Slaughter's Hound. Declan Burke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Declan Burke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960542056
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komisch angestarrt?«

      »Das macht er immer so, so prägt er sich Gesichter ein. Als würde er ein Foto schießen, sagt er.« Er klopfte sich zweimal an die Schläfe. »Klicketi-klick.«

      Unten im Hof ertönte ein dumpfes Röhren. Ich schaute durch das Fernglas zu, wie der Saab durch das Tor fuhr. Er verschwand hinter der Mauer und tauchte dann wieder am Kai auf und fuhr Richtung Stadt davon. Ich hängte das Fernglas wieder an den Haken und stieg vom Sofa. »Kaffee?«

      »Ich hab schon«, sagte er. »Aber mach dir ruhig einen.«

      Ich ging in die kleine Küche und setzte Wasser auf, dann trat ich in das schuhkartongroße Badezimmer, damit der Kaffee genug Platz zum Durchlaufen hatte. Betätigte Spülung und Wasserhahn und zuckte zusammen. Die alte Zisterne klapperte und dröhnte so laut, dass man eigentlich nur dann spülen durfte, wenn Finn gerade Tom Waits aufgelegt hatte, am besten ein Stück von der LP »Rain Dogs«.

      Als ich zurückkam, spielten die Stones »Get Off Of My Cloud« auf voller Lautstärke. Finn hielt einen kurzen Joint in der Hand. Ich hockte mich auf die Fensterbank, nippte an meinem Kaffee und wiegte den Kopf im Rhythmus der Musik. So weit oben, mit Blick auf die Docks und weiter hinten den Tiefwasserhafen, konnte man jede Menge von überhaupt nichts sehen: karge Gebäude, vierzig verschiedene Schattentöne, der silbergrüne Glanz des Mondes auf dem öligen Wasser.

      Finn schob wieder Regler hoch und runter. Billy Bragg ertönte, »A New England«. Finn drehte die Lautstärke herunter und ich deutete mit dem Kopf zur Toilette. »Tut mir leid wegen der Spülung.«

      »Tu das nicht noch mal, Mann«, sagte er leichthin und nahm noch einen Zug. Was mich zum Thema zurückbrachte.

      »Hör mal, diese drei Beutel«, sagte ich.

      »Ja?«

      »Herb wundert sich, weil es auch letzten Monat drei waren. Er meint, das sei ganz schön viel für den persönlichen Gebrauch.«

      Freches Grinsen. »Hängt von der jeweiligen Person ab, oder?«

      »Ja, aber er macht sich Sorgen, ob du es weitergibst. Das würde ihm in die Quere kommen.«

      »Sag ihm, er soll sich entspannen.«

      »Ich fürchte, das reicht ihm nicht.«

      »Was will er denn machen, mich nicht mehr beliefern?«

      »Hey, ich überbringe bloß die Nachricht.«

      Er dachte darüber nach, kam zu einer Entscheidung und zuckte mit den Schultern. »Scheiß drauf. Ich hätte es dir sowieso demnächst erzählen müssen.«

      »Schieß los.«

      »Ich zieh das durch.«

      »Ja, schon klar, aber drei Beutel pro Monat, Mann, das ist …«

      »Nein, ich meine: Ich zieh das jetzt durch, was ich schon lange vorhatte. Ich haue ab. Brauche das Gras als Vorrat, wie ein Eichhörnchen.«

      »Ach?«

      »Wir hauen ab, Harry. Fahren weg, in ein paar Wochen, soll aussehen wie Ferien. Aber wir werden nicht zurückkommen, wir sind weg.«

      »Scheiße. Ernsthaft?«

      »Ich sag dir, was Scheiße ist, ernsthaft«, sagte er. »Ein Kind in diesem Drecksloch aufzuziehen irgendwann innerhalb der nächsten zwanzig Jahre. Das ist Scheiße. Ernsthaft.«

      Das hörte ich nicht zum ersten Mal. Die Regierung erzählte uns immer wieder, wir würden die Rezession dank einer neuen exportorientierten Wirtschaftspolitik überwinden. Wobei unser Exportschlager Menschen waren, vor allem solche, die jung, ehrgeizig und intelligent genug waren, die Zeichen der Zeit zu entziffern.

      »Wohin soll’s also gehen?«, fragte ich.

      »Was glaubst du wohl?«

      Jeder hat seinen Fluchtpunkt, einen Ort, den er anpeilt, wenn die Sterne günstig stehen, und seit ich Finn kannte, sprach er davon wegzugehen. Am Anfang war es ihm ziemlich egal gewesen wohin, es ging nur ums Abhauen. Was damals nahe gelegen hatte, genauso wie alles andere, was man sich in Dundrum so ausdachte: Wenn man nicht darüber nachgrübelte, woher man etwas Anständiges zu essen bekam, plante man seine Flucht, war in Gedanken immer fleißig am Tunnelgraben.

      Nur dass Finn nie davon runtergekommen war, auch nicht, nachdem er wieder draußen war. Und seit er Maria kennengelernt hatte, ging es ständig um Zypern, vor allem um die in der restlichen Welt wenig bekannte und ebenso wenig geliebte Enklave namens Türkische Republik Nordzypern. Eine Gegend, wo sie, wie Finn behauptete, schon Tempel gebaut hatten, als die übrigen Europäer noch in schmutzigen Höhlen hausten, wo es aber immer noch authentisch und ursprünglich zuging. Vor allem in den Bergen, wo das Licht Gottes Augapfel war, um mit Lawrence Durrell zu sprechen.

      Er zog eine LP aus der Hülle und legte sie auf den Plattenspieler. Tim Buckley, »Song to the Siren«.

      »Ein großer Schritt«, sagte ich.

      »Ein Sprung eigentlich, einer, zu dem wir gezwungen werden.« Er nahm einen tiefen Zug von seinem Joint und atmete ganz langsam aus. »Es ist alles im Arsch, Harry. Die NAMA hat sich eingemischt, und wenn sich diese staatliche Treuhandanstalt erstmal einmischt, wird es echt ernst.«

      »So schlimm?«

      »Wir können hierbleiben«, sagte er, »uns um eine funzelige Kerze herum versammeln und nur noch Brennnesselsalat essen. Oder wir können jetzt alles verkaufen, unsere Verluste gering halten und ganz von vorn anfangen. Irgendwo anders.« Er deutete mit dem Jointstummel auf mich, um seine Aussage zu unterstreichen. »Dort, wo eine Familie noch etwas gilt.«

      Jetzt hatte er es zum zweiten Mal gesagt. Kinder, Familie. Ich merkte, wie etwas in mir verrutschte, und erst da wurde mir klar, wie sehr ich ihn vermissen würde. Seine verrückten Ideen, seine manische Energie. Seine Anrufe in den unmöglichsten Momenten, oder meine Anrufe bei ihm, und wie wir dann Billard spielen oder über Musik, Surfen, Filme oder Bücher reden würden. Oder gar nichts sagen. Das Ungesagte, der schwarze Tümpel, der zwischen uns lag, säuberlich eingedämmt. Bis er wieder Risse bekam und etwas durchsickerte.

      »Und, gibt’s einen Plan? Alles schon in die Wege geleitet?«

      Er ruckte den Kopf hin und her und dachte nach. »Maria meinte, wir sollten dort was Richtiges tun. Etwas, das eine Bedeutung hat, verstehst du?«

      »Einen Schönheitssalon, der wirklich eine Bedeutung hat?«

      Er ignorierte die Spitze. »Das würde sich auch lohnen, klar. Aber sie möchte eine Schule aufmachen, eine Art Ausbildungszentrum. Diesen Mädchen Fähigkeiten vermitteln, die sie überall in der Welt nutzen können. Hast du mal zypriotische Frauen gesehen? Mann, die wissen, wie man sich gut präsentiert.«

      »Ja, gut, wenn man Maria als Maßstab nimmt …«

      »Ich sag dir, worum’s geht. Sie will die Ausbildung auf Englisch machen, weil sie meint, sie hätte da was in Newsweek gelesen darüber, dass die Beherrschung der englischen Sprache weltweit ein wichtiger Faktor ist, wenn man Arbeit finden will.«

      »Wahrscheinlich wäre es schlauer, ihnen Mandarin beizubringen.«

      »Oder Russisch vielleicht. Aber egal, die Chinesen und die Russen bieten keine Ausbildungsförderung an. Die EU schon, und die EU will die Türkei haben und das bedeutet auch die türkischen Zyprioten. Nur leider hat Maria ziemliche Probleme, ihre hiesigen Qualifikationen dort anerkennen zu lassen.«

      »Die EU fällt gerade auseinander, mein Lieber. Du kommst bloß vom Regen in die Traufe.«

      »Das könnte vielleicht sein«, sagte er und kam hinter dem Mischpult hervor, »wenn es hier noch um die EU und Irland ginge, wenn es nicht um dich und mich ginge und das erste Kleine …« Er ging zum Notausgang. »Entschuldige mich bitte«, sagte er augenzwinkernd, »das erste kleine Geschäft des Abends.«

      Er ging raus auf die Feuerleiter und pisste in die frische Luft, so wie er es immer tat, damit er dann hinterher nicht die Spülung betätigen musste.