Und über uns die Ewigkeit. F. John-Ferrer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: F. John-Ferrer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783475542381
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sich wieder.

      »Er wurde also als Freiwilliger eingezogen«, erinnert Rudolf.

      »Ja«, erwidert sie, »nach Emden kam er dann. Ich erfuhr es durch seine Eltern. Frau Berger machte mir Vorwürfe … wegen Heinz und … Ach«, unterbricht sie sich, »das interessiert Sie doch gar nicht. Reden wir von anderen Dingen. Trinken wir jetzt erst einmal Tee.«

      Rudolf hebt abwehrend die Hand. »Ich möchte gerne wissen, wie es weitergeht, Doris. Horst ist immerhin mein Freund, und ich interessiere mich wirklich!«

      »Geben Sie mir bitte eine Zigarette, Rudolf.«

      Er beeilt sich, ihrem Wunsche nachzukommen, reicht ihr die Zigarettenpackung, dann Feuer.

      Doris’ Hand zittert, als sie sich die Zigarette anzündet. Der schwache Lichtschimmer der Feuerzeugflamme huscht über ihr nervös zuckendes Gesicht.

      »Danke«, murmelt Doris und lehnt sich in den Sessel zurück.

      »Wie es weiterging?«, wiederholt sie ironisch. »Oh, eigentlich wenig dramatisch. Heinz beklagte sich in Briefen bei seiner Mutter über meinen Wortbruch. Frau Berger las sie mir vor, und ich musste mir sagen lassen, dass die Frau im Krieg eine größere Rolle spielt als sonst. Der Soldat, so sagte sie, brauche eine Frau, an die er denkt, an die er schreibt, an die er sich hängen kann, wenn ihm sonst nichts mehr bleibt.«

      Rudolf nickt wie zustimmend.

      »Na ja«, seufzt Doris, »das habe ich mir eben zu Herzen genommen. Bloß dass ich Frau Bergers Ermahnung auf Horst bezog. Ich war wirklich der Meinung, nun ganz schnell heiraten zu müssen, um Horst einen moralischen Rückhalt geben zu können. Horst aber hatte ganz andere Ansichten. Die sagte er mir so deutlich, dass wir uns trennten. Ich gebe zu, Rudolf, dass ich damals schrecklich geheult habe. Dann aber schrieb ich Heinz, und ein paar Wochen später habe ich mich mit ihm verlobt. Jetzt wissen Sie’s … So, und nun machen wir Licht und trinken unseren Tee, einverstanden?«

      Doris steht auf, geht zum Fenster, zieht die Gardine zu und fragt über die Schulter zurück:

      »Fliegeralarm wird es bei diesem Wetter wohl nicht geben, was?«

      »Kaum.«

      Doris schaltet eine hübsche Wandlampe ein. Der Raum füllt sich mit einem behaglichen Licht.

      Der Tee plätschert in die Tassen. Doris fordert ihren Gast zum Zugreifen auf.

      »Sie sind ein seltsames Mädchen«, murmelt Rudolf, mit einem achtungsvollen Blick zu ihr hinüber. »Ich muss Sie bewundern.«

      »Ach, hören Sie auf, Rudolf«, wehrt sie ab. »Ich habe mich lächerlich gemacht. Befangene Gemüter sind sogar auf den Gedanken gekommen, ich sei heiratswütig.«

      »Du lieber Himmel, was reden Sie da!«

      »Schluss damit!«, ruft sie halb heiter, halb ernst. »Unterhalten wir uns jetzt von anderen Dingen. Ich sehe gerade, dass Sie dekoriert wurden! Gratuliere!«

      Niemand stört. Die beiden sitzen in lebhafter Unterhaltung in der gemütlichen Stube. Draußen hat sich der Sturm gelegt.

      »Darf ich Ihnen sagen, dass ich sehr glücklich bin, mit Ihnen zusammengetroffen zu sein, Doris?« Rudolf versucht, nach ihrer Hand zu haschen, doch sie entzieht sie ihm.

      »Sie reden gerne in Superlativen, Rudolf«, meint sie mit freundlichem Spott. »Warum sagen Sie nicht einfach, dass Sie sich freuen? Ich freue mich ja auch, einen Bekannten wiederzusehen.«

      »Ehrlich?«, fragt er.

      »Aber gewiss.«

      »Dafür muss ich Ihnen die Hand küssen, Doris!«, Sie lacht und reicht sie ihm: »Da, Sie Poussiermeister!«

      Auch Rudolf lacht, wenn auch ein bisschen verlegen. Er küsst ihre Hand, legt dann die seine darüber und schaut Doris an:

      »War es richtig, dass ich Horst nichts von unserem Zusammentreffen erzählt habe?«

      Sie entzieht ihm jetzt ihre Hand und lehnt sich zurück. »Rudolf, sagen Sie ehrlich: Würde Horst Wert darauf legen, mich wiederzutreffen?«

      »Eine heikle Frage, Doris.«

      »Beantworten Sie sie als Horsts Freund.«

      »Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich unbeliebt bei Ihnen mache?«, fragt er rasch.

      »Danke«, sagt sie und lächelt wie versteinert. »Sie haben mir die Antwort bereits gegeben.«

      »Sprechen wir von anderen Dingen«, schlägt er vor.

      Doris erzählt von ihrem Dienst: dass eigentlich nicht viel los sei und dass der Truppenarzt ab und zu – so wie heute zum Beispiel – in die Häuser der Zivilisten gehe, um Patienten zu behandeln. »Doktor Kempf ist ein prächtiger Mensch«, sagt sie.

      Nach einer halben Stunde schaut Rudolf auf die Uhr. Umso mehr freut ihn die Frage: »Haben Sie es so eilig, Rudolf?«

      »Nein. Aber mir fällt eben eine Redensart ein.«

      »Nun?«

      »Dass man sich über einen Besuch zweimal freut: einmal, wenn er kommt, zum anderen, wenn er geht.« Sie lachen.

      Mitten hinein in dieses Lachen ertönt ein gewaltiger Donnerschlag – so stark, dass die Wände wackeln und die Teetassen klirren. Gleichzeitig tuten draußen ein paar Nebelhörner. Die Küstenbatterie schießt.

      »Kommen Sie, Rudolf, es ist Alarm! Wir müssen sofort in die Deckungsgräben! Ich hole die Mäntel … Ihr Koppel!«

      Sekunden später laufen sie hinaus.

      »Alarm!«

      Im Flur der Kommandantur rennen, stolpern, fluchen die Soldaten. Die beiden einzigen Patienten, in Decken gehüllt, stürzen aus dem Krankenzimmer.

      »Schnell in die Deckungsgräben!«, ruft Doris. Ihre helle Stimme dringt laut durch das Getümmel.

      An der Seite des Mädchens eilt Rudolf hinaus.

      »Dort hinüber!«

      Unweit des Gebäudes ist ein Deckungsgraben. Gestalten laufen drauf zu und springen hinein.

      Hinter dem Hafen, auf den Höhen verborgen, feuern die Küstenbatterien Lage auf Lage in den grauen Dunst hinein, der über dem Wasser hängt. Auch die Schnellboote laufen in höchster Eile aus. Auf der Mole rennen Soldaten. Die Luft erzittert unter den Abschüssen der schweren Geschütze.

      Da! Es heult von der See heran, orgelt, jault. Zwei … drei … vier haushohe Wasserfontänen steigen hoch. Aber noch liegen die Einschläge weit draußen, noch etwa hundert Meter vom Festland entfernt.

      Jetzt heulen die nächsten Geschosse heran und schmettern zwischen die Fischerboote hinein. Wrackteile segeln durch die Luft. Ein weggerissener Mast spießt sich in den Sand und zerbricht.

      Augenblicke später erreicht der Feindbeschuss von See her den Höhepunkt. Brüllend detonieren schwere Granaten vor und hinter dem Kommandogebäude. Unablässig schießt die eigene Artillerie. Pulverqualm senkt sich herab und reizt zum Husten. In den Deckungsgräben kauern Soldaten und Zivilisten, die Gesichter an die nackte, nasse Erde gepresst, die Augen geschlossen, die Arme über die Köpfe gehalten.

      Nur wenige Meter von dem verwinkelt angelegten, mannstiefen Deckungsgraben entfernt, bohrt sich eine schwere Granate in den Boden und schleudert eine Dreckfontäne hoch. Prasselnd fällt sie zusammen und deckt die Menschen im Deckungsgraben zu.

      Rudolf Brechtmann erlebt einen anderen Krieg als den, den er gewöhnt ist. Die Arme um Doris geschlungen, die zusammengekrümmte Mädchengestalt fest an sich pressend und mit dem eigenen Körper deckend, liegen sie im Deckungsgraben unter einem Hagel aus Sand, Erde und zerhämmertem Gestein.

      Die englischen Zerstörer sind im Schutze der Schlechtwetterfront an die Küste herangekommen. Salve auf Salve jagen sie herüber und drohen, den kleinen, scheinbar unwichtigen Fischerhafen zu vernichten. Im Krachen und Bersten der Granaten ersticken