Wir wollen aber vorläufig so tun, als ob diese Unterscheidung selbst legitim, begründet und beglaubigt sei. Wir wollen dies zumindest für jene Zeitspanne tun, die es braucht, um zu verstehen, was Kant Sorgen macht, und um ihm darin zu folgen, was an dieser Sorge vernünftig und legitim sein mag. Nachdem Kant diese Unterscheidung gesetzt oder in Erinnerung gerufen hat, immer noch im selben Text (Rechtslehre, genauer gesagt die Metaphysischen Grundlagen der Rechtslehre, in der Metaphysik der Sitten, 2. Teil, § 4920), setzt Kant, dass die juridische Strafe (forensis), die einzige, die den „Gesetzgeber“ interessiere, niemals einfach als ein Mittel dekretiert werden könne, um ein Gut zu erlangen (nie bloss als Mittel eines anderen Gutes*), sei es zum Nutzen des Verbrechers oder zum Nutzen der bürgerlichen Gesellschaft, sondern dass man sie nur deshalb auf ihn anwenden dürfe (diese Strafe auf den Verbrecher), weil Letzterer sich schuldig gemacht hat (weil er verbrochen hat*, hervorgehoben).
Der Verbrecher muss also bestraft werden, weil er gefehlt hat, weil er schuldig ist, er muss aufgrund seines Fehltritts bestraft werden und nicht im Hinblick darauf, irgendeine Wirkung zu erzielen, irgendeinen Nutzen zu bringen, weder für den Verbrecher selbst noch für irgendjemanden innerhalb der Gesellschaft, der Nation oder gar der Menschheit. Mit anderen Worten: Die Bestrafung, wie ihr Subjekt, das bestrafte Subjekt, muss ein Zweck an sich sein, niemals ein Mittel. Die Todesstrafe darf zu nichts dienen, und muss statthaben, selbst wenn sie zu nichts dient. Kant fährt fort:
Denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt werden […]. Er muß vorher strafbar befunden sein [der Bestrafung würdig, die Bestrafung verdienend (strafbar* hervorgehoben)], ehe noch daran gedacht wird, aus dieser Strafe einigen Nutzen für ihn selbst oder seine Mitbürger zu ziehen.21
Den Menschen zu achten, der abgeurteilt wurde, indem man ihn für seinen Fehltritt bestraft und nicht, weil die Bestrafung zu etwas dienen könnte, heißt, seine Würde als Zweck und nicht als Mittel zu achten. Jemanden zu bestrafen, weil er strafbar ist, und nicht, weil seine Bestrafung einen Schaden wiedergutmachen, als abschreckendes Beispiel dienen oder die Sicherheit, das Glück und das Wohlbefinden der Gesellschaft gewährleisten wird, das bedeutet, die Würde der menschlichen Person, des Menschen als Vernunftwesen zu ehren.
Mit anderen Worten, wir wollen es noch einmal sagen: Jemand muss bestraft werden, weil er es verdient, bestraft zu werden, aber nicht, weil seine Bestrafung zu irgendetwas oder irgendjemandem, ihm selbst oder anderen, dienen könnte. Nicht einmal dann, wenn man von dieser Bestrafung ein Gut oder Glück erhoffen kann. „Das Strafgesetz“, so sagt Kant wörtlich, „ist ein kategorischer Imperativ“22. In die reine Auslegung dieses kategorischen Imperativs darf keine Idee von Fortschritt, Wohlbefinden, Glück oder Nützlichkeit im Hinblick auf Glück eingeführt werden. Die Strafrechtslehre muss jeder Theorie des Glücks, jeder Glückseligkeitslehre* gegenüber fremd bleiben. Diejenigen, die die Legitimität der Bestrafung, des Rechts, zu strafen, auf eine Theorie des Guten als Glück, als Wohlbefinden, als soziale Finalität stützen wollen, diejenigen, die im Strafrecht ein nützliches und notwendiges Werkzeug im Dienste des Guten [bien] und des Wohlbefindens [bien-être] sehen, all diese begreifen nicht nur nichts von der Spezifität des Rechts, sondern verachten im Grunde das Recht und die Rechtssubjekte; sie haben keinerlei Achtung für das, was die Würde und den Wert des menschlichen Lebens ausmacht, nämlich die Tatsache, als Zweck und nicht als Mittel betrachtet zu werden und also über dem Leben zu stehen. Der Wert des menschlichen Lebens, das, was dem menschlichen Leben seinen Wert verleiht, das ist per definitionem mehr wert als das Leben, das ist das, was im Leben mehr wert ist als das Leben. Alles in allem stellt Kant sich denen entgegen, die sagen, dass das Strafrecht, und insbesondere die Todesstrafe, nützlich oder notwendig sei. Von dieser Prämisse, die er mit Beccaria teilt, schließt er jedoch auf das Gegenteil, nämlich nicht, wie Beccaria, darauf, dass die Todesstrafe, wenn sie unnütz ist, abgeschafft werden müsse, sondern darauf, dass sie, eben weil sie ihrem Wesen nach unnütz, jenseits der Nützlichkeit, nicht-nützlich sein muss, als Würde und Ehre des Menschen aufrechterhalten und geachtet werden müsse. Strafen und Ehren sind hier untrennbar (um die Frage von Benveniste in Erinnerung zu rufen23). Ihre Verknüpfung ist nicht vage, sondern in der Vernunft begründet. Diejenigen, die sich auf die Nützlichkeit beziehen, degradieren und entehren sowohl das Recht als auch den Menschen. Kant bedient sich in Bezug auf diesen Diskurs der Nützlichkeit des auf schreckliche Weise belasteten Worts vom „Pharisäismus“. Es sei ein pharisäischer Diskurs, die Todesstrafe durch das Interesse der Gemeinschaft, durch die für das Überleben des Volkes lebensnotwendige Nützlichkeit rechtfertigen zu wollen.
[…] wehe dem! welcher [… den] pharisäischen Wahlspruch [anwendet]: „es ist besser, daß ein Mensch sterbe, als daß das ganze Volk verderbe“; denn, wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben.24
Mit anderen Worten: Der Wert des Lebens ist, per definitionem,