»Soll ich mein Kind nehmen und gehen? Soll ich sagen: ›Seht zu, wie ihr fertig werdet‹?«
»Man würde letztendlich auch dafür Verständnis aufbringen müssen«, meinte Jon mit schwerer Stimme. »Meines hättest du. Es war doch nicht die große Liebe, Conny, aber vielleicht findest du diese eines Tages, und was dann?«
»Ich denke nicht in die Zukunft. Ich muss mit der Gegenwart und ihren Gegebenheiten fertig werden.«
»Wann immer du einen Freund brauchst, Conny, du kannst dich auf mich verlassen«, versicherte der junge Arzt.
»Siehst du, alles hat auch etwas Gutes in sich, Jon. Ich hatte nie einen richtigen Freund. Ich habe in meinem bisherigen Leben auch keine echte Hilfsbereitschaft kennengelernt. Auch das ist eine Verpflichtung. Ich habe mich einmal für einen sehr gefährlichen Beruf entschieden. Es hat mich sogar gereizt, mit der Gefahr zu spielen. Man sagt: Wer die Gefahr sucht, kommt darin um. Aber so ist es nicht. Man gibt nicht so schnell auf, wenn die Situation auch aussichtslos erscheint. Man versucht damit fertig zu werden, wie lange es auch dauern mag. Im Grunde kommt alles doch so, wie es einem bestimmt ist. Auch diese Erkenntnis habe ich erst jetzt gewonnen. Ich lebe nicht nur für mich. Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber ich beginne mein Kind zu lieben. Ich will für Sandra leben.«
*
Es war spät geworden, als Jon sich verabschiedete. Constantin hörte das Kind weinen, als er sich in sein Zimmer begeben wollte, nachdem er noch einmal nach Bettina geschaut hatte. Sie schlief jetzt, aber er brachte es nicht fertig, sich neben sie zu legen, wie sie es gewünscht hatte. Er hätte kein Auge zutun können.
Er ging ins Kinderzimmer, aber Eva war schon bei dem Baby. Sie hielt es im Arm und sprach beruhigend auf das kleine Wesen ein.
Constantin blieb an der Tür stehen und verhielt sich ganz still. Sandra hatte sich schnell beruhigt, und Eva legte die Kleine wieder ins Bettchen zurück.
Dann drehte sie sich zu ihm um. Sie hatte seine Nähe gespürt, obwohl sie ihn nicht hatte kommen hören.
Auf Zehenspitzen kam sie auf ihn zu. »Sie hat nur geträumt«, sagte sie flüsternd.
»Können Babys denn schon träumen?«, fragte er erstaunt.
Eva zog den türkisfarbenen Frotteemantel enger um sich. »Natürlich träumen sie«, erwiderte sie ernst.
»Und was träumen sie?«
»Das weiß ich nicht.« Sie lächelte flüchtig, und gerade dieses Lächeln bewirkte es, dass er sie plötzlich mit anderen Augen betrachtete. Die so unauffällige Eva wirkte mit ihrem blassen müden Gesicht schöner, als Bettina in ihren besten Stunden je auf ihn gewirkt hatte, und sein Herz begann schmerzhaft zu pochen. Warum hatte er nur immer so viel auf Äußerlichkeiten gegeben? Warum war sein Blick nicht mal auf ein solches Mädchen gefallen, das so viel mehr zu geben hatte als diese hübschen, schillernden Geschöpfe, die nur seine Sinnlichkeit erregt hatten?
»Wovon träumen Sie, Eva?«, fragte er gedankenverloren.
Sie sah ihn überrascht an. »Ich weiß es auch nicht, aber eigentlich träumt ja jeder Mensch. Ich kann mich nur nie daran erinnern, wenn ich erwache. Es wäre wohl auch zu verführerisch, sich eines schönen Traumes zu erinnern, weil man dann hoffen könnte, dass er in Erfüllung geht.«
»Vielleicht träumt man manchmal auch mit offenen Augen«, sagte er leise. »Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, Eva, und einen sehr schönen Traum, der sie den Alltag vergessen lässt, der ja wahrhaft nicht erfreulich für Sie ist.«
»Oh, ich habe sehr viel Freude an Sandra«, erwiderte sie leise. »Gute Nacht, Herr Hammilton.«
Während Constantin noch lange wach lag, schlief Eva bald ein, und sie träumte einen wunderschönen Traum, aber als sie am Morgen erwachte, meinte sie, dass es nur ein Wunschtraum gewesen sei, denn in ihm war sie mit Constantin durch einen blühenden Garten gegangen, und zwischen ihnen Sandra in einem weißen Kleidchen. Sandra hatte dann Blumen gepflückt und ihr diese gebracht. »Für meine liebe Mami«, hatte sie gesagt.
Eva erschrak und legte ihre Hände vor das Gesicht, vor die Augen, die so verträumt in den Spiegel schauten.
Aus dem Kinderzimmer drang ein helles Jauchzen an ihr Ohr. Sandra erwachte, und sie weinte nicht an diesem Morgen. Als Eva an ihr Bett eilte, strampelte sie und fuchtelte mit den Ärmchen.
Eva hob sie empor. »Mein Liebling«, flüsterte sie zärtlich, »mein kleiner Liebling, es war ja nur ein Traum, aber ich werde bei dir bleiben, solange man es zulässt.«
Und wenn ich Constantin liebe – wen geht es etwas an?, dachte sie. Niemand wird es erfahren. Mein Traum gehört nur mir.
*
Für Constantin begann der Morgen schreckensvoll. Schrilles Schreien aus Bettinas Zimmer weckte ihn auf, während Eva das Baby fütterte. Er sprang aus dem Bett, noch völlig benommen, weil er nur knapp zwei Stunden unruhig geschlafen hatte. Er wurde mit einem wüsten Wortschwall von Vorwürfen überfallen, als er zu Bettina kam.
Warum er nicht bei ihr geschlafen hätte, warf ihm Bettina vor. Schließlich wäre es seine Pflicht, sich um sie zu kümmern. Sie hätte Durst, und Eva hätte ihr die Zigaretten weggenommen.
Sie sah so erschreckend aus, dass jedes Gefühl in ihm erstarb. Er umfasste ihre Arme und schüttelte sie. Im nächsten Augenblick war er entsetzt über sich selbst.
»Komm doch zu dir, Bettina«, sagte er. »Ein paar Stunden muss ich auch schlafen. Ich muss doch einen klaren Kopf für die Arbeit haben.«
»Ich brauche dich, und du brauchst nicht zu arbeiten«, stieß sie hervor. »Jonas hat genug Geld, er braucht es nicht auf kostspieligen Reisen zu vergeuden, die Mama ohnehin nicht bekommen würden.«
Er hielt ihre Hände fest. »Jonas hat viel für uns getan, Bettina. Er hat das Haus verkauft. Er hat es dir geschenkt. Er schickt dich zur Kur und …«
»Zu welcher Kur?«, fragte sie.
»Du hast mir gestern doch selbst gesagt, dass du gern in ein Sanatorium gehen würdest, um gesund zu werden. Du möchtest an unserem Hochzeitstag wieder tanzen können, hast du gesagt.«
Er wusste nicht, wer ihm diese Worte in den Mund legte. Er war nicht fähig zu denken.
Und wie schon so oft, schlug auch diesmal ihre Stimmung um.
»Ja, ich möchte unseren ersten Hochzeitstag herrliche feiern, Conny«, sagte sie. »Sei nicht böse, dass ich dir Vorwürfe gemacht habe. Ich fühle mich nur so allein, und Eva nimmt mir alles weg, was ich mag.«
»Sei nicht ungerecht, Bettina. Eva weiß, dass die vielen Zigaretten dir nur schaden, ebenso wie der starke Kaffee. Schließlich ist sie Krankenschwester.«
»Mir kann nichts schaden, was ich mag«, antwortete die Kranke trotzig. »Wenigstens du solltest Verständnis dafür haben, Conny. Ich möchte jetzt mein Frühstück. Wo ist Eva? Schläft sie noch?«
»Sie wird bei Sandra sein«, erwiderte er, »bitte, gedulde dich noch.«
»Das Kind kann doch warten«, widersprach sie.
»Und wenn es weint, regst du dich wieder auf«, erwiderte er.
Ihre Augen verengten sich. »Ich bin nur froh, dass Eva so hässlich ist«, sagte sie, »sonst würdest du mir am Ende noch untreu werden.«
Hässlich?, dachte er. Das finde ich gar nicht. Aber es war ein beruhigender Gedanke, dass Bettina so dachte. Es war für ihn eine Qual, sie anzusehen, denn sie sah jetzt wirklich hässlich aus mit dem verzerrten fahlen Gesicht.
»Warum sagst du nichts?«, fragte sie. »Bist du mir schon untreu?«
»Ich habe wirklich andere Sorgen«, stieß er hervor. »Eva wird dir dein Frühstück gleich bringen. Ich muss mich fertig machen fürs Büro.«
»Ich möchte wissen, was du den ganzen Tag treibst«, sagte sie. »Du erzählst mir gar nichts