Wenn ich jetzt die Zeit hätte, auf einem anderen Flügel eine Front aufzumachen, würde ich, vor dem Tod, vor „meinem Tod“, vor dem „mein Tod“ eines und einer jeden, vor der Todesstrafe von der Strafe selbst, im Allgemeinen, sprechen. Ist die Todesstrafe [peine de mort] eine Strafe, eine Strafe unter anderen? Oder eine Ausnahme von dem, was man mit einem Allgemeinbegriff die Strafe [peine] oder die Bestrafung [punition] nennt? Genügt es, ein substantivisches Attribut, einen Genitiv (die Todes-Strafe) hinzuzufügen, um das Subjekt „Strafe“ durch eine ergänzende Bestimmung, einen Fall, ein Beispiel, ein Attribut zu ergänzen? Ist die Todesstrafe eine Strafe? Ist sie kompatibel mit dem Begriff Strafe, der ihr hier als Subjekt dient?
Wir haben letztes Jahr vielleicht viel gesagt, aber ich habe das Gefühl, dass wir die Frage der Todesstrafe [la peine de mort] trotz allem kaum angesprochen haben, kaum [à peine]. Auf meinem Computer, um so weit oben und so sichtbar wie möglich zu beginnen, das heißt mit dem Buchstaben A beginnend, und um mein Dokument rasch wiederzufinden, habe ich dem dieses Seminar betreffenden Dokument den Titel „À peine de mort“ gegeben, was nicht sagen will „sous peine de mort [unter Todesstrafe]“ (ein Seminar über die Todesstrafe unter Todesstrafe, so als ob ein Seminar über die Todesstrafe zur Todesstrafe verurteilt wäre oder Gefahr liefe, mit dem Tode bestraft zu werden) – was also nicht „unter Todesstrafe“ sagen will, sondern, auf gänzlich unübersetzbare Weise, dass es zögern wird zwischen der peine (poena auf Lateinisch, von griechisch poiné), die Bestrafung bedeutet, den zu bezahlenden Preis, die Abzahlung, das Lösegeld, das dazu bestimmt ist, einen Mord zu sühnen usw. (ich werde noch darauf zurückkommen), und den beiden französischen Bedeutungen von „à peine“: einerseits „schmerzlich [péniblement]“, „bekümmernd [qui fait peiner]“, was Kummer [peine], Leiden bereitet, eventuell in Begleichung einer Schuld76, sowie andererseits „kaum“, „noch nicht“, was auf Lateinisch mit paene oder pene77 ausgedrückt wird, was weder mit dem Kummer [la peine] von „à peine“ noch mit lateinisch poena oder griechisch poiné zusammenhängt < , das > Bestrafung bedeutet.
Bevor es mit dem Tod verbunden wurde, wirft das Wort peine, penalty, poiné, poena im Sinne von Bestrafung oder schmerzlicher Abzahlung [rétribution pénible], Leiden implizierender Sanktion oder Auslösung, Sühne, [wirft also das Wort peine] hinsichtlich Semantik und Geschichte Schwindel erregende Probleme auf. Eine erste Vorstellung davon würden Sie bekommen, wenn Sie Benveniste lesen.78 Ich werde kurz etwas dazu sagen, allzu kurz, wobei ich Sie aber auf die Lektüre des ganzen Kapitels verweisen möchte. Ich werde einige Worte dazu sagen aus Gründen, die sich später erhellen werden, nämlich einen gewissen Zusammenhang, den man, wie Kant es tat, erkennen wollte zwischen der Strafe [la peine], insbesondere der Todesstrafe, und der Würde des Menschen, der Ehre des Menschen, da der Mensch, das rationale oder vernünftige Wesen, das mit Vernunft begabte Lebewesen, das heißt das fähig ist, sich über die pathologischen Motive und das Leben zu erheben, da der Mensch also das einzige Wesen ist, das die Ehre verdient, ein Recht zu besitzen (ein Recht der Person als Zweck an sich und nicht als Mittel), und also die Ehre, in sein Recht eine Todesstrafe einzuschreiben, die das Rechtssubjekt über das Leben erhebt. Wir hatten letztes Jahr über diese Logik gesprochen und wir werden dieses Jahr noch einmal darauf zurückkommen, bald schon, immer einer Linie von Fragen folgend, die von unserem ersten Erstaunen inspiriert ist: Wie kommt es, dass kein Philosoph als solcher, kein philosophisches System als solches sich je auf vernünftige Weise der Todesstrafe entgegensetzen oder einen Diskurs zugunsten der Abschaffung der Todesstrafe philosophisch rechtfertigen konnte, einen < Diskurs >, der aus Prinzip für die Abschaffung der Todesstrafe ist (ja, aus Prinzip, und ich insistiere immer noch, aus Prinzip und nicht aus Nützlichkeit, aus Prinzip, denn es gibt viele Gründe und Weisen, sich der Todesstrafe entgegenzusetzen, und solange man es nicht aus Prinzip tut, indem man erhellt, was „aus Prinzip“ bedeutet, wird die Bewegung für die Abschaffung der Todesstrafe problematisch, begrenzt und prekär, sowie der Umkehrbarkeit unterworfen sein, was sie immer noch bleibt)79.
Es wird also noch zu fragen bleiben, was, sowohl für die Geschichte der Philosophie, für die Geschichte des Philosophischen, als auch für die Geschichte der Strafe als Todesstrafe, die Tatsache bedeutet, dass es bis auf den heutigen Tag nie eine Philosophie der Abschaffung der Todesstrafe [philosophie abolitionniste] gegeben hat, und dass, bis auf den heutigen Tag, kein Philosoph als solcher, kein philosophisches System als solches die Todesstrafe ausschließen oder verurteilen konnte oder musste. Mit einem Wort: Wer verurteilt die Philosophie als solche bis auf den heutigen Tag dazu, sich im Prinzip auf der Seite der Verurteilung zum Tode zu halten? Das ist einer der Einsätze dessen, was man die „Dekonstruktion“ nennt (wir haben es letztes Jahr wie folgt formuliert80: die Dekonstruktion des phallogozentrischen Gerüsts; das phallogozentrische Gerüst, das heißt sowohl die Spekulation als auch die Architektonik, das Stütz- und Konstruktions-Supplement, das notwendig ist, um ein Gebäude zu reparieren, das karnophallogozentrische81 Gerüst [échafaudage], das alle Schafotte [échafauds] konstruiert und sämtliche Gestalten von Maschinen zum legalen, souveränen, staatlichen Töten in der Geschichte der Menschheit gestapelt [échafaudé] haben wird).
Eine kurze und elliptische Exkursion in die Gefilde von Benveniste also, der in seinem Kapitel über „Ehre und Ehren“ dahin kommt, eine Frage zum griechischen Wort ποινή, poiné zu stellen, zur Schuld, die man abzahlen muss, um ein Verbrechen wiedergutzumachen, sowie zu den lateinischen Wörtern poena, punire. Auf diese Frage kommt Benveniste vom griechischen Wort timé her. Ich habe in einem Text mit dem Titel „Titre à préciser“82 darüber gesprochen. Timé, was „Ehre, Würde“ bedeutet, wovon timao abgeleitet ist, stammt von einem alten Verb ab, τίω, tíô, das „ehren“ bedeutet. Im etymologischen Ensemble dieser Familie findet man τίνω, tíno, was „zahlen“ bedeutet, tínumai (τίνυµαι), zahlen lassen, sühnen lassen, tisis (τίσδζ), Strafe, Rache. All diese Begriffe, bemerkt Benveniste, beziehen sich auf die „Bezahlung einer Schuld, auf die Wiedergutmachung einer Missetat“. Womit, wie Benveniste hinzufügt, das griechische poiné (ποινή) verwandt ist, Schulden, die dazu bestimmt sind, ein Verbrechen wiedergutzumachen, und also das lateinische poena, punire. Nachdem er Filiationen im Sanskrit und dem Awestischen aufgezeigt hat (cayate: zahlen, zahlen lassen, strafen, kay, cikay [strafen], kaetha, kaena: Rache, Hass, wobei das letztgenannte Wort dem griechischen poiné entspricht)83, schließt Benveniste daraus, dass es im Indoeuropäischen und im Griechischen ein Ensemble aus Formen gibt, „die materiell von der Wurzel *kei- ausgehen“84.
Es gäbe da also eine einzige Wurzel für all diese Bedeutungen, insbesondere um die beiden Hauptbedeutungen ehren und strafen herum. Bevor wir, Benveniste folgend, weiter gehen, bevor wir die Frage hören, die er im Hinblick darauf stellte, diese zwei Bedeutungen (ehren und strafen) voneinander zu trennen, müssen wir diese unheimliche*, uncanny, befremdlich-vertraute85 Allianz entweder träumen oder (über-)wachen, die die Beziehung zwischen diesen beiden scheinbar gegensätzlichen oder inkompatiblen Bedeutungen (ehren und strafen, rühmen und erniedrigen, retten und töten, usw.) unablässig heimsucht, und zwar in einer Tradition, die ebenso gut eine griechische sein könnte (wie die des pharmakos: ausgeschlossen und als Ausnahme gefeiert, rituell erwählt oder bevorzugt), einer Tradition, die genauso gut auch eine lateinische sein könnte (sacer, der heilige und verfluchte, verehrte und verfluchte), einer Tradition schließlich, die ebenso gut direkt oder indirekt eine christliche, eine in großzügiger oder perverser Weise christliche sein könnte (Kant zum Beispiel, für den die Möglichkeit der Verurteilung zum Tode das Eigene und die Würde selbst des Menschen ausmacht, oder Genet, der, wir hatten das letztes Jahr gelesen, so häufig den Ruhm des Schafotts besang (den „Tod auf