Im März 2020 twitterte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums, dass vermutlich die US-Armee die Epidemie nach Wuhan eingeschleppt hatte.46
Solche Anschuldigungen machen nervös und ziehen Handlungen nach sich, die nicht immer von der Ratio geleitet werden. So haben chinesische Anwälte in China und den USA im März 2020 eine Schadensersatzklage gegen die US-Regierung, die US-Gesundheitsbehörde CDC, das US-Verteidigungsministerium und den US-Militärsportverband eingereicht.47 Ihre Begründung ist der Website des China Justice Observer zu entnehmen: »Von Sept. 2019 bis März 2020 veröffentlichten die US-Regierung und die CDC wissentlich falsche Informationen und sprachen von ›Grippe‹, obwohl einige der Grippepatienten tatsächlich mit einem unbestimmten Virustyp infiziert waren (der sich später als COVID-19 erwies) […].«48
Eine solche Klage muss sich natürlich auch auf Fakten beziehen, und eines davon ist, dass die US-Gesundheitsbehörde CDC ja selbst bemerkt hatte, dass die influenza-like-illness-Welle (ILI) in den USA verfrüht einsetzte und anders verlief als üblich.49 (engl. ILI = Bezeichnung für eine grippetypische, akute respiratorische Erkrankung, bei der ein Erregernachweis nicht durchgeführt wurde)
Wochen später haben Rechtsanwälte in Texas und Florida zum Gegenangriff geblasen und in Sachen COVID-19 eine Reihe von Einzel- und Sammelklagen gegen China vorbereitet. Im Unterschied zu den chinesischen Anwälten fordern sie Schadensersatz in Milliardenhöhe. Einige dieser Anwälte behaupten, SARS-CoV-2 sei im Sicherheitslabor von Wuhan entstanden.50 Auch der Generalstaatsanwalt von Missouri erhob am 21. April 2020 Klage gegen die chinesische Regierung mit der Behauptung, diese habe wichtige Informationen über das neue Coronavirus unterdrückt.51
Beiden Seiten dürfte aber klar sein – es handelt sich ja um Juristen –, dass ihre Klagen aufgrund der existierenden Staatenimmunität höchstwahrscheinlich abgeschmettert werden.52
Solche juristischen Gefechte gehören zum Wortkrieg der Supermächte, der auf der Basis von Gerüchten, Propaganda und Desinformationen ausgetragen wird. Und wir, die wir tagtäglich einer überbordenden Informationsflut und dem Sperrfeuer schlagzeilenträchtiger Meldungen ausgesetzt sind, glauben je nach politischer Vorliebe entweder das eine oder das andere und spielen das Spiel mit …
So sehr Trump zu Beginn des SARS-CoV-2-Ausbruchs in den USA die Chinesen während seiner täglichen Pressekonferenzen im Weißen Haus dafür gelobt hatte, wie effizient sie die Ausbreitung des Virus bekämpft hätten, so sehr attackierte er China wenig später mehrere Tage hintereinander auf das Schärfste, und zwar als der Verdacht gegen ihn laut wurde, er habe den Virusausbruch in den USA unterschätzt und nicht schnell genug reagiert. Seine tagtäglichen Tiraden gegen China und die WHO wurden vermutlich auch dadurch angefeuert, dass laut Umfragen fast ein Drittel der Amerikaner daran glaubt, das neue Coronavirus entstamme dem Sicherheitslabor in Wuhan.53
Aufgrund der in den Sozialmedien pausenlos verkündeten Vermutungen und der Informationen in Presse und Fernsehen über den »zweifelhaften« Umgang der Provinzregierung von Hubei mit gesundheitlich wichtigen Informationen haben inzwischen gut zwei Drittel der Amerikaner ein negatives Bild von China.54
Der Wirtschaftsfeind muss der Schuldige für diese Krise in Amerika sein. Daher kursiert in Presse, Rundfunk, Fernsehen und den sozialen Medien weltweit alles Mögliche – von plausibel verpackten Unterstellungen bis hin zu den abstrusesten Verschwörungstheorien. So wird z. B. verbreitet, dass sich ein Wissenschaftler im Hochsicherheitslabor in Wuhan versehentlich infiziert und dann andere Menschen angesteckt hätte55 – oder dass die hoch angesehene Virologin und Fledermaus-Forscherin Shi Zhengli-Li absichtlich eine mit SARS-CoV-2-Viren vollgepackte gefrorene Laborprobe auf dem Fischmarkt von Wuhan platziert und somit die Viren freigesetzt hätte.56
In dem sich zuspitzenden Handelskrieg ist den Kontrahenten jedes Mittel recht, um die Bevölkerung vom eigenen Narrativ zu überzeugen. Da China inzwischen das Land mit den weltweit meisten Patentanmeldungen ist und die USA somit überholt hat57, stehen gewichtige Interessen auf dem Spiel.
SARS-CoV-2 ist ein natürliches Virus – wie wahrheitsgetreu ist die Berichterstattung?
Am 14. April 2020 hatte US-General Mark Milley (Vorsitzender des Vereinigten Generalstabs der Streitkräfte der Vereinigten Staaten) in einer Pressekonferenz als Leiter einer investigativen militärischen Gruppe die Möglichkeit in den Raum gestellt, dass es sich bei SARS-CoV-2 um einen genetisch manipulierten Virus handelt: »Es dürfte Sie nicht überraschen, dass wir uns intensiv damit beschäftigt und viele geheimdienstliche Stellen damit beauftragt haben, sich das sehr genau anzusehen«, sagte er. »Und ich würde einfach sagen, dass die Sache zu diesem Zeitpunkt ungeklärt ist. Obwohl gewichtige Beweise vorliegen, die auf ›natürlich‹ hinzudeuten scheinen. Aber wir wissen es nicht mit Sicherheit.«58
In unserer von Vorurteilen geprägten Welt ist es fast tröstlich, dass ein General die Öffentlichkeit besser informiert als die Leitmedien, denn General Milley beschreibt die Lage angemessen differenziert und wahrheitsgetreu: Es deute vieles auf einen natürlichen Ursprung des Virus hin, aber man wisse es eben nicht genau. Presse und Fernsehen sind mit den diesbezüglich veröffentlichten wissenschaftlichen Studien wesentlich anders umgegangen: Hier wurden aus bestehenden Unstimmigkeiten und Zweifeln unumstößliche Tatsachen konstruiert und der Öffentlichkeit so vermittelt, als sei es bereits eindeutig erwiesen, dass SARS-CoV-2 nicht aus einem Labor stamme und demnach tierischen Ursprungs sei.
Nehmen wir z. B. die BBC. Am 16. April 2020 ist auf ihrer Website zu lesen: »Eine im Januar weithin verbreitete Online-Theorie legt nahe, dass das Virus in einem Labor als Biowaffe konstruiert worden sein könnte. Wissenschaftler haben diese Behauptung wiederholt verworfen und auf Studien verwiesen, nach denen das Virus von Tieren stammt – von Fledermäusen.«59
Aber nicht nur die BBC ging mit Informationen so unpräzise um. Ob in den USA, Großbritannien, Italien, Frankreich, Deutschland etc. – in den meisten Leitmedien werden die wissenschaftlichen Studien auf eine Weise zitiert, dass unweigerlich der Eindruck entsteht, Genetiker und Virologen weltweit würden ein Labor als Ursprungsort von SARS-CoV-2 definitiv ausschließen.60
Bei einer genauen Überprüfung fällt nicht nur einmal, sondern immer wieder auf, dass dem nicht so ist. In fast allen wichtigen Studien und wissenschaftlichen Berichten der letzten Monate zu der Frage, ob SARS-CoV-2 aus einem Labor stammen könnte, kommen die Forscher zu dem Schluss, dass dies nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. In den meisten der vielzitierten Studien wird eine Laborherkunft zwar als »eher unwahrscheinlich« bezeichnet bzw. dass man eine solche »nicht mit Sicherheit behaupten könne« – sie wird aber nicht kategorisch verneint.
Trotzdem wird insbesondere die von Nature Medicine veröffentlichte und weltweit am häufigsten zitierte Studie über den Ursprung von SARS-CoV-2 (Prof. Kristian G. Andersen, Scripps Research Institute Kalifornien) in den Leitmedien sowie in Fachzeitschriften (u. a. Pharmazeutische Zeitung und Deutsches Ärzteblatt) so wiedergegeben, als sei SARS-CoV-2 ganz sicher nicht und unter keinen Umständen in einem Labor per Genmanipulation oder mit anderen Techniken hergestellt worden.61
Am 18. März 2020 hieß es im Deutschlandfunk z. B.: »Rund um das Coronavirus gibt es Verschwörungstheorien, laut denen das Virus möglicherweise gezielt im Labor gezüchtet worden sein soll. Dem widerspricht nun eine Studie eines internationalen Forschungsteams im Fachmagazin Nature Medicine. Das Virus SARS-CoV-2 sei eindeutig ein Ergebnis natürlicher Evolution, heißt es darin.«62 Das aber ist absolut falsch, denn zum jetzigen Zeitpunkt würde sich kein seriös arbeitender Wissenschaftler zu einer solchen definitiven Aussage hinreißen lassen.
… und nun zu den Fakten
Um sich