Sie kannten sich schon lange. Vor ihrer Ehe mit dem Arzt Dr. Jürgen Schoeller war Isabel eine bekannte Journalistin gewesen, und niemand hatte es für möglich gehalten, daß ihr das Leben auf der Insel der Hoffnung auf die Dauer behagen würde. Aber Isabel trennte sich von Mann und ihren Kindern und der Insel tatsächlich nur, wenn sie in München einkaufen mußte. Freilich freute sie sich dann auch, mit den Nordens beisammen zu sein, mit denen sie eine herzliche Freundschaft verband.
Selbstverständlich hatte sie sich auch sofort bereit erklärt, Hedi Röcken mitzunehmen.
»Ist überhaupt noch Platz?« fragte sie.
»Ich habe mit Paps schon telefoniert«, erwiderte Fee. »Du weißt ja, daß er uns nie einen Korb gibt. Ich kann manchmal nur staunen, daß es überhaupt keinen Leerlauf gibt.«
»Wir sind auch schon für’s nächste Jahr ausgebucht«, erklärte Isabel. »Ist doch fein, endlich wirft die Insel Gewinn ab. Die Belastungen sind getilgt. Das zehnjährige Bestehen der Insel der Hoffnung kann groß gefeiert werden.«
»Wenn dazu Zeit ist«, meinte Daniel schmunzelnd.
»Die wird sich genommen, das schwöre ich euch«, sagte Isabel.
»Ich habe nicht gedacht, daß wir so rasch Gewinn erzielen würden«, sagte Daniel.
»Hannes hat halt die richtige Frau gefunden«, meinte Isabel verschmitzt. »Ich kann Anne immer nur bewundern.«
»Und wir hätten nie gedacht, daß dir dieses Leben gefallen würde, Isabel«, sagte Fee.
»Gefallen ist gar kein Ausdruck. Ich weiß doch erst jetzt, was tiefinnerliches Glück ist. Ich habe es euch zu verdanken. Auf daß wir es noch lange genießen können«, sagte sie, ihr Glas hebend. »Was sonst so alles in der Welt passiert, kann einem doch nur Angst einjagen.«
Sie richtete ihren Blick auf Daniel. »Hast du nicht mal gesagt, daß du deine Praxis aufgibst, wenn Hannes ins Rentenalter kommt?«
»Er denkt doch gar nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen«, sagte Daniel.
»Und wir werden ihm nicht das Gefühl geben, daß er eigentlich ins Rentenalter kommt«, warf Fee ein. »Ein paar Allgemeinmediziner werden hier auch noch gebraucht.«
»Die großen Idealisten«, sagte Isabel gedankenvoll. »Die anderen spezialisieren sich und haben geregelte Sprechzeiten, und dann ist Feierabend.«
»Beschrei es bitte nicht«, seufzte Fee. Und es dauerte nicht lange, da läutete schon das Telefon.
Es war Rolf Hanson. Er entschuldigte sich wegen der späten Störung. Alice Valborg sei zu ihm gekommen, einem Nervenzusammenbruch nahe. Ob es wohl möglich sei, daß Dr. Norden kommen könne.
»Da kann ich schlecht nein sagen« erklarte Daniel. »Es handelt sich um die Valborg.«
»Was fehlt ihr denn?« fragte Isabel aufhorchend.
»Fee kann es dir erklären. Ich werde hoffentlich bald zurück sein«, erwiderte Daniel.
*
»Sie hat eine Kehlkopfentzündung«, erklärte Fee.
»Das ist schlimm in diesem Beruf«, meinte Isabel, »und langwierig. Und sie muß doch jetzt schon über vierzig sein. Da kommt die Existenzangst dazu.«
»Doch nicht, wenn man so viel verdient hat«, sagte Fee.
»Sie hat auch viel einstecken müssen«, sagte Isabel. »Ich kann mich noch gut erinnern. Ich hatte mal ein Gespräch mit ihr, als ich noch die rasende Reporterin war. Da hatte sie gewaltige Scherereien mit ihrem Bruder. Der Name Rex Borg sagt dir wohl nichts?«
»Nein«, erwiderte Fee.
»War ein ganz bekannter Schauspieler. Kometenhafter Aufstieg und ebenso schneller Sturz. Nur wenige Eingeweihte wußten, daß er der Bruder von der Valborg war. Borg ist ihr richtiger Name. Sie hat sich aber nie mit ihrem Bruder verstanden, und dann hat er auf ihren Namen gepumpt, soviel ich mich erinnere. Die Aufregung schlug ihr schon damals aut die Stimmbänder, daran erinnere ich mich genau. Sie ist übersensibel.«
»Und eine großartige Schauspielerin«, sagte Fee.
»Aber nie ihrer selbst sicher, ob sie wirklich so spielt, wie andere es sehen wollen. Ich bin sehr gespannt, was Daniel erzählt.«
Dr. Norden fand eine verzweifelte Frau vor, die kein Wort über die Lippen brachte, so sehr sie sich auch quälte.
Rolf Hanson erklärte dem Arzt, daß sie eine schreckliche zusätzliche Aufregung gehabt hätte und voller Angst sei.
»Es könnte ihr sicher helfen wenn sie bald zur Insel der Hoffnung fahren könnte, Herr Doktor«, sagte Irene. »Wäre es wohl möglich?«
»Es wird einzurichten sein, wenn sie einverstanden ist«, sagte Dr. Norden. »Wir haben gerade Besuch von Frau Schoeller. Sie nimmt übermorgen noch eine andere Patientin mit zur Insel, Frau Röcken.« Er sah Rolf Hanson an, und dessen Augen wurden ganz weit. Aber auch Alice Valborg tat durch Handbewegungen kund, daß etwas sie sehr bewegte und zugleich ihre Zustimmung fand. Sie schrieb etwas auf einen Block, da sie wieder nur ein Krächzen hervorbrachte.
Isabel Schoeller, geborene Guntram? las Dr. Norden.
»Ja, um sie handelt es sich«, erwiderte er.
Alices Gesicht entspannte sich. Tränen rollten plötzlich über ihre Wan-gen, und sie nickte immer wieder.
Das konnte man als Zustimmung auffassen, und sie schrieb es dann auch auf.
»Gut, dann halten Sie sich bereit, gnädige Frau«, sagte Dr. Norden. »Übermorgen vormittag geht die Reise los. Wo kann Frau Schoeller Sie abholen?«
»Bei uns«, sagte Irene rasch. »Sie kam schon mit Sack und Pack«, raunte sie dann Dr. Norden zu, als sie ihn zur Tür begleitete. Rolf Hanson hatte sich Alices angenommen. »Sie hat Angst«, fuhr Irene fort. »Da steckt wohl mal wieder ihr Bruder dahinter, aber sie schämt sich seiner so, daß sie nicht darüber redet.«
»Was wissen Sie über ihn?« fragte Dr. Norden.
»Nichts, seit er als Schauspieler vergessen ist. Daran ist er aber selbst schuld. Durch seinen Lebenswandel ist er total heruntergekommen. Er hat dann das Glück gehabt, eine recht vermögende Frau zu heiraten, aber das wissen wir auch nur von Alice. Er war völlig von der Bildfläche verschwunden. Alice ist sehr introvertiert. Sie teilt sich niemandem mit. Glauben Sie, daß ihr geholfen werden kann?«
»Es ist wie ein Krampf, der sich lösen muß«, erwiderte er. »Mein Schwiegervater ist ein guter Psychologe. Nur eine darauf ausgerichtete
Therapie kann da wohl helfen, aber natürlich wird sie auch gründlich untersucht werden. Jetzt ist sie völlig verkrampft. Geben Sie ihr einen Schlummertrunk. Ich lasse Ihnen diese Tropfen hier, oder nimmt sie starke Medikamente?«
»Das glaube ich nicht. Sie hat eine panische Angst vor Betäubungsmitteln, seit ihr Bruder sich durch Drogen ruinierte. Seinerzeit wurde das Mode. Man kann wirklich froh sein, wenn die Familie mit so was nicht konfrontiert wird. Was meinen Sie, welche Angst ich manchmal um unsere Kinder ausgestanden habe. Man kann sie ja nicht an die Kette legen.«
»Sie haben liebevolle, vernünftige Eltern«, sagte Dr. Norden beruhigend, »aber ich verstehe solche Ängste. Oft genug habe ich damit zu tun.«
»Und leider ist es ja so, daß man immer Entschuldigungen findet. Wenn es sich um Leute handelt, die bekannt sind. Ein armer Schlucker wird gleich verdammt, wenn er zur Spritze oder Flasche greift, aber die Prominenz wird verteidigt.«
»Bewahren Sie sich Ihren gesunden Menschenverstand, Frau Hanson«, sagte er »Sie gehören doch auch zur Prominenz.«
Sie lächelte ganz flüchtig. »Der Name Hanson bürgt wirklich für Qualität«, erwiderte