»Sandra ist gesund«, stieß Constantin hervor.
»Ich würde dennoch einen guten Kinderarzt zu Rate ziehen. Vorsicht ist besser als Nachsicht.«
»Es gibt doch harmlose Anämien«, sagte Constantin rau.
»Diese ist nicht harmlos. Man nennt sie auch die Addinsonsche. Dr. Sternberg hat seine Untersuchungen sehr gewissenhaft durchgeführt. Es kann durchaus sein, dass Bettina die Anlage geerbt hat und die Krankheit bei ihr nur anders zum Ausbruch gekommen ist. Im Grunde weiß man ja nur, dass man kaum etwas dagegen unternehmen kann. Jedenfalls darf Charlotte nichts erfahren.«
»Du bist sehr gefasst«, sagte Constantin gequält.
»Du warst es doch auch. Und wie’s da drinnen aussieht«, er legte seine Hand aufs Herz, »geht niemanden etwas an. Ich will, dass sie noch eine gute Zeit hat.«
»Hoffentlich wird sie nicht so aggressiv wie Bettina«, sagte Constantin. »Und ich kann auch nur hoffen, dass Bettina Dr. Eckart nicht so in die Enge treibt wie Jon.«
»Gibt es dafür Anzeichen?«, fragte Jonas besorgt.
Constantin fühlte sich ihm enger verbunden denn je. Er war ein feiner, aufrechter, geradliniger Mensch.
»Ja, die gibt es, aber Dr. Eckart ist so etwas anscheinend gewöhnt. Diese verfluchte Krankheit scheint auch eine Persönlichkeitsveränderung mit sich zu bringen.«
Sie unterhielten sich gedämpft, während sich Charlotte nun im Kinderzimmer aufhielt. Das Baby schlief. Rund und rosig war das Gesichtchen. Die Fäustchen hatte die Kleine an die Wangen gepresst.
Eva trat leise ein und wollte sich schnell wieder entfernen, aber Charlotte winkte ihr zu bleiben.
»Sie dürfen das Kind nicht zu gut füttern«, sagte sie. »Sie scheint mir sehr rund.«
»Sie ist gesund«, antwortete Eva, »und ich kontrolliere ihr Gewicht genau.«
»Ich will Ihnen ja nicht dreinreden, aber wir hoffen, dass Sandra nichts fehlt, wenn wir zurückkommen. Mein Schwiegersohn wird ja nicht oft anwesend sein. Sie können sich doch eigentlich nicht beklagen. Sie haben ein herrliches Leben hier, Eva.«
»Ich beklage mich nicht, und ich hoffe, Sie zufriedenzustellen.«
»Sie werden doch keine Herrenbesuche hier empfangen?«, sagte Charlotte mahnend.
»Ich habe keinerlei Herrenbekanntschaften«, erwiderte Eva.
»Und von wem waren die Rosen?«
»Ich habe sie mir gekauft«, erwiderte Eva geistesgegenwärtig. »Ich liebe Rosen.«
»Sie lassen doch das Kind nicht allein im Haus?«, sagte Charlotte mit schriller Stimme, und gleich begann Sandra zu schreien. Und wie sie schrie!
»Ich nehme Sandra selbstverständlich immer mit«, erklärte Eva ruhig.
Dann streichelte sie das Köpfchen des Kindes, und das Weinen verstummte.
»Na ja, Sie verstehen es wohl anscheinend recht gut mit ihr«, sagte Charlotte gönnerhaft. »Ich muss ja leider immer daran denken, dass meine Tochter durch die Geburt so leiden muss.«
Eva presste die Lippen aufeinander, damit ihr kein unbedachtes Wort entschlüpfte. Aber sie konnte erst wieder frei atmen, als Charlotte gegangen war. Und dann hörte sie, wie der Wagen wegfuhr.
Sie ging in die Küche, um Sandras Abendmahlzeit herzurichten.
Constantin stand am Kühlschrank. »Gibt es was für mich zu essen?«, fragte er.
»Selbstverständlich. Ich wusste nur nicht, wann Sie zurück sind. Ich habe Kalbsgulasch vorbereitet.«
»So viel habe ich gar nicht erwartet«, sagte er mit einem flüchtigen Lächeln. »Ein Schinkenbrot hätte es auch getan. Aber wenn Sie mir Gesellschaft leisten, schmeckt mir das Gulasch noch besser.«
»Sie wissen gar nicht, wie es schmeckt«, meinte Eva.
»Sie kochen ausgezeichnet, Eva. Ich wundere mich nur, wie Sie alles schaffen.«
»Liebe Güte, was müssen andere Frauen leisten, die vier oder fünf Kinder haben und manchmal noch mehr. Ich habe doch nur ein Kind zu versorgen.«
»Und das Haus halten Sie perfekt in Ordnung. Sogar meine Hemden sind gebügelt.«
»Das geht doch so nebenbei, wenn Sandra schläft. Möchten Sie Kartoffeln oder Nudeln, Herr Hammilton?«
»Nudeln kochen schneller. Was machen Sie noch so alles nebenbei?«
»Was mir halt so unter die Hände kommt. Ich musste zu Hause auch tüchtig helfen, und da hatten wir nicht so viel elektrische Geräte. Übrigens möchte ich Ihnen sagen, dass ich Frau Bernulf gesagt habe, ich hätte mir die Rosen selbst gekauft. Hoffentlich haben Sie nicht die Wahrheit gesagt. Sie ist misstrauisch.« Sie sah ihn dabei nicht an.
»Es ist in Ordnung, Eva«, sagte er mit einem eigenartigen Unterton. »Es würde ja doch nur an Ihnen ausgelassen werden. Und das will ich nicht. Ich kann es mir nämlich nicht mehr vorstellen in diesem Haus zu leben, wenn Sie nicht da wären. Aber wir müssen nachsichtig mit Charlotte sein. Sie leidet an pernizöser Anämie. Jonas hat es mir gesagt.«
Schreckensweit waren Evas Augen auf ihn gerichtet. »Das ist entsetzlich«, flüsterte sie. »Das ist fast zu viel.«
»Es sind harte, nackte Tatsachen. Ich komme mir vor wie auf einem Schleudersitz und kann doch nichts tun. Jonas hat mir geraten, Sandra ständig ärztlich kontrollieren zu lassen.«
»Sandra ist gesund«, stieß Eva hervor. »So viel verstehe ich auch von Kindern.«
»Bettina war auch mal gesund«, sagte er tonlos. »Ich liebe mein Kind, Eva. Ich habe es durch Sie lieben gelernt.«
»Durch mich?«, fragte sie etwas zögernd.
»Weil Sie Sandra lieben, weil Sie so behutsam mit ihr umgehen. Ich hatte dergleichen noch niemals erlebt. Ich hatte noch nie ein so winziges Baby gesehen.«
Eva wurde verlegen unter seinem Blick. »Das Essen ist in einer Viertelstunde fertig«, sagte sie rasch.
»Aber Sie müssen mir Gesellschaft leisten, Eva, bitte. Morgen früh muss ich weg.«
Er hatte das Bedürfnis, mit ihr zu sprechen und ihr all das zu sagen, was ihn bewegte und bedrückte. Das tat er dann auch, nachdem sie gegessen hatten.
Eva war anfangs verwundert, als er erzählte, wie er Bettina kennengelernt hatte. Dann begriff sie rasch, dass es nicht nur ein Mitteilungsbedürfnis war, sondern die Suche nach einem Ausweg aus dem Zwiespalt seiner Gefühle.
»Ich hatte überhaupt nicht daran gedacht zu heiraten«, erklärte er, »auch Bettina nicht. Sie war reizend, aber es gab viele so reizende Mädchen, und ich wollte mich nicht binden. Ich liebte meinen Beruf, und ein Flirt war nur Ausgleich für die nervliche Belastung, die mein Beruf mit sich brachte. Nun, jedenfalls verstand es Bettina, mich mit dem Kind zum Standesamt zu zwingen.«
Eva sah ihn nachdenklich an. »Nur das war der Grund?«, fragte sie ruhig.
»Nur das, keine Liebe. Und ich bin überzeugt, dass Bettina für mich auch keine Liebe empfand. Sie mag sich das eingebildet haben, aber sie ist tiefer Gefühle gar nicht fähig. Warum ich Ihnen das erzähle, werden Sie sich fragen, Eva. Nun …«, er machte eine kleine Pause, »zwischen uns soll alles klar sein, das ist mein Wunsch. Sie bedeuten mir mehr als Bettina. Sie machen mir das Ausharren in diesem Haus erträglich. Aber ich kann mich nicht drücken, schon um Sandras willen nicht. Mein Gott, ich wünsche so sehr, dass Bettina gesund würde, damit ich mich auf faire Weise von ihr trennen könnte. Ich weiß, dass es aussichtslos ist. Ich weiß auch nicht, ob es jemals möglich sein wird, Sie zu fragen, ob Sie mir mehr als ein guter Freund sein könnten.«
Ein Zittern durchlief Evas Körper. »Sie haben es schon ausgesprochen«,