Zenjanisches Feuer. Raik Thorstad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Raik Thorstad
Издательство: Bookwire
Серия: Zenja
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238329
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barst. Ein grauenerregendes und gleichzeitig tief befriedigendes Schmatzen war zu hören, gefolgt von einem Ächzen.

      Der Schmerz traf Geryim so unerwartet, dass er versucht war, die Augen zu verdrehen. Er konnte die Hitze spüren, die ihm über das Bein rann, und mit ihr das aufgeregte Flattern in seiner Kehle.

      So sollte es nicht enden, ging es ihm durch den Kopf. Das ist nicht richtig.

      Dann hörte er das Stöhnen. Es erklang über ihm und drückte ihn gemeinsam mit einem unerklärlichen Gewicht in den Schnee. Die Last war kaum erträglich und dasselbe galt für das Gefühl des rauen Fells, das sich in seinen Mund drängte.

      Ein Hauch von Bewusstsein schlich sich wie das Flackern einer Kerze in einer nachtschwarzen Kaverne an ihn heran. Er spuckte aus und schmeckte Blut. Seine suchenden Hände fanden zitternde Flanken, die sich unter gewaltsamen Atemzügen hoben, nur um gleich darauf ineinander zu fallen.

      Der Tod kam auf leisen Sohlen. Er besaß keine Gestalt außer den schaurigen kleinen Lauten, die Geryim in seinem Brustkorb widerhallen spürte. Es waren nicht seine eigenen. Er wandte sich innerlich wie äußerlich seinem Gegner zu und strich durch dessen Fell, als wäre der Keiler ein Freund, der getröstet werden musste. Im Grunde war er das auch.

      »Danke«, hörte Geryim sich raunen. »Danke für dein Geschenk.«

      Einer Antwort gleich lief ein letztes Beben durch den schweren Leib. Dann lag das gewaltige Tier still, Geryims Dolch nach wie vor in der breiten Brust versenkt.

      * * *

      Als Geryim zu sich kam, war er bereits auf halbem Weg zur Küste. Zuerst bemerkte er den Schmerz, der von allen Seiten auf ihn eindrang und sich in seinem rechten Oberschenkel verdichtete. Dann spürte er das Gewicht in seiner Hand und dachte, dass es nicht recht war, nur das Herz seines Gegners heimzubringen.

      In einem anderen Leben wäre er ebenfalls erschöpft nach Hause gestolpert – wahrscheinlich stolzer, als er es jetzt war – und hätte den Beweis für die erfolgreiche Jagd seinem Stamm gezeigt. Im Anschluss wären einige seiner Brüder und Schwestern aufgebrochen, um sich des Keilers anzunehmen. Die Wargssolja verschwendeten niemals auch nur eine Faser eines erlegten Tieres und fingen sogar dessen Blut auf. Es war nicht ehrenhaft, ein Leben zu nehmen, nur um die Gabe verwesen zu lassen. Aber Geryim war nicht bei seinem Stamm und die, die ihn begleiteten, wussten es nicht besser.

      Je länger er unterwegs war, desto schmerzhafter krampften seine Muskeln. Außerdem wurde er sich der Schwäche bewusst, die bisher von Anspannung und Aufregung übertüncht gewesen war.

      Sothorn war dagegen gewesen, dass er vor der Jagd tagelang fastete. Hatte gemeint, dass keiner von ihnen derzeit gut genug genährt war, um freiwillig auf Essen zu verzichten, und dass die Kälte ihr Übriges tun würde, seine Kraft auszuzehren. Er hatte nicht verstanden, dass Geryim es richtig anfangen musste, wenn dieses Ritual etwas wert sein sollte. Entsprechend düster war Sothorns Blick gewesen, als sie sich voneinander verabschiedet hatten.

      Vor ihm tauchten die Überreste einer ausgebrannten Feuerstelle auf, die er allzu gut kannte. Geryim zog die Oberlippe hoch und gab ein Geräusch zwischen Fauchen und Schnarren von sich. Von hier war er aufgebrochen, was mit anderen Worten bedeutete, dass sein Marsch durch die Nacht lange nicht beendet war. Er hatte gehofft, in seinem traumverlorenen Zustand weiter gekommen zu sein.

      Er umfasste das inzwischen kalte Herz des Keilers fester und kreuzte die Arme vor der Brust, um seinen nackten Oberkörper zu schützen. Die Kälte gewann mit jedem Wimpernschlag an Biss. In ihrem Schatten lauerte die Verlockung, sich in den Schnee fallen zu lassen und auszuruhen. Wenn er erst einmal schlief, konnte der Frost ihn zudecken, ohne dass er Geryim erreichen konnte. Es hieß, im letzten Augenblick vor der großen Dunkelheit würde alles warm und weich. Wie eine lang ersehnte Umarmung.

      Geryim drückte das Kinn auf die Brust. Es war eine andere Umarmung, nach der er sich sehnte. Und wenn er erst das Lager erreicht hatte, würde sie ihm erstmalig zustehen. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit einer Willenskraft, die ihm selbst sein zitternder Körper nicht nehmen konnte.

      Einen unbestimmten Zeitraum später spürte er ein vertrautes Ziehen in seinem Hinterkopf, eine zaghafte Anfrage, gefolgt von einem Gefühl der Erleichterung, als er das innere Tor öffnete. Syv stand ganz in der Nähe hoch am Himmel und rief Geryim zu sich. Wahrscheinlich trug sein Schrei bis an die Küste und kündigte seine Rückkehr an.

      Bald, versprach er Syv wortlos. Bald ist es vorbei und dann kannst auch du dich schlafen legen.

      Syv sandte ihm ein Gedankenbild seiner selbst, wie er den Kopf unter dem Flügel barg und die Federn gegen die Kälte aufstellte. Etwas Tröstliches ging davon aus.

      Geryim roch das Feuer, bevor er es sah. Der Angriff des Feuerelementars auf ihre einstige Heimat lag Monate zurück und doch nicht lange genug, als dass Geryims erste Reaktion nicht aus einem scharfen Luftholen bestanden hätte. Dann lieferte sein Verstand ihm eine weit friedlichere Erklärung für den Rauch und mit ihm die Erinnerung an die Unterstände und Zelte, die die Bruderschaft auf dem kargen Grasstreifen zwischen Strand und Wald errichtet hatten.

      Geryim rief seine letzten Kräfte wach und verlängerte seine Schritte. Der Boden war abschüssig und der Schnee von zahlreichen Sohlen sowie einigen Pfoten und Hufen zertreten. Jedes Mal, wenn er die Richtung anpassen musste, um einen Baumstamm zu umrunden, sprang vor ihm ein flackernder Lichtpunkt umher. Erst im Näherkommen erkannte er, wie groß das Feuer war, das sie zu seinen Ehren in den Himmel schlagen ließen. Die Brust wurde ihm eng und drohte, unter seinem Herzschlag zu bersten. Ihre Stimmen riefen ihn zu sich.

      Fast geschafft.

      Mit seinem Eintreten in den Lichtkreis erstarb jeder Laut. Geryim spürte die Blicke der Bruderschaft – eine Reihe dunkler Gestalten gegen den fast schwarzen Nachthimmel – auf sich ruhen und ihr Schweigen ließ ihn beinahe glauben, taub geworden zu sein.

      Dann trat eine der schattenhaften Gestalten auf ihn zu. Eine bleiche Maske verdeckte ihre rechte Gesichtshälfte. Der Widerschein der Flammen tanzte über die kunstvoll in den Knochen geschnittenen Vertiefungen und erweckte ihn zu neuem Leben.

      Die rituelle Frage schwebte Geryim entgegen. »Was bringst du mir, Sohn des Wargen?«

      Er richtete sich auf. »Ich bringe dir das Herz meines Gegners«, erwiderte er und war überrascht, wie kräftig seine Stimme klang. Er hatte ein mattes Fisteln erwartet.

      »Hast du ihn auf ehrenhafte Weise erlegt?«, fuhr der Maskierte mit der Befragung fort. Sein grauer Pelzumhang bewegte sich im selben Küstenwind, der Geryims Körper beutelte.

      »Ja, bei meiner Ehre.«

      »Hast du dein Leben in Gors Hände gegeben, auf dass seine Macht von dir Besitz ergreifen konnte?«

      »Ja, bei der Weisheit meines Vaters und der Stärke meiner Mutter.«

      »Bist du dem Tier, das man dir sandte, im selben Kleid begegnet, in dem es dir gegenübergetreten ist?«

      »Ja, bei der Ehre meiner Ahnen.«

      Eine mit Runen bemalte Hand nahm Geryim das Herz ab. Für einen Augenblick betrachtete der Maskierte es, als suche er nach einem Makel. Dann berührte er mit dem kalten Fleisch seine Stirn und rief: »Ich sehe und bin dein Zeuge. Ich erkenne deine Beute an. Ich erkenne deine Taten an. Du hast bewiesen, dass du den Mut besitzt, dich der Wildnis und Gors Gericht zu stellen. Du hast bewiesen, dass du ein Zelt und eine Familie ernähren kannst. Gor heißt dich in seinen Reihen willkommen und schenkt dir seinen Segen. Und so grüße ich dich, Geryim, von diesem Tag an von Mann zu Mann.«

      Es waren nur Worte. Geryim hatte sie den Maskierten selbst gelehrt. Niemand von seinem Stamm war vor Ort, um seinen Eintritt ins Mannesalter zu bezeugen. Dennoch traf ihn die Verkündigung bis in den Kern und nahm ihm ein Gewicht von den Schultern, das ihn in der Vergangenheit manches Mal zu Boden gedrückt hatte.

      Das Knistern des Feuers war ganz nah und über ihm ertönte das Rauschen gewaltiger Schwingen. Jemand rief etwas. Gleich darauf wurden zahllose Stimmen laut, lachten, jubelten. Auf einmal sah er sich von Gestalten umringt. Sie sprangen erst