Das Wechselspiel von Köln. Franziska Franke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franziska Franke
Издательство: Bookwire
Серия: Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958132283
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Dicke Nebelschwaden verhüllten das Rheintal und ein leichter, aber kontinuierlicher Nieselregen weichte die Erde auf. Das war genau die Art von Niederschlag, die meine Reben benötigten. Ich hingegen hätte an diesem Morgen Sonnenschein vorgezogen. Vor den Hufen meines Braunen stoben die Hühner auseinander, die im Frühnebel die Gefahr erst im letzten Augenblick bemerkten, und um ein Haar hätte ich eine Ziege über den Haufen geritten. Nachdem ich das Haupttor meines Gutshofs passiert hatte, verfolgte mich noch lange das klägliche Jaulen des an seine Hütte angeketteten Wachhundes.

      Unser Treffpunkt, das von seinen Soldaten für Drusus errichtete Ehrengrab, befand sich am südlichen Ende der Stadt, nicht weit vom Haus des Bankiers entfernt. Leider erhob es sich auf einer Anhöhe, wo man Wind und Regen schutzlos ausgesetzt war. Hätte ich das schlechte Wetter vorhergesehen, so hätte ich einen weniger exponierten Treffpunkt vorgeschlagen.

      Langsam ritt ich über lehmige Erde und lose Steine den Pfad entlang, der zur Landstraße nach Mogontiacum führte. Mit etwas Glück erreichte ich mein Ziel ohne von einem tiefhängenden Ast vom Pferd gerissen zu werden oder vom Weg abzukommen und im Morast zu versinken.

      Auf der gepflasterten Straße konnte ich etwas zügiger reiten. Es erfüllte mich mit Stolz, dass die römische Armee das Land der Barbaren mit schnurgeraden Straßen erschlossen hatte, die bei jeder Witterung passierbar waren. Normalerweise herrschte auf diesen Landstraßen reger Verkehr. Aber diesmal begegnete mir nur ein einziges Ochsengespann.

      Plötzlich realisierte ich, dass ich längst am Ziel sein müsste. Ich zügelte mein Pferd und schaute mich um. Hinter mir erkannte ich am Wegrand die verschwommenen Konturen des Rundgrabs, die so substanzlos wirkten wie ein Geisterpalast. Um ein Haar wäre ich an dem hundert Fuß hohen und mit Marmorplatten verkleideten Ehrengrab vorbeigeritten!

      Mein suchender Blick wanderte über das Denkmal und die umgebenden Bäume, aber ich sah im Nebelschleier keine Menschenseele und war schon im Begriff, wieder umzukehren. Doch im selben Moment, in dem ich mein Pferd anspornte, tauchte ein roter Haarschopf aus dem milchigen Weiß des Dunstes auf. Er gehörte Pina, die unter einem Baum Schutz gesucht hatte und trotz des Nieselregens Anstalten machte, mir entgegenzueilen.

      Erleichtert zügelte ich mein Pferd und saß ab.

      »Bleib lieber, wo du bist!«, rief ich dem Mädchen zu, aber sie ließ sich nicht beirren. Ehe ich mich versah, stand sie, in einen langen Mantel vermummt, vor mir.

      »Mir gefällt das Wetter«, erklärte sie, nachdem sie mich begrüßt hatte. Gut gelaunt schob sie die Kapuze ihres Umhangs in die Stirn, sodass nur noch einige Strähnen ihres roten Haars sichtbar blieben. »Lass uns ein paar Schritte gehen, damit uns die Männer nicht hören.«

      Mit den Männern meinte sie die Ehrenwache des Denkmals, die irgendwo in den alles verhüllenden, weißen Schwaden herumstanden, falls sie nicht die Gunst der Stunde ausgenutzt und sich in die Taverne abgesetzt haben sollten.

      »Du hast Recht. Unsere Unterhaltung geht sie nichts an«, stimmte ich zu und stapfte, den Braunen am Zügel führend, zur Landstraße zurück.

      Meine Schuhe versanken im Gras, meine Füße waren schon ganz nass und ich bewunderte den Kapuzenmantel des neben mir schreitenden Mädchens. Wenn sie wüsste, wie ich sie in diesem Moment um das barbarische Kleidungsstück beneidete! Leider hatte ich es versäumt, mir einen Mantel überzuwerfen, und meine durchweichte Tunika klebte mir längst am Körper.

      Ganz plötzlich erinnerte ich mich, wieso mir der Name des Bankiers bekannt vorgekommen war: Ich hatte neulich an einer Hauswand folgende Inschrift gelesen: Am 2. Januar einen Kapuzenmantel bei Probus Marcellus hinterlegt. Für 1 Denar und 2 As nahm er 1 As Zinsen. Hoffentlich hatte der arme Schuldner sein Kleidungsstück inzwischen auslösen können!

      »Schön, dass du gekommen bist …« Ich stockte kurz. »Leider hat man mir deinen vollständigen Namen nicht mitgeteilt, daher ...«

      »Nenn mich einfach Pina, das genügt«, unterbrach sie mein Gestammel. Ihr ruhiger Blick begegnete dem meinen, ohne auszuweichen. Ob Julia Marcella mit dieser privaten Anrede einverstanden wäre? Wusste sie überhaupt, dass Pina sich mit einem fremden Mann am Stadtrand herumtrieb? Sicherlich würde sie sich später über den Zustand des Mantels und der feinen Wildlederschuhe ihrer kleinen Schwester wundern! Wieder bedauerte ich, einer spontanen Eingebung folgend, diesen abwegigen Treffpunkt gewählt zu haben.

      »Schön, dass du trotz des Nebels gekommen bist, Pina«, machte ich einen neuen Anlauf. »Ich hatte gestern den Eindruck, dass deine Schwester etwas vor mir zu verbergen suchte …«

      »Ach, deshalb wolltest du mit mir reden. Ich dachte …«

      Das Mädchen biss sich auf die Lippen und schaute dann auf den Boden, wo vor ihren Füßen ein Regenwurm durch den Matsch glitt. Ich weigerte mich innerlich, den Satz im Geiste zu ergänzen, sondern versuchte stur meine Untersuchung voranzutreiben.

      »Niemand beschuldigt euch, etwas Unrechtes getan zu haben. Schließlich ist Probus Marcellus nicht in Mogontiacum gestorben«, beteuerte ich, mehr um das peinliche Schweigen zu beenden, als dass ich vom Wahrheitsgehalt meiner Worte überzeugt gewesen wäre.

      »Das hat sich gestern aber ganz anders angehört.«

      Ich atmete beruhigt auf, weil Pina sich auf das Thema einließ.

      »Um ehrlich zu sein, interessieren mich eure Familienangelegenheiten nicht im Mindesten, aber der Legat hat mir die Sache aufgenötigt. Er hat mich mit den Schulden erpresst, die mein Bruder bei deinem Stiefvater …«

      »Meinem Schwager«, verbesserte sie.

      Dieses Wort erschien mir angesichts des großen Altersunterschieds zwischen den beiden Schwestern unpassend.

      »Wie dem auch sei! Ich soll den Tod des Probus Marcellus aufklären. Und das auch noch so diskret wie möglich!«, fügte ich erbost hinzu. »Was ist während der letzten Tage seines Lebens vorgefallen? Jede Einzelheit kann wichtig sein. Auch wenn du ihr keine Bedeutung beigemessen hast.«

      »Das Einzige, was ich weiß, ist, dass Probus tot ist«, erklärte das Mädchen mit trotzig angehobenem Kinn. »Nachdem uns die schreckliche Nachricht erreichte, haben alle im Haus he-rumgetuschelt. Wenn ich nachgefragt habe, hieß es, ich sei noch zu jung, um es zu verstehen.« In diesem Augenblick wirkte sie tatsächlich sehr kindlich. »Eine Woche nach dem Tod meines Schwagers wurde seine Urne nach Mogontiacum überführt und an der Gräberstraße beigesetzt. Danach hat niemand mehr über Probus gesprochen.«

      »Du mochtest ihn nicht?«

      »Meine Schwester hat ihn geheiratet, nicht ich.«

      »Du hast in einem Haus mit ihm zusammengelebt! Also wirst du dir eine Meinung über deinen Schwager gebildet haben. Fang am besten mit seinem Äußeren an!«

      Pina zuckte mit den Schultern. Dann warf sie mir einen kämpferischen Blick zu.

      »Wenn du es unbedingt wissen willst: Ich konnte ihn nicht ausstehen. Er war ein gutaussehender Mann mit kastanienbraunem Haar und treuen blauen Augen, der aussah, als ob er kein Wässerchen trüben könnte. Trotzdem hat er allen Frauen nachgestellt. Nur mich hat er nicht beachtet.«

      Fast hätte ich über den eingeschnappten Tonfall gelacht. Leider brachte jedoch die Charakteresierung meine ganzen Theorien durcheinander. Bisher hatte ich mir den Bankier als hässlichen Fettwanst mit Halbglatze vorgestellt, den Julia Marcella seines Geldes wegen geheiratet hatte.

      »Das wäre auch noch schöner gewesen«, stellte ich belustigt fest, bevor ich die gesamte Tragweite von Pinas Worten begriff. »Deine Schwester hat ihn geliebt?«, entfuhr es mir überrascht.

      »Am Anfang schon, aber die Enttäuschung ist schnell gekommen. Allein diese ständigen Reisen, bei denen er sie nicht mitgenommen hat! Vermutlich hatte er es nur auf ihr Geld abgesehen. Wir sind nämlich die Töchter eines reichen Bauunternehmers.«

      Vielleicht ist es gut, dass er tot ist, dachte ich und erschrak im gleichen Augenblick über diesen ketzerischen Gedanken. Langsam bekam das unscharfe Bild des Verstorbenen Konturen, aber es fehlte noch ein Detail.

      »War