Tod in Rothenburg. Barbara Edelmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Barbara Edelmann
Издательство: Bookwire
Серия: Franken Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416791
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aus diesem bezaubernden kleinen Shop in der Nähe der Touristikinformation.« Das klang sehr entschlossen. »Warum antwortest du nicht? George? Ich wusste es! Diese letzte Flasche Wein war zu viel.« Missbilligend runzelte sie die Stirn. »Du weißt doch, dass diese Deutschen so starkes Bier brauen, denen ist bestimmt auch beim Wein nicht zu trauen.«

      Erstaunlicherweise zeigte Mary, die beim Weintrinken tapfer mitgehalten hatte, selbst keinerlei Anzeichen von Beschwipstheit. Auch in dieser Hinsicht war sie ihrem Gatten haushoch überlegen.

      Ergeben senkte George sein müdes Haupt. Wie viele kluge Ehemänner hielt er es für vernünftiger, seiner Frau nicht zu widersprechen. Die Reise würde noch länger dauern, außerdem hatte er schon vor fünfundzwanzig Jahren und vierzig von Marys dezentral verteilten Kilos früher bedingungslos kapituliert.

      »Darf es noch etwas sein?«

      Schwerfällig hob er den Kopf und musterte irritiert die beiden lächelnden Kellner mit den weißen Schürzen. Sie sahen aus wie eineiige Zwillinge. »Hat es Ihnen geschmeckt?«, fragten sie nun gleichzeitig.

      »Danke, es war hervorragend«, beeilte Mary sich zu versichern. »Wir möchten bezahlen. Darling!« Das klang auffordernd.

      Irritiert streckte George den zwei Kellnern wortlos seine Visakarte entgegen und schloss kurz die Augen, ehe er hastig noch einen letzten Schluck aus seinem beinahe leeren Weinglas trank.

      »Schluss damit«, befahl Mary energisch. »Du hast dich wieder übernommen, genau wie in München.«

      Eingeschüchtert ließ George das Glas sinken, Widerspruch war zwecklos. Seine Frau hatte sich bedauerlicherweise auch verdoppelt, wie er entsetzt feststellen musste. Und jede der beiden Marys sah sehr entschlossen aus. Die Kellner kamen flugs zurück und überreichten ihm mit einem jovialen Lächeln die Kreditkarte. Unsicher nahm George einen der beiden Kugelschreiber, die ihm entgegengestreckt wurden, und unterschrieb den Abrechnungsbeleg so leserlich, wie er nur konnte.

      Seine Ehefrauen erhoben sich und sahen ihn streng an. »Wir schauen auf dem Rückweg noch einmal an der Stadtmauer vorbei«, bestimmten sie. »Die ist nur ein paar Meter entfernt, und die frische Luft wird dir guttun. Außerdem muss ich bei diesem herrlichen Vollmond noch ein, zwei Fotos schießen. Linda wird sich grün und blau ärgern.«

      Die beiden servilen Kellner waren lautlos verschwunden. Mit wackeligen Knien erhob sich George und folgte der doppelten Gattin nach draußen, wo ihn die laue Juninacht mit samtigen Armen umfing. Über den Fachwerkfassaden leuchtete ein bleicher Mond und verlieh der Galgengasse etwas Surreales.

      »Oh, das ist besser als Disneyworld.« Mary breitete begeistert ihre Arme aus und deutete nach links. »Sieh mal, George, da vorne ist sie schon, die Stadtmauer. Gruselig, oder? Ich habe im Reiseführer gelesen, dass auf dieser Straße die Verurteilten aus der Stadt hinaus zu ihrer Hinrichtung gefahren wurden. Stell dir das bloß vor!«

      George, der sich dank der letzten fünfundzwanzig Ehejahre sehr gut vorstellen konnte, wie sich die bedauernswerten Delinquenten vor fünfhundert Jahren auf ihrem letzten Weg gefühlt haben mochten, fühlte sich urplötzlich schwindelig und geriet ins Straucheln. Hastig sah er sich nach einem Halt um und entdeckte im letzten Moment zwei Regenrinnen an einer Hausfassade. Er entschied sich blitzschnell für die linke und klammerte sich erleichtert daran fest.

      »George?« Mary, der aufgefallen war, dass ihr niemand antwortete, sah sich suchend um und entdeckte ihren Gatten, wie er, schief wie ein Schiff im Sturm, mit verbissener Miene an der Regenrinne hing, ohne auch nur einen einzigen Blick auf den herrlichen Vollmond zu werfen.

      »Du bekommst für den Rest unseres Aufenthaltes nur noch Diet-Coke.« Entschlossen packte sie ihren sich sträubenden Ehemann am Ellbogen, doch der weigerte sich störrisch, die Regenrinne loszulassen. »Komm jetzt endlich«, befahl sie. »Ich habe doch gesagt, dass ich noch Fotos von mir vor diesem gruseligen Tor machen muss.«

      Auch darauf hätte George eine Antwort parat gehabt, verkniff sie sich aber aus einleuchtenden Gründen.

      »Gut, dass ich meinen Selfiestick dabeihabe.« Mary betrachtete ihn mitleidlos. »Du bist ja heute zu nichts mehr zu gebrauchen.« Hektisch kramte sie in ihrer voluminösen Tasche nach ihrem Mobiltelefon.

      »Wehe, du fotografierst mich«, drohte George seiner Frau. Die drei Flaschen Bocksbeutel hatten ihn offenbar nicht nur schwindelig, sondern auch mutig gemacht. »Dann rede ich nie mehr ein Wort mit dir.«

      »Ich zittere jetzt schon vor Angst.« Unbeeindruckt zog Mary ihren Gatten am Arm mit sich und ließ ihn erst vor dem Treppenaufgang zur Stadtmauer wieder los. George blickte sich verzweifelt um und entdeckte erleichtert die nächsten beiden Regenrinnen, die ihm helfen würden, in der Vertikalen zu bleiben. Sollte seine Frau doch machen, was sie wollte.

      Mary baute sich vor dem Treppenaufgang auf und zog ihren Selfiestick bis zur vollen Länge auseinander, nachdem sie ihr iPhone daran befestigt hatte. Dann warf sie sich breit grinsend in Positur. Auf dem Display ihres Handys war hinter mindestens drei Vierteln ihres breit lächelnden Gesichts wunderbar deutlich die Stadtmauer zu erkennen. Doch ihr begeisterter Gesichtsausdruck verwandelte sich in erschrockenes Erstaunen, als plötzlich eine gepresste Stimme hinter ihrem Rücken »Du Miststück!« keuchte.

      George hätte sich so eine Insubordination nie angemaßt, das musste jemand anderer gewesen sein. Im Display erkannte Mary zwei dunkle Gestalten, die oben auf der Mauer miteinander kämpften. Eine Schrecksekunde lang überlegte sie, ob das Gerangel vielleicht eine Sondervorstellung für Touristen war, da ließ sie ein spitzer Schrei wie unter einem elektrischen Schlag zusammenzucken. Das klang jetzt echt. Und sehr beängstigend.

      Hastig drehte sie sich um und sah gerade noch, wie eine Frau die Treppe herab auf sie zufiel. Unmittelbar vor Marys perfekt manikürten Zehennägeln in den bequemen Sandalen blieb sie liegen. Der Kopf der Frau war sonderbar verdreht, ihre Augen starrten blicklos in den sternenglitzernden Nachthimmel, und aus ihrem Bauch ragte ein merkwürdiges, dünnes Stück Holz.

      Schockstarr und ausnahmsweise einmal sprachlos ließ Mary den Selfiestick sinken. George hingegen war schlagartig beinahe nüchtern geworden. Er ließ die Regenrinne los, hastete mit schlingernden Schritten zu seiner erstarrten Frau und löste das Mobiltelefon aus seiner Halterung, um mit zitternden Fingern die Nummer der German police zu googeln.

      »Oh my God«, hörte er seine Frau keuchen. »George, she’s dead.«

      Sonntagabend, Ansbach

      »Einen Moment bitte.« Die hübsche üppige Blondine im eng anliegenden kobaltblauen Sommerkleid, deren lange Haare sich in perfekten Locken über die nackten Schultern ringelten, hangelte aus ihrer silbernen Clutch hastig ein Mobiltelefon, das in einer mit Strass verzierten Hülle steckte. »Ja, Chef?« Ihre Stimme klang sachlich, und für einen Moment schien sie vergessen zu haben, wo sie sich befand. Während sie lauschte, spielte sie gedankenverloren mit einem halb vollen Cocktailglas auf dem Tresen, beobachtet von einem schüchtern wirkenden Mann, der die Augen nicht von ihr lassen konnte. Als sie mit einer einzigen eleganten Bewegung die in hochhackigen Riemchensandalen steckenden Beine auf dem Barhocker übereinanderschlug, holte er tief Luft.

      »Selbstverständlich.« Die Blondine nickte, als könnte ihr Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung sie sehen. »Echt jetzt? Voggel? Der Neue vom Rauschgift? Bitte nicht!« Sie verdrehte die perfekt geschminkten Augen. »Warum ich?« Der Mittdreißiger im Ralph-Lauren-Poloshirt ihr gegenüber verstand nur Bahnhof, ließ sie aber nicht aus den Augen, denn diese Frau war ein echter Hingucker mit ihrem engen Kleid, den ausgeprägten Rundungen und dem rot bemalten Schmollmund, der gerade leider mürrisch verkniffen war.

      »Das schaffe ich notfalls auch allein, aber wenn Sie meinen …«, sagte sie jetzt verdrossen. »Wie lange ich brauche?« Kurz warf sie einen Blick auf das Display ihres Handys. »Zwanzig Minuten, wenn ich mich nicht umziehe. Wiederhören, Chef.«

      »Ist was passiert?« Ihr Gegenüber starrte sie erwartungsvoll an, als sie das Gespräch beendet hatte.

      Die hübsche Blonde hob bedauernd die Schultern. »Sorry, Frank, Notfall im Job. Muss leider gehen.« Die beiden saßen an der