und grub mit den Fingern im weichen Kern.

      Sothorn nickte mit zusammengepressten Lippen. »Er hat dich erwischt.«

      »Ja.«

      »Lass mich danach sehen. Es sei denn, ich soll lieber Szaprey oder Lilianne…«

      Geryim schüttelte den Kopf. Er wollte keinen der anderen um sich haben. Nicht in dieser Nacht.

      Während er sich einen Bissen Brot nach dem anderen in den Mund stopfte und damit endlich das Fasten brach, drückte Sothorn ihn auf den Rücken. Dann nahm er sich der Wunde an. Mit behutsamen, wenn auch ungeschickten Bewegungen reinigte er sie und legte einen leichten Verband aus sauberem Leinen an. Er musste auch eine Salbe dazugegeben haben, denn auf einmal lag ein blumiger Geruch in der Luft und überforderte Geryims nach wie vor eiskalte Nase.

      Als seine taubgefrorene Haut zu neuem Leben erwachte, nahm das Zittern zu. Er fühlte sich hilflos angesichts der krampfartigen Wellen, die ihn erfassten. Sothorns warme Hände bildeten seinen einzigen Halt. Mit ihnen kam die Erinnerung an das, was Geryim sich von dieser Nacht erhofft hatte.

      Erstaunt fragte er sich, warum er nicht glücklicher war. Es war ihm gelungen. Er war nun ein Mann. Dass Sothorn in dieser Nacht bei ihm blieb, dass sie ein Zelt teilten, war nicht länger etwas, das ihn vor Schuldgefühlen verzehren musste. Und doch… Würde es je genug sein?

      Für den Moment schon, befahl Geryim sich. Er hatte es sich verdient. Er hatte sich Sothorn verdient.

      Seitdem er Sothorn in der Spelunke Zur tanzenden Schiffsratte zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er sich immer wieder heimlich und fast gegen seinen Willen ausgemalt, wie diese Nacht verlaufen könnte. Er hatte sich vorgestellt, wie er vor Stolz bebend den Beweis seines Jagderfolgs erbrachte, das Herz übergab und sofort über Sothorn herfiel; ob nun vor den Augen Dritter oder während sie allein waren. Alles, worauf es ihm angekommen war, war, dass sie sich in ihrer Lust verloren und anschließend darin schwelgten, ohne dass einer von ihnen verschämt das Lager des anderen räumen musste. Dass sie zusammen einschlafen konnten, ohne sich im Licht des neuen Tages unwohl zu fühlen.

      Geryim spürte ein zögerliches Lächeln an seinen Mundwinkeln zupfen. Hätte er nur ein bisschen mehr Geduld aufgebracht und bis zum Frühjahr gewartet, wären seine Träume Wirklichkeit geworden. Doch mit dem Winter als Gegner war er viel zu erschöpft, um Sothorn auf sich zu ziehen, geschweige denn die entscheidenden Teile seines Körpers zur Mitarbeit zu bewegen.

      Draußen erklangen Gesang und Gelächter, dazu das helle Spiel von Liliannes Flöte. Die Bruderschaft würde an seiner Stelle feiern. Dank des Bocks, den Varn am Vorabend geschossen hatte, war ihnen ein Festgelage sicher.

      Ein erneuter Zitteranfall bahnte sich bebend seinen Weg durch Geryims Körper. Ihm dämmerte, dass Sothorn dazu übergegangen war, ihm mit warmem Wasser das Blut abzuwaschen. Es war nicht die Art Zuwendung, die Geryim wollte.

      »Lass es gut sein«, murmelte er mit schwerer Zunge. »Ich kümmere mich morgen um den Rest.«

      Sothorn verharrte in der Bewegung. Der feuchte Stoff lag mittig auf Geryims Bauch. »Wie du willst.« Er zögerte. »Soll ich…?« Sein Nicken in Richtung Zelteingang war kaum zu erkennen und erfüllte Geryim augenblicklich mit Widerwillen.

      »Nein«, sagte er so hastig, dass es Sothorn ein Grinsen entlockte. »Nein«, wiederholte er dann noch einmal.

      Ihm lagen mehr Worte auf der Zunge. Manche wollten sich zu Dank zusammensetzen, andere zu Versprechen, die er wahrscheinlich nicht halten würde, oder gefährlichen Geständnissen. Deshalb schwieg er.

      Er konnte jedoch nicht verhindern, dass er Sothorns Unterarm berührte. Oder dass seine Finger dessen Handgelenk umfassten und ihn nach vorn zogen.

      Sothorn sank willig neben ihm auf die Decken und schlug sie so schnell über ihnen zusammen, als hätte er seit Betreten des Zelts darauf gewartet.

      »Komm her«, flüsterte er in das Halbdunkel, bevor er Arme und Beine um Geryim schlang. Wann immer er seine Kleidung abgestreift hatte, es war ein Segen, sich an seine bloße Haut zu drängen und seine Wärme zu teilen.

      Geryim hörte sich selbst aufatmen und legte das Kinn auf Sothorns Schulter. Morgen würde sich zeigen, zu was er heute Nacht herangewachsen war. Bis dahin wollte er die Ruhe genießen, die sich über ihm ausbreitete. Sie besuchte ihn selten genug und meistens blieb sie nicht halb so lange, wie er es sich wünschte.

      »Geryim?« Die Frage war nicht nur zu hören, sondern auch zu spüren, als Sothorns Atem über seine Haut hinwegstrich.

      »Ja?«

      »Das war das einzige Ritual, richtig? Ich werde nicht noch einmal mit ansehen müssen, wie du dich nackt und nur mit einem Dolch bewaffnet in irgendeinen Wald schlägst?«

      Sothorns Frage bewies, dass selbst Meuchelmörder wie sie, die jahrelang nicht mehr als lebende Waffen gewesen waren, Grenzen hatten. Auch sie konnten den Tod nur bis zu einem gewissen Punkt hofieren.

      Geryim rieb kaum merklich die Wange an Sothorns, um sowohl ihn als auch sich selbst zu beruhigen. »Nein, das wirst du nie wieder mit ansehen müssen«, versprach er.

      Es war keine Lüge – und dennoch nicht die ganze Wahrheit.

      Kapitel 2

      Im Schatten des Riesengebirges

      Sothorn