Sie taumelte vorwärts, doch Charlotte hatte noch die Kraft, sich schützend vor das Kinderbettchen zu stellen.
Doch Sandra schrie jetzt, erschrocken durch die lauten Stimmen. Bettina schlug nach ihrer Mutter, ihrer Sinne nicht mehr mächtig. Charlotte wurde es schwarz vor Augen, aber sie konnte noch nach Bettinas Armen greifen, die nach dem Kind fassten.
»Beruhige dich«, flüsterte sie, nach Atem ringend und von Schwäche ergriffen. Sie rangen miteinander, Bettina stürzte rückwärts und zog ihre Mutter mit sich, dann lag sie leblos da.
»Bettina!« Ein letzter gellender Aufschrei kam über Charlottes Lippen, dann verlor auch sie das Bewusstsein.
Eva hörte nur das Weinen des Kindes, als sie mit den Zigaretten zurückkam. Und dann bot sich ihren Augen dieser entsetzliche Anblick dar. Die beiden Frauen, Mutter und Tochter, lagen bewegungslos auf dem Teppich. Eva kniete nieder, fühlte beiden den Puls und konnte doch keinen Pulsschlag vernehmen.
Sie zitterte am ganzen Körper, und das Baby schrie und schrie.
Da läutete es. Blindlings stürzte Eva zur Tür, nur von dem Gedanken beseelt, dass jemand ihr helfen könnte. Da stand Jonas Bernulf.
Er umfasste ihre Schultern und schüttelte sie, als sie ihn so fassungslos anstarrte.
»Was ist, Eva?«
»Ich sollte Zigaretten holen, und dann … Sie liegen im Kinderzimmer«, brachte sie schluchzend hervor.
So schrecklich auch alles war, Jonas Bernulf zögerte nicht, er handelte. Minuten später kam der Krankenwagen. Eine Stunde danach kam Constantin, von Jonas herbeigerufen.
»Ich hätte das Haus nicht verlassen dürfen«, schluchzte Eva.
Er nahm ihre Hände. »Wie hast du doch gesagt, Eva? Es kommt doch alles so, wie es uns bestimmt ist.«
Da erst beruhigte sie sich und war wieder fähig, dem Kind die gewohnte Fürsorge zuteil werden zu lassen.
Am Abend erfuhr sie, dass Bettina und Charlotte gestorben waren. Charlottes Herz hatte versagt. Bettina war bei dem Sturz mit dem Kopf so hart aufgeschlagen, dass eine Gehirnblutung ihr jammervolles Leben ausgelöscht hatte.
Jonas Bernulf wusste nichts anderes zu sagen als: »Es sollte wohl so sein.«
Die gleichen Worte gebrauchte auch Dr. Laurin. Er fügte hinzu: »Es ist besser so.«
Wie es geschehen konnte, musste man sich ausdenken. Und Constantin musste Eva die Schuldgefühle, unter denen sie litt, ausreden. Von einem Tag zum anderen konnte das nicht geschehen, doch Jon und Katrin halfen ihm dabei. Doch vor allem war es Dr. Laurin, der ihr versicherte, dass kein Verdacht gegen sie bestehe, dass sie sich nichts vorzuwerfen habe. Da erst atmete Eva auf.
Nach der Beerdigung trat Jonas Bernulf seine Reise an. Er blieb drei Monate in fernen Landen, aber als er zurückkam, hatte er zu sich selbst gefunden. Jon und Katrin trugen Verlobungsringe an den Fingern. Still und ohne jedes Aufsehen hatten sie diesen ersten, wohlüberlegten Schritt in ein gemeinsames Leben getan, mit dem Segen von Dr. Dietsch, der seinen Lebensabend mit seiner Maria verbringen wollte.
»Wie geht es Constantin?«, fragte Jonas seinen Sohn.
»Besser«, erwiderte Jon.
»Wer versorgt das Kind?«
»Natürlich Eva.«
»Ist das so natürlich?«, fragte Jonas.
»Für diese beiden sollte es die natürlichste Sache der Welt sein, Papa«, erwiderte Jon, »wie für Katrin und mich. Wie für Robert und Maria. Und du bist jedem von uns herzlich willkommen, falls du nicht auch ein Pendant findest.«
»Das bestimmt nicht mehr«, brummte Jonas. »Aber die Rolle des Großvaters würde mir schon gefallen.«
»Wir werden dich hoffentlich nicht enttäuschen, Papa«, sagte Jon. »Aber in der Zwischenzeit kannst du großväterliche Qualitäten ja bei Sandra erproben. Constantin möchte ohnehin mit dir sprechen – wegen des Hauses. Es wird zwar ziemlich lange dauern, bis er es dir abzahlen kann, aber du könntest ihm entgegenkommen.«
»Wirst du es mir vorhalten, Jon?«, fragte der Ältere.
»Ich doch nicht, Papa. Ich würde es ihm schenken. Wir sind Freunde, und Eva ist die richtige Frau für ihn.«
»Ich bin zwar kein Geschäftsmann, aber wenn du darauf bestehst, tue ich es sofort.«
»Du und Katrin könntet dann mein Haus haben, wenn es euch recht ist.«
»Nur, wenn du bei uns bleibst, Papa.«
»Nur dann«, sagte auch Katrin.
»Ich möchte aber bald Enkel haben«, lächelte Jonas Bernulf.
»Dann müssen wir aber bald heiraten. Katrin hat da gewisse Prinzipien«, sagte Jon.
»Worauf wartet ihr denn eigentlich noch?«
»Wir haben auf dich gewartet, Papa«, sagte Katrin, und da nahm Jonas Bernulf dieses junge, strahlende Mädchen in die Arme.
»Nun fahre ich zu Constantin, damit ich alles gleich hinter mich bringe«, erklärte er schließlich.
»Du wolltest noch was schriftlich haben, Papa«, sagte Jon.
»Das hat Zeit. Ich möchte erst hören, ob die beiden genauso denken wie ihr.«
Es war ein bisschen anders. Constantin wollte nichts geschenkt haben, so ergriffen er auch war von Jonas’ Großzügigkeit.
»Na gut«, sagte Jonas, »dann schenke ich das Haus Sandra, und sie wird es euch wohl gestatten, darin zu wohnen. Und wenn sie dann erwachsen ist und euch hinauswirft, müsst ihr euch eine andere Bleibe suchen. Natürlich stelle ich meine Bedingungen. Ihr müsst mir schon gestatten, mich ab und zu hier aufzunehmen, damit ich auch mal mit Sandra spielen kann und sie mich nicht als Eindringling betrachtet.«
»Was meinst du, Eva?«, fragte Constantin.
»Ich kann das doch nicht entscheiden. Du hast mich doch noch nicht mal gefragt, ob ich hierbleiben will«, erwiderte sie.
»Dann wird es aber Zeit«, sagte Jonas. »Richte das Haus ein, wie du es magst, Eva. Dann komme ich noch lieber.«
Und wie gern kam er in dieses Haus. Evas Traum ging in Erfüllung. Sandra pflückte Blumen und brachte sie ihrer »lieben Mami«.
Ein glückliches Kind wuchs heran, und als Eva ihrem Mann zwei Jahre später einen Sohn schenkte, wusste auch Dr. Laurin, dass Constantin Hammilton ein vollkommen glücklicher Mann war. Nur Liebe konnte tiefe Wunden heilen.
Patrick Heym drückte dem Taxifahrer einen Fünfzigeuroschein in die Hand. »Der Rest ist für Sie«, sagte er mit etwas schwerer Stimme, die verriet, dass er wieder einmal zu viel getrunken hatte. Aus diesem Grund hatte er für die Heimfahrt ein Taxi genommen.
»Vielen Dank, der Herr, kann ich gut gebrauchen. Morgen geht es nämlich in Urlaub.«
Dass die Leute immer so viel reden müssen, dachte Patrick. Sein Kopf schmerzte. Es war mal wieder eine lange Nacht gewesen, dazu nicht mal eine besonders amüsante.
Der Morgen dämmerte. Langsam ging Patrick den Weg zu seinem Bungalow, um dann wie erstarrt stehen zu bleiben. Fast wäre er über ein Paar Beine gestolpert. Er glaubte an Halluzinationen zu leiden.
So betrunken kann ich doch gar nicht sein, dachte er. Als er sich niederbeugte, wurde ihm schwarz vor Augen, denn zu den Beinen gehörte eine schlanke, weibliche Gestalt, deren Gesicht von Blut verkrustet und kaum