Über uns die Sterne, zwischen uns die Liebe. N.R. Walker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: N.R. Walker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238350
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Kotzen gewesen. Ich war quer durch Victoria gezogen und schließlich in Melbourne gelandet, wo es mir gelungen war, hier und da einen Aushilfsjob zu ergattern.

      Der Punkt war, dass man in kleineren Orten besser zurechtkam als in den Städten. Die Menschen auf dem Land waren vertrauensseliger und oft bedeutete ihnen eine mit Handschlag besiegelte Absprache noch etwas. Die Leute in der Stadt wollten Ausweise und Steuernummern sehen und das war etwas, das ich nicht anbieten konnte.

      Meistens bekam ich genug Geld zusammen, um etwas zu essen zu haben. Manchmal auch nicht. Und ich hatte öfter auf der Straße übernachtet, als ich mir ins Gedächtnis rufen wollte. In einigen Nächten hatte ich darüber nachgedacht, eine Polizeiwache zu betreten und ihnen zu sagen, wer ich war; mich mit Amnesie herauszureden oder so etwas. Aber ich konnte nicht zurückkehren. Ich konnte niemals zurück.

      Daher zog ich nach Westen, als ich von Melbourne genug hatte oder die Leute zu viele Fragen stellten. Ich folgte den Saisonarbeitern im Obstanbau, verbrachte einige Zeit in Geelong, dann in Warrnambool. Dann zog ich nach Südaustralien und verbrachte einige Zeit am Mount Gambier, bevor ich mich in Adelaide wiederfand. Im Land des Weins konnte man sich beim Traubenpflücken leicht etwas Geld verdienen und es gab billige Unterkünfte für die Rucksacktouristen, die ebenfalls zum Arbeiten blieben.

      Ich hatte inzwischen genug Bargeld, um eine Weile damit auszukommen, wenn ich es klug anging. Und wenn ich als Obdachloser ohne Ausweis eines gelernt hatte, dann, mich schlau zu verhalten.

      Jedenfalls was die Straße anging. Inzwischen reichte mir ein Blick, um zu erkennen, wem ich vertrauen konnte und wem ich aus dem Weg gehen sollte. Und während Ethan Hosking nicht viel mehr zustande gebracht hatte, als auswendig die Kataloge von Designern zu zitieren, konnte Aubrey Hobbs Ställe ausmisten, Regale bestücken, Toiletten putzen, Böden wischen, Obst ernten und Weinstöcke hochbinden. Ich konnte vollkommen ahnungslos einen neuen Job antreten – indem ich so tat, als ob ich Bescheid wusste, bis ich es wirklich draufhatte – und kam gut damit durch.

      In der ersten Zeit nach dem Feuer verfolgte ich, wo und wann immer es mir möglich war, die Nachrichten. Und mein Schachzug, meine Brieftasche und mein Handy unter der Feuerschutzdecke zurückzulassen, war genau nach Plan verlaufen. Sie hatten beides gefunden, geschmolzen, aber immer noch als mein Eigentum identifizierbar, nicht weit von Antons Hütte entfernt.

      Sie waren nicht auf meine sterblichen Überreste gestoßen, aber das war bei so großer Hitzeeinwirkung nicht ungewöhnlich, wie der Nachrichtensprecher erklärt hatte. Vier Tage nach dem Feuer war mein Name – nun, der Name Ethan Hosking – offiziell der Liste der Opfer hinzugefügt worden.

      Anton hatte für die Medien voll aufgedreht, hatte in seinem neu geschneiderten Anzug und mit dunkler Sonnenbrille schluchzend dagestanden, als es verkündet wurde, und das Land hatte mit ihm getrauert.

      Der arme, arme Mann, hatten die Leute gesagt. Wie furchtbar tragisch.

      LGBTQI+-Vereinigungen im ganzen Land hatten ihn zum Posterboy für schwule Männer in Führungspositionen der Gesellschaft gemacht und er war nach wie vor ihr Gesicht der Schwulenpolitik.

      Gott, wie sehr er sie an der Nase herumgeführt hatte.

      Er war ein verlogenes, manipulatives, brutales Stück Scheiße. Ich hatte immer noch Albträume von einigen Dingen, die er mir angetan hatte. Ich hatte auf Parkbänken, unter Brücken und in Kartons geschlafen. Ich war von Meth-Süchtigen bedroht und von Verkäufern schief angeschaut worden, weil ich ungewaschen war, und das war immer noch nichts, nichts, im Vergleich zu der Hölle, durch die er mich getrieben hatte.

      Doch dank ihm war ich jetzt stärker.

      Und ich hatte bei diesem Ort ein gutes Gefühl. Sobald ich auf der Insel angekommen war, wusste ich, dass ich mich nicht in den größeren Städten aufhalten würde. Ich blieb zwei Nächte lang in Penneshaw, aber stellte fest, dass ich weiter nach Westen wollte. Die Einsamkeit, das Raue zog mich an. Deshalb ließ ich mich als Anhalter mitnehmen und kam in Hadley Cove an, um mich einem stürmischen Ozean, heulenden Südwinden und dunklen, tief hängenden und unheilverkündenden Wolken gegenüberzusehen.

      Und ich hatte das Gefühl, zu Hause zu sein.

      Ich war mir nicht sicher, ob ich jemals wieder Frieden finden würde, aber bei Gott, hier konnte ich ihn beinahe schmecken. Und ich wollte ihn. Ich wollte einen Ort finden, an dem ich aufhören konnte, wegzulaufen.

      Ob es hier dafür reichen würde, würde die Zeit zeigen.

      Dieser Patrick hatte ziemlich nett gewirkt. Sein Haar war braun, aber sein Bart zeigte Spuren von silber und rot. Seine Augen waren so blau wie ausgeblichener Jeansstoff und er wirkte ein wenig wettergegerbt, als würde er viel Zeit im Freien verbringen. Sein Alter schätzte ich auf ein oder zwei Jahre jenseits der vierzig. Er wirkte ebenso schroff wie die Stadt, in der er lebte, und die Tatsache, dass er am Leuchtturm wohnte, interessierte mich. Er hatte sicher eine ganz eigene Geschichte zu erzählen.

      Und das war das Problem.

      Jeder hatte irgendeine Geschichte zu erzählen, ich selbst eingeschlossen. Und wenn ich es mir erlaubte, jemandem zu nah zu kommen, würde derjenige Fragen stellen, die ich niemals beantworten konnte. Ich hatte mir in den vergangenen sechs Monaten nicht einmal den Luxus erlaubt, Männer anzuschauen. Nicht einmal Rucksacktouristen. Ich konnte es nicht riskieren, dass mir jemand zu nah kam.

      Das war der Preis, den ich zahlen musste.

      »Ich dachte, du könntest die hier brauchen.«

      Ich war gerade damit beschäftigt, das letzte Brett der Verschalung an der Unterseite des Wohnwagens zu befestigen, als jemand mich von hinten ansprach. Ich wäre verdammt noch mal fast aus der Haut gefahren und wirbelte herum, um Patrick vorzufinden. »Heilige Scheiße«, sagte ich und legte eine Hand über mein Herz. »Du hast mich erschreckt.«

      Er hob die Hände in die Höhe und sah drein, als täte es ihm ehrlich leid. Oder als würde er versuchen, ein wildes Tier zu zähmen. »Entschuldige«, sagte er rasch. »Ich wollte dich nicht aufscheuchen.«

      Ich bekam immer noch nicht wieder richtig Luft. »Schon in Ordnung.« Nun gut, ich hatte wohl immer noch an meinem Pokerface zu arbeiten, denn ich wusste, dass ich blass geworden war. Sämtliches Blut war in Richtung Herz gerauscht und ich konnte spüren, dass es nur langsam in meine Wangen zurückkehrte. »Ich habe dich nicht kommen hören.«

      Er zog ein Paar Handschuhe hervor. »Ich dachte, du könntest die brauchen«, sagte er erneut und lächelte, als wäre er nervös. »Ich bin vorhin vorbeigekommen, um mit Frank zu sprechen, aber du warst schon bei der Arbeit. Dir werden die Finger abfrieren, wenn du nichts überziehst.«

      »Oh. Klar.« Ich schluckte schwerfällig.

      »Du kannst die hier nehmen.« Er reichte mir die Handschuhe und musterte mich immer noch, als könnte ich auf dem Absatz kehrtmachen und flüchten. »Sie liegen schon eine Weile bei mir in der Schublade herum. Sie sind mir zu klein.«

      Es war so lange her, dass jemand etwas Nettes für mich getan hatte, dass es sich fremd anfühlte. »Ehm, danke. Ich hatte nicht erwartet, dass es so kalt ist.«

      Patrick hob die Hand in den Wind. »Es kann hier ziemlich heftig werden.«

      Ich nickte, nicht sicher, was ich sagen sollte. Ich war mir sicher, dass er kurz davor war, mir Fragen zu stellen. Daher wandte ich mich wieder der Verschalung zu und rückte sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit, nicht mich. »Ich bin mit der hier schon fast fertig, aber morgen werde ich sie sicher tragen.«

      Er verzog das Gesicht und rang nervös die Hände. »Frank hat gesagt, dass du den ganzen Morgen lang gearbeitet hast. Hast du schon zu Mittag gegessen?«

      Ich starrte ihn an, ohne zu wissen, was ich sagen wollte. Nicht sicher, was seine Beweggründe waren und erst recht nicht, warum ich seine Nervosität süß fand. »Ehm.«

      »Keine große Sache«, antwortete er und hielt das Gesicht in den Wind. »Ich dachte nur, heiße Fish and Chips klingen gut.«

      Oh Mann. Warmes Essen. Fish and Chips klangen nach dem Himmel, eingewickelt in Zeitungspapier.