Geografischer Ursprung – woanders als behauptet?
In den Proceedings of the National Academy of Sciences wurde im April 2020 ein hochinteressantes Paper veröffentlicht. Die Autoren – Wissenschaftler der University of Cambridge − gehen davon aus, dass SARS-CoV-2 nicht in der chinesischen Großstadt Wuhan, sondern in Guangdong im Süden Chinas seinen Ursprung hat, und zwar lange vor dem bekannten Ausbruch in der 11-Millionen-Metropole.34
Der Hauptautor dieses Papers, der deutsch-britische Genetiker Peter Forster (Mitglied der Leopoldina) präzisierte dazu in einem Interview: »Das Virus mag schon vor Monaten zu seiner endgültigen ›human-effizienten‹ Form mutiert sein, blieb aber mehrere Monate lang in einer Fledermaus oder einem anderen Tier oder sogar im Menschen, ohne andere Individuen zu infizieren. […] Zwischen dem 13. September und dem 7. Dezember begann es dann, Menschen zu infizieren und sich unter ihnen auszubreiten, wodurch das Infektions-Netzwerk entstand, das wir in [der Fachzeitschrift] Proceedings of the National Academy of Sciences vorstellen.«35 (Hervorhebungen durch die Autorin)
Dieses Ergebnis passt zu den zahlreichen o. g. Einzelberichten und Forschungsergebnissen. Der lange Zeitraum, in dem sich SARS-CoV-2 vor dem großen Ausbruch vereinzelt Opfer aussuchte, verlief somit nach dem üblichen Verbreitungsschema eines neuen Infektionserregers (wie es von der University of Oxford dargelegt wird, s. o.) und würde auch die Tatsache erklären, dass inzwischen drei unterschiedliche Hauptvarianten von SARS-CoV-2- zirkulieren: ein A-, ein B- und ein C-Typ.
Variante A grassiert hauptsächlich in den USA und Australien; man fand sie aber auch in US-Amerikanern, die sich länger in Wuhan aufhielten, sowie in vier Chinesen in Guangdong. Auf der Webseite des Instituts für forensische Genetik in Münster ist hierzu Folgendes zu lesen: »In einer phylogenetischen Netzwerkanalyse […] fanden die Forscher [28. April 2020] drei zentrale Varianten, die sie als A, B und C bezeichnet haben. Typ A ist der Urahne aller menschlichen Coronaviren gemäß Vergleichen mit dem eng verwandten Fledermaus-Coronavirus […] Interessanterweise ist der in Wuhan-vorherrschende Typ B nicht der ursprüngliche menschliche Virustyp […]«36
Aus der A-Variante entwickelte sich die B-Variante, die insbesondere in Wuhan zugange war.37 Aus dieser entstand dann die C-Variante, die Menschen u. a. in mehreren Ländern Europas infizierte: »In dieser ersten Phase des Ausbruchs sind die A- und C-Typen in signifikanten Anteilen außerhalb Ostasiens zu finden, das heißt bei Europäern, Australiern und Amerikanern. Im Gegensatz dazu ist der B-Typ der häufigste Typ in Ostasien. Der C-Typ ist unter anderem früh in Singapur dokumentiert und ist auch unter den ersten europäischen Infektionsfällen zahlreich vertreten.«38
Wie jedes Virus verändert sich auch SARS-CoV-2 – als wüsste es wie wir, dass das einzig Konstante im Leben die Veränderung ist (obwohl diese winzigen Strukturen ja allgemein nicht zu den Lebewesen gerechnet werden, da sie ohne Wirtszellen, das heißt auf sich allein gestellt, zu nichts imstande sind).
Ende Juni 2020 haben türkische Wissenschaftler anhand einer phylogenetischen Studie über SARS-CoV-2 das von Dr. Forster aufgestellte Ursprungs-Modell (s. o.) bestätigt.39
Hier stellen sich Fragen, auf welche die Wissenschaft Antworten finden sollte. Falls sich nämlich Virus-Typ A, wie der Cambridge-Professor Peter Forster in seiner Studie feststellt, nicht in Wuhan entwickelt hat, sondern in der knapp 1000 Kilometer südlich davon entfernten Provinz Guangdong, dann fällt die bislang geltende Ursprungsbehauptung »Wuhan« wie ein Kartenhaus in sich zusammen, und wir haben es, wie so oft, mit einem Narrativ zu tun. Das Virus würde dann also aus dem Süden Chinas stammen – aus der Region der berüchtigten feucht-warmen Grotten, in denen Abertausende von Fledermäusen unter Missachtung jeglicher sozialen Distanz sehr eng zusammenleben.
Ist das nun des Rätsels Lösung?
Wahrscheinlich doch nicht. Erstens, weil die oben erwähnte Abwasser-Studie aus Barcelona den zeitlichen Ursprung von SARS-CoV-2 auf März 2019 datiert. Zweitens, weil die phylogenetischen Studien, die den geographischen Ursprung einzukreisen versuchen, als Ausgangsgenom den eines Fledermaus-Coronavirus (RaTG13) annehmen – was aber wissenschaftlich noch umstritten ist.
Laut der Studie des Genetikers Francois Balloux vom Imperial College London (s. o.) lässt sich nämlich momentan nicht abschließend klären, ob SARS-CoV-2 tatsächlich von Fledermäusen abstammt oder nicht: »Die engste bisher bekannte genetische Abstammungslinie findet sich bei Hufeisennasen-Fledermäusen (BatCoV RaTG13) (Zhou et al., 2020). Diese Linie ist jedoch nur zu 96 % identisch mit SARS-CoV-2 – also nicht hoch genug, um es [BatCoVRaTG13] als unmittelbaren Vorfahren von SARS-CoV-2 anzusehen. Die zoonotische [tierische] Quelle des Virus ist zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels (23. April 2020) noch nicht identifiziert.«40 (Hervorhebungen durch die Autorin)
Der tierische Ursprung von SARS-CoV-2 ist bis heute immer noch nicht eindeutig erwiesen. (Stand: Juli 2020)
Das Narrativ des »chinesischen Fledermausvirus« erinnert also ein wenig an jenes, das uns seit 100 Jahren von der »Spanischen Grippe« sprechen lässt, obwohl es sich dabei um eine Fehlbezeichnung handelt, da das damalige Influenzavirus – wie wissenschaftlich nachgewiesen – seinen Ursprung in den USA hatte.
Trotz der Studien zum geographischen Ursprung in Südchina41 verbreiten die Massenmedien es weiterhin als gesicherte Tatsache, dass der Ursprung von SARS-CoV-2 in Wuhan liegt. Angesichts neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und solange es keinen abschließenden Konsens über den tatsächlichen Ursprungsort von SARS-CoV-2 gibt, sollte Wuhan korrekterweise nur als der Ort genannt werden, wo der erste größere Ausbruch stattfand.
Der Informationskrieg der Weltmächte und ihre Narrative
Nun, da das Narrativ von Wuhan als Ursprungsort des neuen Virus einmal in der Welt ist, bietet es natürlich genügend Stoff für amerikanische Verschwörungstheorien, wonach SARS-CoV-2 im Hochsicherheitslabor in Wuhan herbeimanipuliert und aus diesem freigesetzt wurde oder entwichen ist. Noch im Mai 2020 pochte US-Außenminister Pompeo darauf, dass SARS-CoV-2 aus dem Wuhan-Labor stammt – trotz einer Stellungnahme der US-Geheimdienste, wonach dies nicht mit Sicherheit behauptet werden könne.42
In Asien wiederum ist man eher der Auffassung, dass dieses gefährliche Virus den Amerikanern entkommen ist, und zwar vor dem 19. Juli 2019: An diesem Tag wurde auf Anordnung der US-Gesundheitsbehörde CDC das Hochsicherheits-Militärlabor Fort Detrick geschlossen, und zwar ziemlich Knall auf Fall. Die Chinesen gehen davon aus, dass die verfrühte grippeähnliche Welle in den USA mit diesem Ereignis zusammenhängt.
Für die Chinesen kam hinzu, dass von den Hunderten von US-Soldaten, die im Oktober 2019 zu den 7. Militärwettspielen des internationalen Weltsportsverbands nach Wuhan angereist kamen, nach ihren Beobachtungen einige bereits bei der Ankunft ziemlich »kränklich« wirkten und somit COVID-19 nach Wuhan eingeschleppt haben könnten. (Die Amerikaner landeten bei diesen Spielen nur auf Platz 35 und damit sogar hinter Tunesien.)43
Viel Aufsehen erregte der italienische Degenfechter Matteo Tagliariol, als er dem Corriere della Sera in einem Interview im Mai 2020 berichtete, dass er – wie viele Athleten seiner und anderer Mannschaften – in Wuhan erkrankt war, wobei sich die schlimmsten Auswirkungen erst nach seiner Heimkehr zeigten: »›Ich hatte drei Wochen lang Fieber und Husten [so der italienische Degenfechter] und die Antibiotika haben nichts bewirkt. Dann wurden mein Sohn und meine Partnerin krank. Ich bin kein Arzt, aber die Symptome scheinen die von COVID-19 gewesen zu sein‹.«44
Den französischen Sportlern Elodie Clouvel und