DAS ANGEREDETWERDEN ALS PERSON durch andere Personen „erschafft“ nicht die Person eines Menschen, bildet aber die unerläßliche Voraussetzung möglicher Personwerdung. Was kein Stern, was kein Mond, was keine Sonne einem Menschen zu sagen vermag, kann einzig ein Mensch einem anderen Menschen vermitteln und schenken: sein Sein als Person …
Doch nun muß man sehen, daß jede menschliche Anrede, so wesentlich und unverzichtbar sie ist, stets nur begrenzt und bruchstückhaft jene tragende Sicherheit zu schenken imstande ist, deren das menschliche Subjekt in seiner radikalen Ungesichertheit in dieser Welt bedarf. Alles, was Menschen diesbezüglich füreinander tun können, ist nicht mehr und nicht weniger, als einen Hinweis auf ein Absolutes an Bejahung und „Anrede“ zu geben, das, selbst subjekthaft, aller Subjektwerdung zum Grunde liegt. Dieses absolute Subjekt, dessen ein Mensch im Verlaufe seiner eigenen Subjektwerdung inne wird, „erklärt“ als erstes nicht das physische Dasein eines Menschen, es entdeckt sich vielmehr als unbedingte Grundlage des Personseins: Da ist etwas, das immer schon als Subjekt einer „Anrede“ vorausgesetzt wird, damit wir selbst Subjekte werden können. Dieses absolute Subjekt ist das, was in der Religion Gott genannt wird … Wenn ein Mensch nur leben kann, indem er spürt, wozu er leben soll, so traut er diesem Grund seines Existierens auch zu, der Ursprung seiner Existenz zu sein … Jedes menschliche Wort, das den anderen oder uns selbst als Person erreicht, ist Teil und Äußerung jenes absoluten „Urwortes“.
Im Anfang 1129; 1131 f.;1133
ES GIBT NUR EINEN WEG, richtig zu leben, und der ist, heute damit zu beginnen. Glücklich sein können wir heute; unsere Gespräche so gestalten, daß sie in die Tiefe führen, können wir heute. Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit, über neunzig Prozent aller Gedanken, fast hundert Prozent aller Gespräche nur darum sich drehen zu lassen, was das Mittagessen kostet, was die Kleidung kostet, was die Schuhe kosten, was die Wohnung kostet, was der Urlaub kostet, die Krankheit kosten wird, und am Ende eine Summe zu unterzeichnen, die bedeutet, daß wir nie gelebt haben.
Zwischen Staub und Sternen 129
ÜBEN ABER LIESSE SICH und nötig wäre es, im Herzen eines jeden eine Sprechkultur aufzubauen und zu pflegen, die es ihm ermöglicht, von den peinlichen, schmerzlichen, oft schon vergessenen Dunkelseiten des eigenen Herzens und der eigenen Vergangenheit, wenn auch zunächst nur stotternd, zögernd, würgend, mit zugeschnürter Kehle oft, weinend zuerst, schreiend und fluchend, wie auch immer, doch schließlich womöglich dankbar, leiser, ruhiger und eines Tages hoffentlich sogar einmal lachend zu sprechen.
Ich steige hinab in die Barke 203
WENN ES HEISST, daß alles Geschaffene durch das Wort Gottes selbst existiert, dann wird darin die Überzeugung von der grundsätzlichen Liebesfähigkeit und Liebenswürdigkeit aller Dinge ausgedrückt. Ganz besonders sagt es uns, daß wir mit unserem Leben im Grunde einer uns zwar noch nicht wirklich bekannten, aber doch bereits vollendeten Dichtung beiwohnen, wir selber teilhaben an einem tiefen Prozeß des liebenden Erkennens und Benennens.
Was uns Zukunft gibt 13 f.
NIMMT MAN DIE TEXTE … [der Bibel] symbolisch, hat man in ihnen Wegweisungen zur Menschwerdung. Dann geht es nicht mehr um Israel vor dem Sinai; es geht nicht darum, ein bestimmtes Volk wie die Ägypter zu bekämpfen oder beim Durchzug durch das Rote Meer hinter sich zu lassen, so dass sie als Leichen im Meer treiben. Man hat einen Werdegang im Prozess der Vermenschlichung.
Die zehn Gebote 32 f.
GOTT, WENN ES IHN GIBT, ist nichts als befreiende Güte, die aufscheint in jeder Gebärde der Liebe und des Verstehens unter den Kreaturen …
Glauben in Freiheit 19
SIE BRAUCHEN NUR EIN EINZIGES LEBEWESEN, irgendein Stück der Welt wirklich zu lieben, und Sie werden Gott finden im Urgrund und im Hintergrund von allem. Wie immer wir Gott sonst nennen, die Weisheit, die Macht, all das ist nichts, weil diskutierbar, formulierbar. Einzig wenn wir sagen, er ist die Liebe, sprechen wir ihn ganz aus, weil wir dieses Wort gar nie anders aussprechen können, ohne uns selber vollkommen mitzuteilen.
Ich lasse Dich nicht, du segnest mich denn 16 f.
ALL DIE ERFAHRUNGEN dessen, was in der Sprache der akademischen Theologie einmal als „Gnade“ bezeichnet wurde, laufen letztlich darauf hinaus, daß kein Mensch dem anderen vorschreiben kann, was er zu sein oder zu tun hat; er läßt den Anderen gelten – das ist alles! Er „macht“ nicht den anderen – er macht überhaupt nichts, weder für ihn noch mit ihm, er ist einfach für ihn da, wenn der Andere ihn braucht. Diese absichtslose Gegenwart des eigenen Daseins in der Anwesenheit eines Anderen erzeugt in ihrer voraussetzungslosen Zugewandtheit gerade die „Resonanzschwingung“, die nötig ist, um die Personwerdung des Anderen im Gegenüber der eigenen Person zu katalysieren … Gott in diesem Sinne ist das absolute Gegenüber einer reinen Begegnung, das Du oder besser das Ich-Du, das jede Begegnung umgreift und in jeder Begegnung begegnet.
Glauben in Freiheit I 376 f.
[ES IST MÖGLICH] Gott anzureden als unseren „Vater“ und unsere „Mutter“, denn nur im Raum derartiger Worte „vermittelt“ sich fühlbar und ganz, was den Kern aller wirklich religiösen Erfahrung ausmacht: noch einmal von vorn, aus der Wahrheit des eigenen Wesens jetzt, leben zu dürfen unter der Anrede derjenigen Macht, die von Ewigkeit her, wie wir glauben, gemocht und gewollt hat, dass es uns gibt, und die uns gerufen hat bei unserem Namen.
Glauben in Freiheit 377
DER CHRISTLICHE GLAUBE … muss als eine Synthese von personaler Erfahrung und deutenden Bildern, aus individuellem Erleben und kollektiven Chiffren verstanden werden.
Glauben in Freiheit 208
RELIGIÖS GILT, dass nur der eine bestimmte Wahrheit finden wird, der sie von ganzem Herzen benötigt. Das subjektive Moment stellt religiös eine unerlässliche Erkenntnisbedingung dar; wer sie als „nur subjektiv“ oder „rein projektiv“ verwirft, behält nichts weiter übrig als einen Haufen toter Götzen, nichts von dem, was einem persönlichen Gott gleicht … Dass jedoch „Projektion“ nur die Umschreibung für eine standpunktbedingte Verfälschung der Wirklichkeit sei, ist nicht wahr. „Projektion“ – das ist vielmehr so etwas wie der Schein einer Taschenlampe in einem an sich unbeleuchteten Keller: nur wo der Lichtstrahl der Lampe hinfällt, wird etwas sichtbar.
Glauben in Freiheit 49 f.
DER „RUF“ GOTTES ergeht mithin keinesfalls nur „punktuell“, sondern er ertönt, ähnlich der Entwicklungslehre der Hindus, quer durch die gesamte Evolution. Ja, mehr noch: Statt rein religionspsychologisch zu sagen: die „Offenbarung“ Gottes bestehe in der personalen Erfahrung, als Mensch in einer Tiefe angenommen zu sein, die eine Integration einer Vielzahl unbewusster Bilder erlaube, können wir jetzt auch theologisch sagen: Offenbarung ist die personale Vollendung dessen, was durch die „Schöpfung“ in der Natur des Menschen angelegt ist.
Glauben in Freiheit 260 f.
DIE RELIGION DIENT DER „HUMANISATION“ … und der „Personalisation“ des Menschen …, [ein] integrativer Prozess auf dem Hintergrund einer alle Angst umspannenden Geborgenheit im Gegenüber eines absoluten Du, das in der Zuwendung einer anderen menschlichen Person erscheint, sich vollzieht und ermöglicht … Es erscheint nunmehr die „Offenbarung“ Gottes als identisch mit dem Akt der Personwerdung, der durch die Begegnung zwischen Ich und Du zustande kommt … Religion ist … zu verstehen als eine Form der Mitteilung der absoluten Person Gottes, die sich ausspricht in der Personwerdung jedes einzelnen Menschen. Mit anderen Worten: wir werden von Gott, wer immer er sei, wenn das Gesagte gilt, gerade so viel verstehen und zu Gesicht bekommen, als wir im Feld unserer eigenen Personwerdung in der Begegnung mit anderen Menschen zu leben vermögen. Die gesamte „inhaltliche“ Seite der jeweiligen Religionsform ist mithin zu lesen als der symbolische Urgrund, der in die Personwerdung einbezogen werden muss, weil ohne ihn eine Überwindung der Angst in den Tiefenschichten der menschlichen Psyche nicht möglich ist. Also doch „Entgeschichtlichung“? Also doch „gnostischer Synkretismus“? Also doch „Aufhebung der Einmaligkeit Jesu Christi“? Keineswegs. Sondern im Gegenteil! – … wir ahnen zum ersten Mal, was es mit einer Person auf sich