Tod in Rothenburg. Barbara Edelmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Barbara Edelmann
Издательство: Bookwire
Серия: Franken Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416791
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und öffnete aufs Geratewohl eine Tür.

      Montagmorgen, Ansbach

      In dem von der Morgensonne beleuchteten lang gestreckten Gebäude der Kriminalpolizei Ansbach in der Schlesierstraße herrschte um diese Uhrzeit bereits Hochbetrieb. Nur in einem einzigen Raum war es mucksmäuschenstill.

      »Fehlt noch jemand?« Wolfgang Hübner, der Leiter des K1 in Ansbach, sah alle anwesenden Mitglieder seiner neu gegründeten Sonderkommission der Reihe nach streng an. Niemand getraute sich auch nur zu husten, denn Hübner, ein hochgewachsener, schlanker Mann Ende fünfzig mit dichtem grauen Haar und scharfen blauen Augen, schien an diesem Montagmorgen nicht sonderlich viel Spaß zu verstehen. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte er gegen sein übliches Sodbrennen schon mindestens zwei Beutelchen Säurebinder geschluckt. Vermutlich war ihm heute Morgen das ausführliche Telefonat mit einer hochrangigen Rothenburger Lokalgröße nicht bekommen.

      Aufmerksam musterte er alle Anwesenden, als er plötzlich niesen musste. Er zog ein blütenweißes Stofftaschentuch mit Monogramm aus der Tasche seiner akkurat gebügelten Leinenhose und warf Dodo dabei einen scheelen Seitenblick zu.

      Sie wurde blass. »Verdammt, das hatte ich ganz vergessen«, flüsterte sie Kurti erschrocken zu, der ihr einen fragenden Blick zuwarf.

      Hübner verkündete säuerlich: »Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass ich heute Morgen einen Anruf des Bürgermeisters von Rothenburg bekommen habe.« Er steckte sein Taschentuch wieder ein. »Diese Angelegenheit muss so schnell wie möglich vom Tisch beziehungsweise von der Mauer. Gott sei Dank haben die Kollegen der Spurensicherung gute Arbeit geleistet, sodass der Tatort bereits freigegeben werden konnte. Aber zuerst …« Er nieste nochmals, wobei Dodo mit schuldbewusstem Blick zusammenzuckte, dann öffnete er eine Aktenmappe und entnahm ihr ein Blatt Papier. Eine große Ecke war offensichtlich abgerissen und mehr schlecht als recht wieder angeklebt worden. »Frau Haug, Sie waren ja heute Nacht noch mit Herrn Voggel im Büro. Haben Sie hierfür eine Erklärung?« Hübner hielt Dodo das Blatt mit vorwurfsvollem Blick unter die Nase.

      »Keine, die Sie mir abkaufen würden«, wand sich Dodo verlegen.

      »Das ist der Autopsiebericht der Rechtsmedizin über den Oswald-Fall«, grollte Hübner. »Er lag oben auf meinem Schreibtisch. Wo ist sie?«

      »Wo ist wer?« Dodo wurde rot.

      »Ist das Ihr Ernst, Frau Haug? Wie lange kennen wir uns?« Hübner stemmte beide Arme in die Hüften und sah sie durchdringend an.

      Kurti mischte sich ein. Heute trug er zur Feier des Tages eine ausgewaschene Jeans und ein weites dunkelbraunes Shirt, das wie aufgepinselt wirkte. »Im Zuge der Ermittlungen mussten wir in der Wohnung des Opfers ein herrenloses Tier sicherstellen, um eine weitere Kontamination des Tatortes und eine Zerstörung von Beweisen zu verhindern. Die Katzentoilette war nämlich seit Tagen nicht gesäubert worden, und wir wollten nichts riskieren.«

      »Hab schon gehört, dass Sie ein Witzbold sind, Herr Voggel. Also, wo?« Hübner sah sich misstrauisch um. »Frau Haug, Sie wissen doch, dass ich allergisch gegen Katzenhaare bin.«

      »Tut mir sehr leid, Chef«, bat Dodo, die in ihrem roten, ärmellosen Kleid im Lagenlook entzückend, wenn auch ein wenig übernächtigt wirkte. Auf ihrem rechten Oberarm prangte unübersehbar ein großes Pflaster. »Ich wollte sie ins Tierheim bringen, aber es war zu spät am Abend.«

      Im Raum war es mucksmäuschenstill geworden. »Herr Voggel …« Hübner warf einen kurzen Blick unter Dodos Stuhl und war sichtlich erleichtert, dass dort keine Katze saß. Dann deutete er auf den Kratzer in Kurtis Gesicht. »Schon die erste Meinungsverschiedenheit mit Frau Haug gehabt?« Er grinste.

      »Das heilt wieder.« Kurti rieb sich verlegen die Wange. »Etwas Ringelblumensalbe …«

      »Schon gut.« Hübner winkte ab. »Bemerkenswert, Herr Voggel, wie schnell Sie sich Frau Haug angepasst haben, für die unsere Dienstvorschriften erfahrungsgemäß Auslegungssache zu sein scheinen.«

      »Wir konnten sie … äh, ihn, nicht im Auto lassen in diesem kleinen Karton. Außerdem stand Ihre Bürotür offen, und dieses Tier ist verdammt schnell«, verteidigte Kurti seine Kollegin.

      »Ehe Sie das nächste Mal hier eine Zweigstelle von PETA eröffnen, rufen Sie bei mir an«, warnte ihn Hübner. »Wann bekomme ich einen Zwischenbericht?«

      »Bald«, versicherte ihm Dodo hastig. Um Hübners Mundwinkel zuckte ein kaum wahrnehmbares Lächeln. »Versauen Sie mir den Kollegen Voggel nicht. Er scheint bisher ein unbeschriebenes Blatt. Können wir jetzt weitermachen?«

      »Das werden wir noch büßen«, flüsterte Dodo.

      »Falls Sie nicht auch noch einen Papagei aus der Wohnung des Opfers mitgenommen haben, Ruhe jetzt«, befahl Hübner gelassen. Hinter Dodo kicherte jemand.

      »Die Tote, Sandra Kaiser, geborene Baltus, war einunddreißig Jahre alt, seit zwei Jahren geschieden, und hatte laut rechtsmedizinischer Untersuchung keinerlei erkennbare Vorerkrankungen«, begann Hübner. »Irgendwelche Hinweise im Apartment des Opfers, Frau Haug, Herr Voggel?«

      »Dort ist uns jemand zuvorgekommen«, erklärte Kurti. »Die Wohnung wurde durchwühlt.«

      »Der Laptop von Frau Kaiser war komplett gelöscht«, pflichtete Dodo ihm bei, »und außer einer Sammlung von Rechnungen und Mahnungen in einem Schuhkarton konnten wir nichts finden. Peter versucht bereits, die Daten auf dem Notebook teilweise zu rekonstruieren. Die Belege haben wir wieder zusammengesetzt.«

      »Nun gut. Abgesehen von der Mutter, Petra Baltus, wohnhaft in Würzburg, gibt es keine Verwandten des Opfers«, fuhr Hübner fort. »Sie wurde bereits benachrichtigt. Sandra Kaiser war seit sechs Monaten in der Hautarztpraxis Dr. Wilbold beschäftigt – kümmern Sie sich darum, Frau Haug, Herr Voggel?«

      »Die hat ganz normal gearbeitet?«, entfuhr es Dodo. »Mit einem normalen Gehalt?«

      »Sie werden sich gleich noch wundern«, kündigte Hübner an. »Laut Rechtsmedizin handelt es sich bei dem Stück Holz im Abdomen des Opfers um ein ›Kerbholz‹, also ein sogenanntes ›Zählholz‹, im Mittelalter das Äquivalent einer Bonitätsauskunft. Das Alter dieses Holzes wird von der Forensik auf ungefähr sechshundert Jahre geschätzt, ist also eine unbezahlbare Antiquität.«

      »Soweit ich heute Nacht im Internet recherchieren konnte, waren diese Hölzer aber im Normalfall zweigeteilt«, gab Kurti zu bedenken. »Die Kerben wurden angebracht, und dann wurde das Holz der Länge nach gespalten. Eine Hälfte erhielt der Gläubiger, die andere der Schuldner. Dann konnte man die beiden Teile aneinanderhalten und überprüfen, ob Manipulationen stattgefunden hatten. Es fehlt also eine Hälfte. Wo ist die?«

      »Bisher nicht aufgetaucht, aber gut beobachtet«, lobte Hübner. »Übrigens war nicht das massive Bauchtrauma tödlich, sondern die Fraktur des Dens Axis. Einfacher ausgedrückt, sie hat sich beim Sturz von der Treppe das Genick gebrochen und war sofort tot.«

      Kurz blickte er in die Runde, alle hingen aufmerksam an seinen Lippen. Nicht einmal Dodo meldete sich, denn der Chef wirkte bei seiner Rede äußerst angespannt. »Keine Abwehrverletzungen, keine fremde DNA unter den Fingernägeln. Außerdem wurde beim Opfer ein im Randbereich bereits grünlich gelb verfärbtes sogenanntes Monokel-Hämatom am linken Auge festgestellt«, las Hübner nun aus dem Gutachten der Rechtsmediziner vor. »Es ist anhand der Verfärbungen davon auszugehen, dass es nicht erst Sonntagnacht entstanden ist, sondern ein, zwei Tage davor.«

      »Interessant«, meinte Dodo. »Also stammt es nicht von dem Kampf auf der Mauer.«

      »Sehr wahrscheinlich«, nickte Hübner. »Und jetzt wird es interessant: Genau dieses Kerbholz, das in ihrem Bauch steckte, hat Sandra Kaiser vor ein paar Wochen über eBay Kleinanzeigen verkauft, und zwar für fünftausend Euro, wie wir in Erfahrung bringen konnten. Herr Waltner, bitte.«

      Ein schlanker, blasser Mann Mitte dreißig erhob sich, blickte unsicher in die Runde und rückte eine dunkle Hornbrille zurecht, mit den dicksten Gläsern, die Kurti je gesehen hatte. Seine Wangen waren leicht gerötet, und er machte