Und über uns die Ewigkeit. F. John-Ferrer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: F. John-Ferrer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783475542381
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      Aus dem Billardzimmer blökt einer herüber: »Spielpartner gesucht!«

      Der Oberfeldwebel erhebt sich und geht hinüber. Rudolf sitzt allein da und kaut auf seiner Zigarette herum, muss an das Bild denken, das ihm der Oberfeldwebel vor die Nase gehalten hat – das Mädchen.

      19 Jahre – wunderschönes Alter, denkt Rudolf träge und etwas sehnsuchtsvoll. Schade, dass in dem Kaff hier weiter nichts los ist. Aber halt! Wie wär’s, wenn ich mich mal bei Doris in Erinnerung brächte? Horst, der Lümmel, lässt ja auch nichts von sich hören. Könnte getrost mal anklingeln. Übrigens – anklingeln.

      Rudolf schwingt sich aus dem verschlissenen Plüschsessel hoch und geht hinaus. In der Schreibstube sitzt ein Gefreiter und springt auf.

      »Sagen Sie mal, Schmidt, könnte ich von hier aus mit der Seenotdienst-Staffel telefonieren?«

      »Det jeht schon, Herr Leutnant«, meint der Gefreite.

      Ein paar Augenblicke später hat er die Verbindung hergestellt und reicht Rudolf den Hörer.

      »Leutnant Brechtmann«, meldet er sich. »Ich möchte gerne mit Schwester Doris Brandorff sprechen. Ist das möglich?«

      Die Stimme am anderen Ende sagt: »Ich verbinde Sie mit dem Krankenrevier. Augenblick, bitte.«

      Eine flirrende Unruhe überkommt Rudolf. Sein Herz pumpt schneller. Gespannt lauscht er in den Hörer.

      Jetzt! Eine helle Frauenstimme. Doris Brandorff ist am Apparat.

      »Tag, Doris«, sagt Rudolf. »Wie geht’s?«

      Hinter dem Schreibtisch grinst der Gefreite.

      »Danke – den Umständen entsprechend«, kommt die Antwort.

      »Ich mopse mich«, sagt Rudolf. »Und weil ich dachte, dass es Ihnen ebenso gehen könnte, hab ich mich an die Strippe gehängt.«

      »Nett von Ihnen, Rudolf.«

      Diese Antwort verleiht im Auftrieb und Schneid. »Wie wär’s, Doris – ich meine, was würden Sie sagen, wenn ich noch heute bei Ihnen antanzen würde?«

      »Ich würde mich fragen, was das für einen Zweck haben sollte?«

      Er lacht. »Zweck? Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten … ein Gläschen Wein trinken …«

      »Dazu Musik und womöglich gedämpftes Licht«, scheidet sie ihm das Wort ab. »Tut mir leid, Rudolf. Außerdem habe ich heute Dienst.«

      Er beißt sich auf die Lippen. Auf eine solche Antwort war er nicht gefasst. Am liebsten möchte er auflegen. Aber drüben am Schreibtisch grinst der Schreibstubenhengst so niederträchtig, dass Rudolf zu dem Entschluss kommt, seinen Willen durchzusetzen.

      »Ich hab was zu bestellen, Doris«, sagt er rasch. »Horst hat mir etwas aufgetragen, das möchte ich natürlich persönlich wiedergeben. Ist doch klar, nicht wahr?«

      Keine Antwort.

      »Doris!«

      Sie fällt ihm ins Wort: »Wie wollen Sie denn hierherkommen?«

      »Erstens mit einem Wagen, zweitens auf schnellstem Wege.«

      »Gut, ich erwarte Sie. Fahren Sie aber langsam, Rudolf. Die Wege sind miserabel.«

      »Vielen Dank, ich werde Ihren Rat beherzigen. In zirka einer Stunde bin ich bei Ihnen.«

      »Ich erwarte Sie in der Schreibstube des Krankenreviers.«

      Rudolf legt auf und fährt sich mit der Hand übers Gesicht.

      Der Gefreite kommt und trägt den Apparat auf den Tisch zurück. Rudolf bedankt sich und geht.

      Draußen kommen ihm plötzlich Bedenken. Was soll ich ihr sagen? Horst weiß doch von nichts. Wartet sie am Ende darauf, dass Horst sich ihr wieder nähert? – Ach was, ich werde das schon hinkriegen. Jetzt hab’ ich A gesagt, jetzt muss ich auch B sagen.

      Rudolf sucht den Staffelkapitän auf: »Ich hätte ein Anliegen, Herr Hauptmann.«

      »Schießen Sie los!«

      »Ich möchte mir mal den Dienstwagen ausleihen, für einen Besuch.«

      Der Hauptmann blinzelt ihn an. »Besuch? Wo denn?«

      »Bei der Seenotdienststelle.«

      Das hagere Gesicht des Vorgesetzten schmunzelt.

      »Mädchen?«

      »Jawohl.«

      »Hübsch?«

      »Jawohl.«

      »Hiesige oder …?«

      »Eine Bekannte aus Berlin. Sie ist Krankenschwester bei der Seenotstaffel.

      »Nehmen Sie den Wagen.«

      »Danke, Herr Hauptmann.«

      »Und sehen Sie zu, dass Sie bis spätestens morgen früh wieder da sind.«

      Rudolf schlägt die Hacken zusammen und geht. Ein paar Minuten später holpert der VW-Kübelwagen mühsam durch das matschige Schneetreiben und rollt der Küste zu.

      Auch bei den Bombern ist Feierabend. In dem Gehöft, hinter dem das Flugfeld beginnt, muss man wegen der frühen Dunkelheit und des unentwegt peitschenden Regens die Lampen früher anschalten als sonst. In diesem Bau sind die Flugleitung untergebracht, das Kasino und die Küche. Weiter hinten, zwischen tarnenden Gärten, erstreckt sich die Unterkunftsbaracke, die man geschickt zwischen Bäume und Gemüsebeete gestellt hat.

      Im Sommer grün und schattig, erscheint das Gartenstück nun eher unansehnlich: matschig, von den Bäumen trieft das Schneewasser und dort, wo noch vor wenigen Wochen das Gemüse für die Küche wuchs, ragen ein paar frierende Kohlstrünke aus dem schmutzig-weißen, dünnen Schneebelag.

      Die Barackentür geht auf, und Hanke tritt heraus, das Schiffchen auf dem Kopf, in den Wintermantel gehüllt. Mit vorgeneigter Gestalt geht er auf das Kommandoanwesen zu und sucht den Staffelkapitän auf. Gleich darauf entspinnt sich ein ähnliches Gespräch wie ein paar Minuten zuvor drüben bei der 6., nur dass Hanke angibt, seinen Kameraden Leutnant Brechtmann besuchen zu wollen. Was soll man bei diesem Sauwetter auch sonst unternehmen? Man hat den Freund lange nicht mehr gesehen. Mal raus aus der Bude und ein paar andere Gesichter zu sehen, kann nichts schaden. Man weiß seit Wochen gar nichts voneinander. Nicht einmal für einen Anruf hatte man Zeit.

      Hanke ackert mit dem Wagen einen fürchterlich aufgeweichten Weg entlang, vorbei am Flugfeld und den patroullierenden Posten, der Funkstation und dann dem kleinen Wäldchen zu, hinter dem die 6. Jagdstaffel stationiert ist. Kein Fahrzeug, keine Menschenseele zeigt sich. Grau und düster ist die Gegend, von einem bissigen Nordwest gepeitscht. Links kauern ein paar verlassene Gehöfte. Man ist hier völlig auf die Kameraden angewiesen, auf die Zusammengehörigkeit der Einheit. Die Gegend, die fremden Menschen hier geben einem nichts. Außerdem liegen die Einsatzhäfen auch weitab und vollkommen isoliert in irgendeinem Planquadrat der Normandie.

      Nach ein paar Minuten ist Hanke auf dem Jägerhorst. Posten grüßen. Fahrzeuge stehen unter sturmgepeitschten Pappeln. Auch hier hält sich nur der im Freien auf, der dazu abkommandiert ist.

      Hanke betritt den Gebäudeteil, in dem die Kameradschaftsräume sind. Eine Ordonnanz grüßt steif und will mit einem Tablett vorbei.

      »Ich möchte Leutnant Brechtmann sprechen. Wo kann ich ihn antreffen?«

      Die Ordonnanz weiß nicht, dass Rudolf Brechtmann vor einer halben Stunde zur Küste gefahren ist.

      »Ich werde gleich mal nachschau’n, Herr Leutnant. Kommen Sie bitte rein, hier zieht’s.«

      Hanke betritt den Raum, schaut sich um.

      »Hallo, Hanke!« Ein Leutnant kommt auf ihn zu, schüttelt ihm die Hand. »Dass man Sie auch wieder mal sieht! Kommen Sie, setzen Sie sich.«

      Es ist Leutnant Karner, den