Wenn ich versuch, mich zu erinnern, was ich gehört hab als Kind, dann hör ich Leute gehen, Leute reden, Feuer prasseln, Wasser sieden, Regen klatschen, Fliegen summen, Türen knarren, Ziegen meckern, Hunde bellen, Katzen maunzen, hie und da die Mundharmonie – ein Bauernsohn in der Nähe hat Mundharmonie gespielt – ah ja, und den Zug! Den Zug, den haben wir pfeifen gehört, von weit, weit her.
Gesehen hab ich einen Zug erst viele Jahre später, gefahren – das erste Mal! – bin ich, da war ich dreißig.
Die Stille bei uns daheim hat auch ihr Gutes gehabt: Die Eltern haben nie gestritten.
Erst im Dienst hab ich erlebt, da war ich schon elf, zwölf Jahre, dass Leute – Eheleute! – einander angeschrien haben. Das hat mich gewundert.
Ich glaub, mein Vater hat sehr schöne Grabsteine gemacht.
Wir hätten uns so einen Grabstein nie im Leben leisten können.
Unsere Stube war klein, und noch kleiner, weil sie so vollgeräumt war. Vier mal fünf Meter, höchstens.
Auf diesen zwanzig Metern ist der Herd gestanden, der Tisch, das große Bett, da drin haben die Eltern geschlafen, meistens mit dem jüngsten Kind, die Truhe, die Bänke – die Bänke waren in die Wand eingelassen –, der Wandschrank mit dem Geschirr, das Brennholz, der Wasserzuber, der Besen, kurz, was man so braucht.
Der Fußboden war gewölbt.
Denn wenn ich vorhin gesagt hab, wir waren Kleinhäuslerskinder, so war das übertrieben. Wir waren nicht einmal das!
Kleinhäusler sind wir erst ein paar Jahre später geworden, mit dem Geld aus Amerika.
Dass der Fußboden gewölbt war, hat seinen Grund gehabt: Unterhalb war der Keller. Da hat es das ganze Jahr eiskalt heraufgeweht.
Der Keller (das ganze Haus) hat einem Bauern gehört. Dafür, dass wir wohnen durften – wir hatten Stube und Kammer –, dafür war die Mutter bei ihm mehr oder weniger im Dienst. Das war aber nicht der Bachecker, das war ein anderer. Er hat Eberstallinger geheißen.
Im Keller waren Kartoffeln und Futterrüben für die Schweine. Wir durften auch Rüben nehmen. Wir haben sie geschält, geschnitten und auf der Herdplatte geröstet. Sie haben uns geschmeckt.
Geheizt haben wir mit Holz.
Holzklauben war Kinderarbeit. Wir sind jeden Tag in den Wald, auf dem Rücken den leeren Tragkorb, und haben ihn voll heimgebracht. Die Körbe sind mitgewachsen. Mein erster Korb war vielleicht dreißig Zentimeter hoch.
Das Holzklauben war geregelt. Man durfte nicht überall, nur auf der »Figur«, »Figur« hat der Streifen Wald geheißen, den man leer klauben durfte. Warum »Figur«, weiß ich nicht.
Der Wald war Herrschaftswald. Ich hab die Herrschaft mein Lebtag nicht zu Gesicht bekommen. Nur einmal hab ich die Kutsche vorüberfahren gesehen, vierspännig, mit einem Kutscher: brauner Mantel, gelbe Knöpfe. Ich hab geglaubt, sie sind aus Gold.
Wir mussten pro Figur im Frühjahr Waldpflanzen setzen. Da war die Mutter dabei.
Sie hat mit der Haue Löcher in den Waldboden gehackt, wir haben die Pflanzen gesetzt, rundherum festgetreten, dann ist der Förster gekommen – er hatte in der Pfeife etwas, das war kein richtiger Tabak und hat schon von weither gestunken –, ist von Pflanze zu Pflanze, sehr streng, hat am Wipferl gezogen und geprüft, ob das Ganze fest sitzt, und wenn nicht, hat er den kleinen Baum vorsichtig herausgezogen und mit uns geschimpft, und wir haben ihn neu setzen müssen. Zum Schluss haben wir die Pflanzen gegossen. Der Förster hat aufgepasst, dass jede Wasser kriegt.
Er selber ist ein paar Jahre später im Rausch und im Schneesturm erfroren, zehn Meter vom Forsthaus entfernt.
Wir waren, ich hab’s schon gesagt, sechs Kinder. Wir hatten zwei Betten: ein Bett für je drei. Im Winter war das schön warm. (Kein Ofen.)
Bettzeug hat’s auch keines gegeben, keines, wie es heut’ welches gibt – Leintücher, Überzüge, Tuchenten, Deckenkappen –, auch keine Matratzen. Ich mein’, gegeben hat es das schon. Aber nicht bei uns daheim.
Die Mutter hat Stroh aufgeschüttet, Bettstroh. Zweimal im Jahr hat sie das Stroh gewechselt, mitsamt den Flöhen. Geholt haben wir’s von den Feldern, wenn sie abgeerntet waren. Das war erlaubt. Was nicht Erlaubtes hätten wir niemals getan.
Über das Bettstroh ist ein großes Tuch gekommen, wir haben uns hingelegt, zwei längs, eines quer zu Füßen, die Mutter hat uns zugedeckt, wir haben abendgebetet (»Jesuskindlein komm zu mir, mach ein frommes Kind aus mir, mein Herz ist klein, darf niemand hinein, als du mein liebes Jesulein«), sie ist mit der Kerze hinaus, und dann war es finster, außer es hat der Mond geschienen, dann haben wir unsere Schürzen vors Kammerfenster getan: Mondlicht macht böse Träume, und Vorhänge waren keine da.
Nicht nur, weil sie teuer waren. Auch wegen der Wäsche. Je mehr, desto mehr Lauge muss sein.
Wir haben mit der Hand gewaschen. Das war nicht schlimm. Schlimm war, dass das blutwenige Geld, das wir verdienen konnten, fürs Nötigste nicht gereicht hat. Die meiste Kraft ist auf die Mühe für Wohnendürfen, Ziegenhaltendürfen, Holzklaubendürfen aufgegangen. Seife war nicht umsonst, so wenig wie Zucker, Salz, Petroleum, Schuhe und so weiter.
Wir haben keine Schuhe gehabt.
Mein erstes Paar Schuhe hab ich mit neunzehn Jahren gekauft, von einem Monatslohn als Großmagd, feste Schnürschuhe, barchentgefüttert. Die hat später die Rosi gestohlen, meine Stiefschwiegermutter, aber so weit bin ich noch nicht.
Wir Kinder sind barfuß gelaufen, jahraus jahrein, außer im Winter. Da hatten wir Holzpantoffel.
Strümpfe hat die Mutter gestrickt. Für die Wolle hat sie einem Bauern, der Schafe gehalten hat, alle vier Wochen Brot gebacken. Da war sie die ganze Nacht weg.
Die meisten Bauern haben damals ein eigenes Backhaus gehabt, zehn Meter vom Wohnhaus entfernt. Man hat am Abend vorher den Sauerteig angerührt und warmgestellt, zwei Stunden später das Mehl in den Backtrog geschüttet, Wasser dazugetan, mit dem Sauerteig verrührt und geknetet.
Fast alle Bauern haben das eigene Mehl verbacken, genauer gesagt, sie haben ihr Korn zum Morawetz geführt – der Morawetz war der Müller – und gegen Mehl eingetauscht. Die Leute haben gesagt, der Morawetz mahlt das Korn in seine eigene Tasche, aber wer steht schon dabei und schaut dem Müller auf die Finger?
Teigkneten war Schwerarbeit, aber trotzdem Weibersache. Wenn er fertig war, hat er »gehen« müssen, derweil hat man den Ofen geheizt. Erst musste er angefüllt werden mit Reisig und Scheiten, bis hinten, nach einer genauen Ordnung. Ein Kind oder ein junger Dienstbot’ ist in den Ofen gekrochen zum Holzschichten, tief nach hinten, sonst hätte die Glut nicht gereicht. Wenn das Kind draußen war, hat man das Holz angezündet, drei Stunden später hat der ganze Backofen geglüht. Jetzt hat man Brotlaibe geformt, in Körbchen getan, die Brote noch einmal gehen lassen und dann in den Ofen geschoben, auf einem Blech mit Stiel. Das Brot war Roggenbrot. Bei manchen Bauern hat man ein Weißbrot mitgebacken, ein »Ahnlbrot« für die Alten, die nicht mehr beißen konnten. Wir haben nie Weißbrot gekriegt. Wir waren froh, wenn Schwarzbrot da war.
Aber ich wollt’ vom Waschen reden: Wir haben Holzaschenlauge genommen, die macht Wäsche weiß. Außerdem haben wir die Stücke draußen auf der Wiese gebleicht, das geht schön in der Sonne, man muss nur gut gießen und wenden.
Unsere Lauge hat dem Boden nichts getan.
Dafür meinen Händen. Seit damals sind sie rot, rissig und rau. Manchmal glaub ich, es sind keine Hände, es sind fünfzackige Krampen.
Man hört manchmal, jemand ernährt sich »von seiner Hände Arbeit«, meine haben mich wirklich ernährt.
Nicht, dass man zur Arbeit nicht auch den Kopf brauchen würde, den braucht man. Handarbeiter, Kopfarbeiter, den Unterschied gibt’s, ich weiß, er hat oft mit Geld zu tun, aber auch die dümmste Arbeit, sagen wir, Stubefegen, ist nicht nur Hände-Arbeit. Ohne Kopf kann man