»Alkoholisiert?«, fragte der Inspektor, der ihn jetzt verhörte.
»Sie können mir deswegen meinen Führerschein abnehmen und mir auch noch eine Strafe aufbrummen, aber Sie können mich nicht wegen eines versuchten Totschlags anklagen. So nennt man das ja wohl.«
»Sittlichkeitsdelikt, Vergewaltigung«, sagte der Beamte knallhart.
»Und ich soll so etwas getan haben? Sie sind ja allesamt verrückt!« Patrick war erschöpft, völlig fertig mit den Nerven, und er verlor sie nun vollends.
»Ich kann mich dieser Weiber nicht erwehren. Ich habe sie satt bis obenhin. Ich verspiele mein Geld lieber, als es mit ihnen zu vergeuden. Aber ich gewinne auch beim Spiel.«
»Frau Heltcamp hat sich also auch an Sie gehängt. Sie ist eines von diesen Weibern?«, meinte der Inspektor fragend.
»Das wollte ich nicht sagen. Ich habe sie nur flüchtig kennengelernt. Sie machte einen reservierten Eindruck, ein wohlerzogenes Mädchen, wie man so sagt. Ich wollte sie keineswegs beleidigen.«
Auch das wurde wieder missverstanden. »Aber gerade das hat Sie gereizt«, vermutete der Inspektor.
Patrick kniff die Augen zusammen. Sie fielen ihm ohnehin fast zu.
»Mich kann keine Frau mehr reizen«, murmelte er noch, dann sackte er zusammen.
*
Im Haus Heltcamp herrschte nun Stille. Agnes’ Tränen waren versiegt, Arnold Heltcamps Zornausbruch war abrupt abgebrochen.
»Unser armes Kind«, sagte er leise. »Agnes, nimm dich jetzt zusammen. Anja wird uns brauchen. Ich will gleich mit dem Arzt sprechen, und dann fahre ich zum Präsidium. Sie sollen es ja nicht wagen, Heym auf Kaution freizulassen.«
»Dies alles darf nicht an die Öffentlichkeit gezerrt werden«, sagte Agnes leise, »das könnte Anja noch mehr schaden.« Sie dachte jetzt nur als Mutter. Sie war besorgt um ihr Kind.
»Ich weiß nicht«, murmelte Uwe, »wenn ich es mir genau überlege, dann machte Heym keinen schuldbewussten Eindruck. Er wollte in die Klinik fahren. Er hat ja auch einen Arzt gerufen, einen guten Arzt. Und wie ich weiß, hat er Dr. Sternberg nicht um Stillschweigen gebeten. Pa, ich bin ja nun bald Jurist, und ich sage dir, man kann einen Menschen nicht auf Verdacht verurteilen.«
»Willst du ihn etwa in Schutz nehmen?«, fauchte der Ältere.
»Gewiss nicht, wenn ihm die Schuld nachgewiesen werden kann. Aber ich denke jetzt wieder klar. Erst muss man seine Schuld beweisen. Man kann ihn nicht nur deswegen verurteilen, weil er in dem Ruf steht, ein Playboy zu sein.«
»Er ist einer. Er ist ein Nichtsnutz, der nicht arbeitet.«
Arnold Heltcamps Stimme klang hassvoll. Es war die Stimme eines Mannes, der in seinem Leben stets hart gearbeitet hatte. Und dazu waren all die Unternehmen, die Patrick Heym gehörten, seine schärfste Konkurrenz, wenn Patrick selbst dazu auch nichts tat.
»Man muss objektiv bleiben, Pa«, mahnte Uwe.
»Ich möchte dich daran erinnern, dass es um deine Schwester geht«, stieß Arnold Heltcamp hervor.
»Ich vergesse es nicht, und ich werde alles tun, um den Verlauf dieses Abends zu rekonstruieren. Aber Anja kann selbst noch nicht Stellung nehmen. Ihre Aussage aber wird entscheidend sein.«
»Und wenn sie durch den Schock alles vergessen hat?«, fragte Agnes. »Soll man es ihr dann wieder in die Erinnerung zurückrufen? Willst du so unbarmherzig sein, Uwe?«
»Unbarmherzig? Wäre es nicht genauso unbarmherzig, einen Unschuldigen zu verurteilen und den Schuldigen laufen zu lassen? Das kann ich mit meinem Eid auch nicht vereinbaren. Nein, ich könnte es nicht.«
»Und wenn Heym schuldig ist, wird er sich freikaufen. Er wird eine Kaution stellen und abhauen. Er hat überall Besitz«, sagte Arnold Heltcamp hasserfüllt.
»Bitte urteile nicht voreilig, Pa«, mahnte Uwe.
»Ach, du meinst, weil du studiert hast, kannst du mir Vorschriften machen? Du bist mein Sohn, du bist Anjas Bruder. Du hast die verdammte Pflicht, unsere Interessen zu vertreten.«
»Dann wollen wir erst einmal nachforschen, warum es zu einem Krach zwischen Anja und André gekommen ist«, sagte Uwe. »Wenn er sie nicht allein gelassen hätte, wäre es nicht zu diesem Überfall gekommen. Und wo ist überhaupt ihr Wagen, mit dem sie ja angeblich allein weggefahren sein soll, wie André sagte? Ja, er hat gesagt, sie wollte allein fahren.«
»Was aber nicht beweist, dass sie allein gefahren ist«, sagte Arnold Heltcamp.
»Und wenn sie nicht allein gefahren ist – mit wem ist sie gefahren und warum?«, fragte Uwe.
Seine Mutter starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Du wirst Anja doch nicht verdächtigen wollen, mit einem anderen Mann mitgegangen zu sein – einfach so?«
»Nicht einfach so, aber vielleicht mit einem, der sich mehr als Gentleman benahm als André, und doch kein Gentleman war«, erwiderte Uwe.
»Wir fahren jetzt in die Klinik, Agnes«, beendete Arnold Heltcamp die Unterhaltung. »Wir sind alle überreizt. Uwe will sich als Jurist bewähren, wir müssen es als Eltern unserer Tochter. Und das erscheint mir wichtiger.«
»Es ist beides wichtig, Pa«, sagte Uwe. »Du wirst noch einmal an meine Worte denken.«
*
Was Dr. Laurin ebenso wenig wie Dr. Sternberg wusste war die Tatsache, dass Dr. Friedrich Brink Patrick Heym schon mehrere Jahre lang juristisch beriet. Friedrich sprach nicht über seine Klienten, Dr. Laurin nicht über seine Patienten, wenn es nicht die Umstände manchmal doch erforderten.
Dr. Leon Laurin war demzufolge sehr überrascht, als der Schwager seiner Schwester Sandra anrief.
»Was, du bist Heyms Anwalt?«, rief Leon überrascht aus, als Friedrich Brink ihm eine kurze Erklärung gegeben hatte.
»Er sitzt arg in der Klemme, aber ich glaube ihm. Wir sprechen noch darüber, Leon. Es geht jetzt um die Patientin, um Anja Heltcamp. Wie geht es ihr?«
»Nicht ansprechbar. Sie ist kurz bei Bewusstsein gewesen, als ihre Eltern bei ihr waren, aber sie hat sie nicht erkannt.«
»Es muss alles notiert werden, was sie möglicherweise sagt«, erklärte Friedrich. »Mühe und Kosten sind nicht zu scheuen. Es muss ständig jemand bei ihr sein.«
»Bist du auch schon bestechlich, Friedrich?«, fragte Leon.
»Unsinn! Aber Patrick hat mit der Geschichte nichts zu tun. Er mag ein Filou gewesen sein, jetzt ist er ein gebrochener Mann. Er ist mein Klient. Ich werde ihn da rausboxen, Leon. Kann ich dich heute Abend persönlich sprechen?«
»Du bist uns immer willkommen, das weißt du doch.«
»Der Bruder des Mädchens ist Jurist, macht gerade sein Examen. Vielleicht kann man mal mit dem reden.«
»Er ist auf Heym nicht gut zu sprechen, Friedrich.«
»Ich kann verstehen, dass er den Mann hasst, der seiner Schwester das angetan hat, aber Heym ist nicht dieser Mann. Wir reden heute Abend darüber. Ich habe gleich einen Gerichtstermin.«
Arnold Heltcamp hatte indessen Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um zu erreichen, dass Patrick Heym ja nicht gegen Kaution entlassen wurde. Das jedoch hatte Heym selbst abgelehnt.
Diese Tatsache setzte Arnold Heltcamp in Erstaunen, und er sprach mit seinem Sohn darüber.
»Das kann ein geschickter Schachzug sein, aber auch ein Manöver«, meinte Uwe. »Wer ist sein Anwalt?«
»Dr. Brink.«
Uwe runzelte die Stirn. »Der würde ihn wohl nicht