Arnold Heltcamp durchbohrte den Jüngeren förmlich mit seinem Blick. »Wir werden abwarten, was Anja dazu zu sagen hat«, antwortete er kühl. »Es ist allein Anjas Entscheidung, wie ihr künftiges Leben verläuft. Selbstverständlich möchten auch wir, dass sie dieses schreckliche Geschehen vergisst.«
»Ich darf Anja doch besuchen?«, fragte André.
»Davon sehen Sie bitte ab. Vorerst darf sie überhaupt keine Besuche empfangen, uns ausgenommen. Sollte Anja Sie sehen wollen, werden wir Sie benachrichtigen.«
André hatte die Hände ineinander verschlungen und drehte die Daumen umeinander.
»Ich denke, dass es gut für ihr seelisches Gleichgewicht wäre, möglichst bald mit dem Mann verheiratet zu sein, der sie aufrichtig liebt«, sagte er leise. »Ich möchte ihr helfen.«
»Wie dem auch sei, wir wollen abwarten, was die Ärzte für richtig halten, und auch, was Anja möglicherweise zu sagen hat.«
»Möglicherweise?«, fragte André erregt.
»Sie hat eine schwere Gehirnerschütterung, und es ist fraglich, ob sie sich überhaupt an alles erinnern kann, was in dieser Nacht geschah. Aber an eine baldige Hochzeit denken wir jetzt nicht, André, das werden Sie verstehen.«
»Ich habe mir den Kopf zerbrochen, wie Anja am besten zu helfen wäre. Eine Weltreise, andere Eindrücke möchte ich ihr schenken. So würde sie meiner Ansicht nach am schnellsten genesen.«
»Ich werde mit den Ärzten darüber sprechen. Wir bleiben in Verbindung«, erwiderte Arnold Heltcamp, immer noch zurückhaltend, dann verabschiedeten sie sich.
Eine Stunde später betrat André Malten die Wohnung von Marina Cerny. Mit einem ironischen Lächeln begrüßte sie ihn.
»Deine Mutter sagte mir am Telefon, dass du mit mir nichts mehr zu tun haben willst«, warf sie ihm zynisch vor.
»Warum rufst du auch immer an, Marina? Du weißt doch, worum es für mich geht.«
»Das hast du mir ja auch erklärt, André, und ich war heute auf dem Präsidium und habe eine entsprechende Aussage gemacht. Das wollte ich dir sagen, da ich morgen nach Wien muss. Man könnte fast meinen, du säßest in der Klemme und nicht Patrick.«
»Hast du gesagt, dass du mal was mit ihm hattest?«, fragte André.
»Nein. Er ist diskret. Und das hätte doch nur Misstrauen erregt. Aber ich mache mir Gedanken, was in dieser Nacht wirklich passiert ist.«
»Ich auch«, sagte er.
»Aber du weißt mehr als ich. Ich habe dir einen Gefallen getan, André, und du weißt sehr gut, warum ich das für dich getan habe. Ich weiß auch, dass du Anja nur wegen des Geldes heiraten wolltest. Eine Scheidung hattest du ja auch bereits einkalkuliert. Du brauchst mir jetzt nicht wieder zu beteuern, dass ich die einzige Frau bin, die du wirklich liebst. Bei mir darfst du erst wieder aufkreuzen, wenn deine Finanzen in Ordnung sind.«
Ihre Augen verengten sich. »Hast du etwa so einen gemeinen Kerl auf sie gehetzt, André?«
»Wie kannst du nur so etwas denken, Marina?«, begehrte er auf.
»Irgendetwas stimmt nicht, André. Ich spüre es«, sagte sie. »Du hast Angst.«
»Weil es mit den Aktien schiefgegangen und Mama so verzweifelt ist.«
»Die liebe Mama«, höhnte Marina. »Wenn du nach Wien kommst, will ich von ihr nichts mehr hören. Es stört mich nicht, wenn du mit Anja verheiratet bist und dafür eine volle Brieftasche hast, aber bei mir geht die Liebe nicht durch den knurrenden Magen, und ich bin auch nicht bereit, einen Mann zu ernähren. War ich deutlich genug?«
»Sehr deutlich. Du wirst mich erst wiedersehen, wenn ich mit Anja verheiratet bin.«
»Wenn du es bist«, spottete sie. »Wenn es jemals so weit kommt. Vielleicht will die eiserne Jungfrau von Männern nun überhaupt nichts mehr wissen. Bisher konntest du doch auch nicht bei ihr landen, oder?«
»Es stimmt, Marina. Und du weißt, dass ich auch kein Interesse daran hatte.«
Ein frivoles Lächeln legte sich um ihren Mund. »Du wärest in der Hochzeitsnacht zu mir gekommen?«, fragte sie.
»Das habe ich dir doch versprochen.«
»Dann schau zu, dass du sie schnell heiratest und die Finanzen in Ordnung bringst. Aber die liebe Mama will ich niemals sehen.« Sie schnippte mit den Fingern. »Und jetzt verschwinde. In Wien darfst du mich besuchen.«
*
André ahnte nicht, dass Marinas Wohnung bereits überwacht wurde, und Patrick Heym war leicht aus der Fassung gebracht, als ihm die Frage gestellt wurde, ob er Marina Cerny kenne.
Er war ruhiger geworden. Er hatte viel Zeit zum Nachdenken gehabt.
»Muss man alle alten Affären aufwärmen?«, fragte er nach einer kurzen Gedankenpause.
»Waren Sie mit ihr liiert, Herr Heym?«, fragte Kommissar Holzhauer.
»Liiert? Ich war mit keiner Frau liiert. Ich hatte Bekanntschaften, und vor etwa einem Jahr lernte ich Marina Cerny kennen. Sie ist eine clevere Frau, zu clever, wenn man sich nur amüsieren will. Klingt das frivol, Herr Kommissar? Aber mein bisheriges Leben war frivol.«
»Würden Sie sich über Marina Cerny näher äußern?«
»Das liegt mir nicht.«
»Begreifen Sie nicht, dass es um Ihre Haut geht? Die Frau behauptet, dass Sie mit Anja Heltcamp bei den Perlaus zusammen waren.«
»Marina? Ich habe sie dort überhaupt nicht gesehen.«
»Dort hat anscheinend niemand jemanden gesehen. Was sind das für Leute?«
»Snobs, wie ich. So bezeichnet man das«, sagte Patrick sarkastisch.
»Und Sie waren nicht mit Marina Cerny liiert?«
»Nein. Sie wollte gleich zu mir ziehen, doch so weit geht es bei mir denn doch nicht. Lena würde es niemals zulassen. Sie können sie fragen.«
»Sie können sich also doch recht gut an Anja Heltcamp erinnern?«
»Ich habe es versucht«, erwiderte Patrick. »Ich kann nicht sagen, dass sie mich fasziniert hat, aber mich hat keine Frau je so fasziniert, dass ich mich genau an sie erinnern könnte – meine Mutter und meine Tante ausgenommen. Ich kann mich nur insoweit an Frau Heltcamp erinnern, als dass sie aus dem Rahmen fiel. Apart, sehr kühl und unnahbar. Und nach meinen Erfahrungen mit Frauen kann man ein solches Mädchen nur mit sehr viel Liebe oder mit Gewalt bekommen. Aber Gewalt liegt mir nun mal nicht, und zur Liebe bin ich wohl nicht fähig. Um es noch deutlicher zu sagen, ich hätte mich niemals einer Frau genähert, von der ich erwarten musste, einen Korb zu bekommen. Ist das klar?«
»Ich habe es gehört, Herr Heym. Möchten Sie noch immer kein Essen nach Ihrem Geschmack bestellen?«
»Danke, mir bekommt die Gefängniskost recht gut. Ich kann klar denken, Herr Kommissar. Ich bin nicht mehr übersättigt. Ich kann mich endlich in die Lage jener Menschen versetzen, die nicht mal genug zu essen haben. Und jetzt kann ich mir sehr gut vorstellen, warum manche kriminell werden, um nur überleben zu können. Da wurde vorhin so ein junger Bursche gebracht. Er hat geweint. Wäre es möglich, dass Sie veranlassen könnten, dass er zu mir in die Zelle kommt? Ich möchte mit einem Menschen reden, der traurig ist.«
»Er hat seinen Vater erstochen«, erklärte der Kommissar.
»Warum?«
»Das