»Wollte dich nicht erschrecken.« Ich nickte in Richtung der schäumenden, wogenden See. »Sie ist heute aufgebracht.«
Er sah hinaus auf die stürmischen Wogen und lächelte mir rasch zu. »Ehrlich gesagt ist es ziemlich schön.«
Ich kratzte mir den Bart. »Ich habe gehört, dass man sie als grausam, kalt, schroff und höllisch bezeichnet hat. Die einzigen Leute, die sie schön nennen, sind die, die am Ende bleiben.«
Er betrachtete das Wasser und lächelte. Der Wind verfing sich in seiner Kapuze und zerwühlte ihm die Haare. Seine Wangen waren dank der Kälte ebenso rosig wie seine Nasenspitze. Er sah gut aus, daran gab es nichts zu rütteln. Und er war vermutlich fünfzehn Jahre jünger als ich.
Ich zwang mich, beiseite zu sehen. »Was führt dich her?«
»Ich bin auf der Suche«, antwortete er, ohne sich mir zuzuwenden.
»Wonach?« Ich starrte gemeinsam mit ihm auf die unruhigen Wellen. »Arbeit? Ein neuer Anfang?«
Er warf mir einen Blick zu. »So etwas in der Art.«
Ich nippte an meinem Kaffee. »Es gibt hier nicht viel Arbeit. Na ja, das stimmt nicht. Es gibt haufenweise Arbeit. Die ganze Stadt ist verwittert und alt. Nur nicht viel Arbeit, für die bezahlt wird.«
Seine Lippen zuckten.
»Aber du kannst es auf dem Campingplatz versuchen.« Ich ließ mir nicht anmerken, dass ich wusste, wo er untergekommen war. »Der alte Frank Hill, dem der Platz gehört, würde nie Hilfe ablehnen. Instandhaltung, solche Sachen.«
Er wandte sich wieder dem Wasser und dem Wind zu. »Ich habe ihn schon gefragt.«
»Frank ist nur ein grummeliger, alter Kerl, der jeden unter dreißig für einen Hooligan hält. Ich rede mit ihm, wenn du willst.«
»Warum solltest du das tun?«
Ich lächelte und ließ mir Zeit. Warum bot ich diesem Typ Hilfe an? Ich wusste nicht das Geringste über ihn. Sicher, er sah gut aus, aber da war etwas in seinen Augen. Etwas Tiefes, Verborgenes und Brennendes. Etwas grauenhaft Schmerzliches. Etwas, das ich erkannte.
Ich blickte mit ihm auf die wütende See. »Weil du dieses Meer als schön bezeichnet hast.«
Eine Weile sagte keiner von uns etwas. Ich trank meinen Kaffee und er drehte seinen leeren Becher in den Händen.
»Wie dem auch sei«, sagte ich, als mir bewusst wurde, dass ich nicht den ganzen Tag hier herumstehen konnte. »Ich heiße Patrick. Ich lebe beim Leuchtturm.«
Das brachte ihn dazu, mich anzuschauen. »Im Leuchtturm?«
»Nein. Nicht darin. Im dazugehörigen Wohnhaus.«
»Oh. Cool.«
»Na ja, es ist fast zweihundert Jahre alt, besteht aus Sandstein und ist winzig. Aber ja, es ist cool.«
Ich lächelte, als der Wind um uns herumtobte. »Ich sollte gehen. Ich habe Arbeit zu erledigen, aber ich telefoniere mal rum und sehe nach dem Mittagessen bei Frank vorbei.« Ich zog die Zeitung unter meinem Arm hervor und sein Blick schoss zur Titelseite.
Er starrte so lange darauf, dass ich sie umdrehte, damit er sie lesen konnte. Aber er warf mir einen Blick zu, den ich nicht einordnen konnte und der so schnell wieder verschwunden war, dass ich mich fragte, ob ich richtig gesehen hatte. Er trat einen Schritt zurück. »Ja, hm, danke. Das wäre super.«
Erst, als ich zu Hause war, begriff ich, was es mit dem Ausdruck auf seinem Gesicht auf sich gehabt hatte. Es war Angst gewesen. Und mir wurde klar, dass ich seinen Namen nicht wusste.
***
Sobald ich meine Arbeiten erledigt hatte, machte ich mich auf die Suche nach Frank Hill. Offenbar besaß und betrieb Frank Hadleys Campingplatz seit den Achtzigern. Es befanden sich nur vier auf Dauer abgestellte Wohnwagen und ein alterndes Sanitärgebäude auf dem Platz. Deshalb gab es nicht viel Arbeit, aber Franks Arthritis überstimmte inzwischen seinen Ehrgeiz und seine Möglichkeiten. Er brauchte Hilfe und auch, wenn er dem Kleinen nicht viel zahlen konnte, konnte er ihm vielleicht die Miete mindern.
Ich wusste nicht, warum ich es tat. Ich hielt für jemanden meinen Kopf hin, den ich gar nicht kannte, aber etwas an ihm sprach mich an. Wenn es in die Hose ging, würde Frank mir erzählen, dass ich mich verpissen sollte. Die Chancen standen gut, dass er mir genau das von Anfang an sagen würde.
Das Wetter war scheußlich. Der beißende Wind roch nach Schneeregen. Deshalb fuhr ich dicht an Franks Haus heran, setzte meine Mütze auf und stürmte zu seiner Tür. Ich klopfte und hörte Franks Grummeln, als er sich näherte. Er zog die Tür auf und begrüßte mich mit einem Grunzen.
»Hi, Frank.«
Frank war vermutlich Ende siebzig, rund eins fünfundsiebzig groß, drahtig und trug ständig eine finstere Miene zur Schau. »Was willst du?«
»Tja, ich hatte gehofft, ich könnte mit dir über den jungen Mann sprechen, der in einem der Anhänger untergekommen ist.«
Er verengte die Augen. »Was ist mit ihm?«
»Nichts Schlimmes. Ganz im Gegenteil, genau genommen. Ich hatte gehofft, dass du etwas liegen gebliebene Arbeit hast, die er für dich erledigen könnte.«
Er grummelte etwas, das ich nicht verstand, und drehte sich um, um in sein Wohnzimmer zurückzuhumpeln. »Jetzt steh da nicht rum. Du lässt die ganze warme Luft raus«, bellte er.
Nachdem ich eingetreten war und die Tür hinter mir geschlossen hatte, folgte ich ihm in seine kleine Küche und stellte mich neben ihm ans Fenster über der Spüle. Nickend deutete er nach draußen.
Da war er, der junge Kerl, im schneidenden, heulenden Wind, die Kapuze eng ums Gesicht gezogen. Am Boden kauernd nagelte er die Sperrholzverschalung unter einem der Anhänger fest. »Hab ihm schon zugesagt«, meinte Frank. »Er ist ein Arbeiter, das ist mal sicher. Sobald ich zugestimmt hatte, hat er losgelegt. Hat ein bisschen Zeug in der alten Hütte entdeckt und sofort zum Einsatz gebracht.«
Ich lächelte, in erster Linie in mich hinein. Mir fiel auf, dass er dort draußen mit bloßen Händen arbeitete. Gott, er würde sich den Tod holen. Ich hatte irgendwo noch ein altes Paar Handschuhe, das ich ihm sicher geben konnte…
»Nun, das freut mich«, sagte ich zu Frank. Ich drehte mich um, um zu gehen, doch hielt inne. »Ehm, er hat dir nicht zufällig seinen Namen gesagt, oder?«
Frank fuhr sich mit seiner knorrigen Hand übers Gesicht. »Ich habe ihn mir irgendwo aufgeschrieben.« Dann blitzte es in seinen Augen, als er sich erinnerte. »Hobbs, Aubrey Hobbs.«
Kapitel Drei
Aubrey Hobbs
Ich wusste nicht, was mich dazu gebracht hatte, mich für Kangaroo Island zu entscheiden. Vielleicht, dass es so abgelegen lag. Oder vielleicht, weil es der letzte Ort war, an dem man erwarten würde, mich anzutreffen.
Nicht, dass irgendjemand nach mir suchte.
Aber es war die südliche Spitze Südaustraliens und jedes Mal, wenn ich zu den Sternen aufsah, hatten sie in diese Richtung gedeutet. Also war ich hergekommen.
Ich hatte nur einen schnellen Blick auf die Zeitung des netten Typs werfen können, aber ich hatte genug gesehen: Anton und die Worte Leerer Sarg. Also hatten sie mich endlich begraben… Ich wusste nicht, ob ich erleichtert sein oder Trauer empfinden sollte.
Es war sechs Monate her, dass ich mein Leben hinter mir gelassen hatte. Sechs Monate, seitdem der Buschbrand durch den Nationalpark gefegt war und alles in Grund und Boden gebrannt hatte. Sechs Monate, seitdem Ethan Hosking gestorben und Aubrey Hobbs aus seiner