»Nein, das ist vorbei, aber Dr. Norden mag schon recht haben. Was heute wichtig ist morgen nichtig. Ich ärgere mich nur, daß ich andere Angebote abgelehnt habe.«
»Du wirst wieder welche bekommen, aber du erholst dich erst mal gründlich«, sagte Simone. »Ich war viel zu egoistisch.«
»Jetzt fang nicht damit an, mein Liebes. Jetzt machen wir uns einen Kaffee, und dann muß ich überlegen, was ich mitnehme.«
»Zuerst das, was noch unbedingt besorgt werden muß. Das mache ich dann gleich nachher«, sagte Simone.
Einen Hintergedanken hatte sie freilich dabei auch. Von zu Hause aus mochte sie nicht telefonieren. Frei von Gewissensbissen war sie auch nicht, denn noch nie hatte sie Heimlichkeiten vor ihrer Mutter gehabt, aber nun schien ihr Hansons Angebot doch sehr verlockend, und sie brauchte sich nicht jeden Tag eine neue Ausrede auszudenken, warum sie so oft und so lange fern war, denn das hätte ihre Mutter doch stutzig gemacht, da sie sehr selten allein ausging. Einmal im Monat traf sie sich mit ein paar Schulfreundinnen zum Bowling, im Winter zum Schlittschuhlaufen, oder sie ging auch mal schwimmen.
Hedi Röcken war keine egoistische Mutter, die ihr einziges Kind nur für sich haben wollte und da sie selbst beruflich sehr angespannt gewesen war, hatte sie Simone sogar zugeredet, doch allein etwas zu untemehmen, um unter Gleichaltrige zu kommen. Angst hatte sie stets nur gehabt, daß Simone einmal an den falschen Mann geraten könnte, so wie sie selbst. Das wäre schlimm für sie gewesen.
Diesen Teil ihrer Vergangenheit hatte Hedi noch immer nicht bewältigt. Zu tief war sie in ihrem Stolz getroffen worden, als daß sie diese Zeit ganz aus ihrem Gedächtnis verbannen konnte. Sie hatte diesen Mann geliebt und alle Konsequenzen daraus gezogen, bis er dann von ihr verlangt hatte, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Da hatte sie kurzerhand den Schlußpunkt gesetzt, jedoch auch wissend, daß er seine eigenen Wege gehen würde, und wenn sie ihre Simone jetzt betrachtete, dieses liebenswerte, bezaubernde Mädchen, dann wurde es Hedi immer wieder bewußt, um was sie sich gebracht hätte, wenn sie auf das Kind verzichtet hätte, denn sie war auch zu der Überzeugung gelangt, daß jener Mann niemals ein Leben lang bei ihr geblieben wäre.
Aber darüber sprach sie mit Simone nie. Damit sollte ihre Tochter nicht belastet werden.
Simone hatte eine Liste aufgestellt, was alles noch besorgt werden wurde, und sie duldete keinen Widerspruch von ihrer Mutter, daß manches wirklich nicht nötig sei.
»Du wirst es dir gutgehen lassen, Mutschi«, sagte sie weich. »Ich kann doch auch mal was für dich tun, da du solange für mich gesorgt hast.«
»Ich habe mich nie für etwas so überstürzt entschieden, Simone«, sagte Hedi nachdenklich.
»Jetzt fang nicht wieder damit an. Es ist gut so. Ruh dich jetzt aus. Die Koffer packen wir nachher zusammen.«
Und dann ging sie schnell. Ihr er-
ster Weg führte zu einer Telefonzelle. Sie wählte die Nummer von Rolf Hanson.
Es meldete sich eine Männerstimme.
Sie nannte ihren Namen. »Ja, worum handelt es sich?« wurde sie gefragt.
»Über Ihr Angebot. Haben Sie es schon vergessen?« fragte sie bestürzt.
»Ach, Sie wollten wohl meinen Vater sprechen. Ich bin André Hanson. Entschuldigen Sie…«, und dann nahm ihm wohl jemand den Hörer aus der Hand. Eine weiche, warme Frauenstimme tönte nun an Simones Ohr. »Fräulein Röcken? Mein Sohn wußte nicht Bescheid. Mein Mann ist leider noch nicht wieder zurück, aber ich bin informiert. Sind Sie zu einem Gespräch bereit?«
»Ja, ich könnte morgen vormittag früher in die Stadt kommen«, erwiderte Simone zögernd.
»Kommen Sie zu uns«, sagte Irene Hanson. »Wann ist es Ihnen recht?«
»Ich dachte so gegen elf Uhr?«
»Fein, das wird meinem Mann sehr recht sein. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«
Simone war verwirrt über so viel Entgegenkommen, aber es bewies ihr, daß Rolf Hanson keine Unklarheiten aufkommen lassen wollte.
Der Gedanke war beruhigend, und sie meinte für sich, daß in diesem Fall eigentlich auch ihre Mutter keine Einwendungen machen könnte.
Sie machte die Besorgungen, strich gewissenhaft alles von der Liste, was sie gekauft hatte, und nun brauchte sie nur noch die Drogerie aufzusuchen. Und da traf sie Roland Goetz. Er kam gleich auf sie zu, und sie wappnete sich mit Abwehr. Er hatte ihre Mutter gekränkt, und das machte sie zornig.
»Freut mich, Sie zu treffen, Fräulein Röcken«, sagte er. »Wie geht es denn der Mama?«
»Wieder besser. Sie wird jetzt eine längere Kur machen«, erwiderte Simone kühl.
»Oh, ich hätte sie dringend gebraucht«, sagte er.
»Ich denke, Sie haben Ersatz?« fragte Simone anzüglich.
»Nun ja, von Ersatz kann man nicht reden. Ich dachte doch nur, Ihre Mutter entlasten zu können. Hat sie das etwa falsch verstanden?«
»Ich denke, daß sie es richtig verstanden hat, Herr Goetz. Nein, mit meiner Mutter können Sie nicht mehr rechnen. Sie kann sich vor Aufträgen nicht retten, aber ich bestehe darauf, daß sie sich erst mal Ruhe gönnt und nur an sich denkt. Und jetzt habe ich es eilig, weil ich noch einiges besorgen muß. Guten Abend.«
Er stand wie ein begossener Pudel da, aber das konnte Simone nur freuen. Und sie dachte gar nicht daran, ihrer Mutter etwas von dieser Begegnung zu erzählen.
Als sie aber heimkam, läutete gerade das Telefon. Und Simone hörte, wie ihre Mutter »Herr Goetz« sagte. Schnell trat sie neben sie und legte die Hand auf die Muschel. »Du wirst eiskalt und ablehnend sein, Mutsch!« zischte sie.
Hedi war sowieso nicht bereit gewesen, ihrem früheren Auftraggeber Gehör zu schenken. Sie machte es kurz. »Ich fahre übermorgen weg, Herr Goetz, und ich habe auch keine Zeit mehr zu einem persönlichen Gespräch. Nein, ich werde es mir nicht anders überlegen.«
Das Gespräch war beendet. Hedi warf Simone einen schrägen Blick zu, aber in ihren Augen blitzte es beinahe übermütig. »Er hat gesagt, daß er dich getroffen hat. Was hast du ihm denn alles untergejubelt?«
»Daß du mit Aufträgen eingedeckt bist. Es hat ihn geschlaucht Mutsch. Du hast deinen Triumph, aber du hast es wirklich nicht nötig, jetzt wieder umzuschwenken.«
»Du scheinst mich doch nicht richtig zu kennen, mein Herzblatt. Wenn ich einmal nein sage, ist es auch nein.«
Simone sah ihre Mutter nachdenklich an. »Einem solchen Nein habe ich wohl meine Existenz zu verdanken?« fragte sie gedankenvoll.
Hedi griff nach ihrer Hand. »Da muß ich wohl mit einem schlichten Ja antworten.«
Simone fiel ihr um den Hals und küßte sie. »Ich danke dir, liebste, allerliebste Mutsch. Ich danke dir, daß du mir das Leben geschenkt hast und immer eine so wundervolle Mutter warst und bist.«
Hedis Augen wurden feucht. »Ich liebe dich doch so sehr, mein Kleines. Ich wünsche, daß du glücklich wirst. Du sollst nicht immer Rücksicht auf mich nehmen, du sollst nur kritisch sein in der Wahl deines Partners. Und mich sollst du nicht als Anhängsel betrachten, das zu allem Ja und Amen sagen will. Ich weiß, daß du viel realistischer denkst als ich. Aber das Gefühl sollte auch nicht zu kurz kommen.«
Hedi streichelte ihr Haar, und Simone lehnte ihren Kopf an ihrer Mutter Wange. »Wenn ich mal einen Mann kennenlerne, der mir wirklich gefällt, werde ich ihn angeschleppt bringen«, sagte sie mit einem leisen Lachen, »und dann werden wir beide ihn auf Herz und Nieren prüfen. Ohne dich geht es nicht.«
Und als sie dann in ihrem Bett lag, dachte sie: Die fünftausend Euro werde ich mir verdienen, und davon werden wir einen schönen Urlaub machen, aber wenn es dann durch Hanson weitergehen konnte, soll Mutti einverstanden sein. Ich will sie doch nicht belügen, und ich will