»Jede Menge!« rief Walli. »In der ›1‹ wartet schon eine ältere Dame auf dich, Adrian. Und du kannst gleich mit mir kommen, Bernd. Ich brauche deine Hilfe.«
Schwester Bea war erst achtzehn, aber sie hatte durchaus gemerkt, daß Adrian ihr hatte helfen wollen. Sie sandte ihm einen dankbaren Blick zu und folgte ihm in Kabine 1.
*
Es war bisher ein überaus hektischer Tag gewesen, und wenn Stefanie das richtig beurteilte, dann würde es auch so weiter gehen. Das Hotel King’s Palace war voll ausgebucht, und einige Angestellte waren zur Zeit krank. Gerade jetzt machte sich das stark bemerkbar.
Sie hatte noch nicht einmal eine Kleinigkeit essen können zwischendurch, und mittlerweile war ihr richtig flau im Magen. Sie beschloß, im Restaurant zu fragen, ob man ihr etwas zubereiten könnte. Sie griff schon nach dem Telefon, um ihre Sekretärin zu bitten, sich darum zu kümmern, doch dann überlegte sie es sich anders. Es konnte nicht schaden, selbst nach unten zu gehen und zu sehen, ob die Küche die Probleme jetzt im Griff hatte.
Sie machte sich auf den Weg, und zum zweiten Mal an diesem Tag begegnete sie Felicitas Markwart. Die junge Frau hatte wohl die Absicht gehabt, das Hotel zu verlassen. Unwillkürlich fragte sich Stefanie, warum sie das tat, wo es ihr doch ganz offensichtlich noch immer nicht gutging.
Stefanie sah gerade noch, wie die andere einige unsichere Schritte in Richtung Ausgang tat, dann blieb sie abrupt stehen. Sie wandte sich einer der Sitzgruppen zu und ließ sich in einen Sessel sinken. Dort blieb sie mit geschlossenen Augen sitzen, während sie versuchte, gleichmäßig und tief durchzuatmen.
Stefanie zögerte. Sie wollte nicht aufdringlich sein, aber die Frau brauchte ganz sicher Hilfe, auch wenn sie sie bis jetzt abgelehnt hatte. Mit raschen Schritten ging sie auf sie zu und sagte mit leiser Stimme: »Frau Markwart, es geht Ihnen ja immer noch nicht besser.«
Felicitas Markwart öffnete die Augen und sah sie an. Diesmal versuchte sie gar nicht erst zu widersprechen. »Sieht so aus«, gab sie zu. »Ich dachte, ein kleiner Spaziergang würde mir guttun bei dem schönen Wetter. Aber ich habe meine Kräfte wohl überschätzt.«
»Ich bringe Sie jetzt zurück auf Ihr Zimmer, und dann rufe ich einen Arzt«, sagte Stefanie energisch.
»Aber…« begann die junge Frau.
»Kein Aber, Frau Markwart! Ich kenne privat einen sehr guten Arzt und werde ihn bitten, nach seinem Dienst hier vorbeizukommen.«
Aus irgendeinem Grund schien diese Auskunft Felicitas Markwart zu beruhigen. »Ein Freund von Ihnen?«
»Ja!« behauptete Stefanie, obwohl das leider übertrieben war. War Dr. Adrian Winter ein Freund von ihr? Sie fühlte sich sehr zu ihm hingezogen, und schon öfter hatte sie den Eindruck gehabt, daß es ihm ebenso ging, aber dennoch schien etwas zwischen ihnen zu stehen. Jedenfalls sahen sie sich nur äußerst selten, was sie, wie sie sich selbst eingestand, sehr bedauerte.
Und jetzt also ergab sich die Gelegenheit, ihn anzurufen – und das auch noch mit gutem Grund. Sie schämte sich ein bißchen, daß sie nicht nur Frau Markwart helfen wollte, sondern auch einen durchaus eigennützigen Zweck verfolgte, aber schließlich wußte das niemand außer ihr. Und sie richtete damit ja auch keinen Schaden an.
Langsam gingen die beiden Frauen zum Fahrstuhl. Immer wieder blieb Felicitas Markwart stehen und griff sich an den Kopf. »Tut mir leid«, sagte sie leise. »Ich wollte Ihnen keine Unannehmlichkeiten machen.«
»Ich bitte Sie, Frau Markwart – es ist selbstverständlich, daß wir uns um Sie kümmern, wenn es Ihnen nicht gutgeht.«
»Ehrlich gesagt, ich bin froh, daß gerade Sie es sind, die mir hilft«, gestand die junge Frau mit schüchternem Lächeln. »Sie sind so einfühlsam, Frau Wagner.«
Nun schämte sich Stefanie doch. Wenn du wüßtest, dachte sie. Ich bin ziemlich egoistisch, das kann ich dir sagen.
Aber das behielt sie für sich. Sie begleitete Felicitas Markwart zum zweiten Mal an diesem Tag auf ihr Zimmer, half ihr, sich auf dem Bett auszustrecken, und tippte dann sehr schnell eine Zahlenkombination, die sie auswendig wußte, obwohl sie die Nummer bisher nur sehr selten gewählt hatte.
*
Es war die hübsche Bea, die den Anruf entgegennahm. Mit gerunzelter Stirn lauschte sie den Worten der Anruferin, dann sagte sie: »Augenblick mal bitte«, und machte sich auf die Suche nach Dr. Winter.
»Herr Dr. Winter, da ist eine Frau am Telefon, die Sie sprechen will.« Sie machte eine kurze Pause und fügte dann etwas leiser hinzu: »Sie hat gesagt, Sie kennen sie, Frau Wagner heißt sie, Stefanie Wagner. Und es sei dringend.«
Adrian zuckte zusammen, als sie den Namen nannte, aber sie ließ sich nicht anmerken, ob sie seine Reaktion mitbekommen hatte. »Sagen Sie ihr bitte, daß sie noch zwei Minuten warten muß. Dann bin ich hier fertig und kann mit ihr sprechen. Wenn ich zurückrufen soll, lassen Sie sich bitte die Nummer geben.«
Bea nickte nur und verschwand wieder. Als sie zurückkam, sagte sie nur: »Sie ist noch dran. Sie wollte lieber warten.«
Adrian verschloß die Wunde eines Jungen, der sich mit einer Glasscherbe im Gesicht verletzt hatte, mit einem Klammerpflaster und sagte zu seiner Mutter: »So, Sie müssen sich keine Sorgen mehr machen um Ihren Sohn. Lassen Sie Ihren Hausarzt nach zwei Tagen mal einen Blick auf die Wunde werfen, aber normalerweise dürfte sie glatt verheilen.«
»Vielen Dank, Herr Doktor«, sagte die erleichterte Frau und verließ mit dem Kind die Notaufnahme.
Adrian eilte zum Telefon. Warum rief Stefanie Wagner, die er seit Wochen nicht gesehen hatte, ihn an? Wie gern hätte er sie öfter getroffen, hätte sie näher kennengelernt, aber unglücklicherweise wußte er, daß sie einen Freund hatte…
»Frau Wagner? Adrian Winter hier. Sind Sie krank?«
»Nein, nicht ich«, antwortete sie, und er sah sie vor sich mit ihren schönen blonden Locken und diesen unglaublichen Augen, deren Farbe ihn an die von Veilchen erinnerte. »Aber ich habe einen Gast hier im Hotel, eine junge Frau, die mir Sorgen bereitet. Ihr ist immer schwindlig, und sie fühlt sich ganz offensichtlich elend.«
»Fieber? Übelkeit? Erbrechen?« fragte er.
»Nein, nichts von alledem – das heißt, Fieber habe ich nicht gemessen, aber sie macht mir nicht den Eindruck. Und sie wollte auch gar nicht, daß ich überhaupt einen Arzt anrufe, obwohl ich es eindeutig finde, daß ihr etwas fehlt. Sie hat nur eingewilligt, daß ich Sie anrufe, weil ich gesagt habe, daß ich Sie privat kenne. Ich weiß, daß das nicht zu Ihren Aufgaben gehört, schließlich sind Sie kein Notarzt, aber ich wußte nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte.«
»Wo ist die Frau jetzt?« fragte er.
»Hier in ihrem Hotelzimmer. Sie liegt auf dem Bett. Sie ist sehr blaß, aber wenn sie sich ruhig verhält, scheint es ihr besserzugehen. Nur laufen kann sie offenbar nicht.«
»Ich kann jetzt nicht sofort hier weg, aber ich habe in einer Stunde ohnehin Pause. Dann könnte ich bei Ihnen vorbeikommen. Aber wenn sich der Zustand der Frau verschlechtert, sollten Sie unbedingt einen Notarzt anrufen, Frau Wagner. Können Sie bei ihr bleiben, bis ich komme?«
»Ja, das mache ich auf jeden Fall. Sie kommen wirklich?« Er hörte die Wärme in ihrer Stimme und freute sich darüber. Natürlich gehörte ein solcher Fall nicht zu seinen Aufgaben, aber wenn sich ihm dadurch die Gelegenheit bot, Stefanie Wagner wiederzusehen… Du solltest dich schämen, Adrian Winter, sagte er sich, aber er tat es nicht.
»Ja, natürlich, sobald ich kann. Vielleicht komme ich auch schon früher hier weg.«
»Zimmer 403«, sagte Stefanie. »Ich warte dann also auf Sie. Bis gleich – und vielen, vielen Dank. Sie haben einen Wunsch frei bei mir.«
»Bis