Meiner Ansicht nach hatte er sich damit abgefunden, nicht vor ihm weglaufen zu können. Und er hatte begriffen, dass es kein Wettrennen, sondern ein Ringkampf war, bei dem man bestenfalls auf ein ehrenhaftes Unentschieden hoffen konnte. Ich stand vom Sofa auf, ging rüber zu den Gemälden auf den Staffeleien und ließ den Fingernagel über seine neueste Version der Burgruine St. Hilarion gleiten. Von weitem sah es aus wie eine seiner typischen gotisch-impressionistischen Variationen: kahle Klippen, steile Gipfel, unwirtliche Hügel, ein schlampiger Sonnenuntergang, dessen Licht sich ins weindunkle Meer ergießt. Aber wie immer konnte man aus der Nähe jeden einzelnen Pinselstrich erkennen, der wie eine schwärende Wunde in die Haut eines wilden Wesens geätzt war, das kurz davor war, laut zu knurren, der Rahmen des Bildes wie die Gitterstäbe eines Käfigs, der es gerade noch hielt. Sogar ein Blinder hätte, wenn nicht mit dem Krückstock, dann mit Hilfe seines Tastsinns erkannt, dass der Künstler, der in Finn steckte, kein glücklicher Mensch war. Er malte in Öl, sehr pastos und mit einer Oberflächenstruktur, die so grob war, als hätte er die Farben auf seiner Palette aus Blut, Galle und grobkörnigem Schießpulver hergestellt. Eine klebrige Mischung, die man lieber nicht aus der Nähe in Augenschein nahm, weil schon der kleinste Funke Licht, die leiseste Übertragung von Wärme die krude, zur Selbstentzündung neigende Substanz explodieren lassen würde. Er ließ sich von Oscar Epfs inspirieren, aber in meinen Augen sahen seine Landschaftsbilder eher wie ungelenke Variationen der frühen Werke von El Greco oder Caravaggio aus, Künstlern, die beide in ihrer ganz eigenen Hölle Qualen gelitten hatten. Auch wenn seinen Bildern die ausgefeilte Technik fehlte, kündeten sie doch von einer aufgestauten Wut und jenem Moment des größten Drucks, bevor die Welt den Rahmen sprengte.
Finn hatte seine Kunst in sich selbst gefunden. Brachte jeden Tag Stunden damit zu. Es mag abgedroschen klingen, wenn man sagt, jeder Künstler fördert in seiner Kunst die eigene Seele zutage, aber sogar ein naiver Betrachter wie ich konnte erkennen, dass Finn sich hier rücksichtslos preisgab. Ob es sich um gute oder schlechte Kunst handelte, war nebensächlich. Sie war bestürzend und fesselnd, im Ausdruck wie im Inhalt. War sie etwas wert? Ist nicht jedermanns Seele etwas wert?
Ich mochte die Bilder sehr, hätte aber keins davon bei mir zu Hause an die Wand gehängt, selbst wenn ich die zwei oder drei Riesen hätte aufbringen können, die sie normalerweise kosteten. Es hätte mich zu sehr beunruhigt, es ständig im Augenwinkel verstohlen betrachten zu müssen, während es im Rahmen herumschlich, schnaubend und knurrend und immer bereit zum Sprung.
Er kam von der Feuerleiter zurück und legte »Teenage Riot« von Sonic Youth auf.
»Hör mal«, sagte er, »diese Sache mit dem Schönheitssalon.« Er nahm einen letzten Zug von seinem Joint, der fast nur noch aus Mundstück bestand, und drückte ihn aus. »Das ist noch nicht spruchreif im Moment, erstmal müssen wir den Papierkrieg bewältigen.«
»Kein Thema.«
»Ich meine ja nur, so wie die Dinge heutzutage laufen, könnte es Jahre dauern.« Er fummelte an den Bassreglern herum, obwohl mit den Bässen alles in Ordnung war. »Kein Wunder, dass das Land da unten im Arsch ist. Man muss eine Million Typen schmieren, und trotzdem heißt es immer nur, jaja, gleich morgen. Verstehst du?«
»Wirklich zu schade, dass sie nicht ein bisschen irischer sind, hm?«
»Bei denen ist es noch schlimmer, ob du es glaubst oder nicht. Wäre mir ja egal, aber schließlich biete ich hier Jobs, eine echte Investition.«
»Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Schönheitssalons oberste Priorität bei der Investorenanwerbung genießen.«
Er wiegte wieder den Kopf hin und her, und seine wuscheligen Haare fielen ihm ins Gesicht. »Der Salon sicher nicht, das ist ja auch Marias Ding. Ich habe ganz andere Pläne.«
»Ach wirklich?«
»Du bist noch nicht dort gewesen, Harry. Dort ist es so wie hier vor zwanzig Jahren. Jede zweite Hausnummer ist eine Baustelle, nur dass es dort auch noch Sonne und ein Superklima gibt. Letzten Sommer bin ich dort ein bisschen unterwegs gewesen, hab mir ein paar Musterhäuser angeschaut, solche Neubau-Villen. In einem bin ich mit dem Verwalter ins Gespräch gekommen, ja? Dreihundertzwanzig Riesen pro Villa, zwölf Villen pro Bauplatz inklusive Meerblick, die werden dort für ein Viertel des Kaufpreises errichtet, und sogar das alles schwarz, alles Cash und Handschlag. Die Türken sind wie eingebunkert, es gibt mehr Russen als Fliegen, die Grenze wird durchlässiger, alle wissen, dass die EU im Anmarsch ist. Diese Insel ist eine Ölquelle kurz vor dem Anstich.
»Machst du dich selbstständig?«
»Sozusagen, ja. Das Grundkapital kommt von Hamilton Holdings, aber ich bin derjenige, der es dem Aufsichtsrat präsentiert hat, also hab ich den Daumen drauf.«
Er breitete es vor mir aus, sein ganzes hochklassiges Investmentprojekt mit zweistöckigen Apartmenthäusern direkt am Strand, ungefähr zwölf Kilometer östlich von Girne, jeder Block mit einem Swimmingpool, Spielplatz, Fitnessraum, Minigolf, Restaurants mit Aussicht und Bars. Marias Salon natürlich auch. Er gestikulierte wild, während er mir das ausführte und erklärte, dass es nicht nur ein Spekulationsobjekt sei, also bauen und gleich verkaufen, sondern eine langfristige Investition. Das Unternehmen für ausländische Investoren verwalten, vielleicht noch eine Autovermietung dazu nehmen und eine Art quasi-offizielle Fremdenführung, ein Teil des Profits könnte dann abgeschöpft werden für einen mediterranen Anlaufpunkt für Zeitgeist-Anarchisten, die sich auch mal bräunen lassen wollen. Dabei grinste er die ganze Zeit wie ein Vollidiot, dem jemand gerade eine Reise ins Schlaraffenland spendiert hat, ohne Rückfahrkarte. »Das Einzige, was uns noch fehlt«, sagte er, »ist eine Direktverbindung mit Ryanair nach Ercan und wir sind fein raus.«
»Du ziehst das also für Hamilton Holdings durch«, sagte ich. »Und Maria freut sich wie eine Schneekönigin, dass sie für dich arbeiten darf, indem sie den Schönheitssalon leitet.«
»Der Salon ist eine andere Sache. Er wird auf dem Gelände sein, aber als eigenständiges Unternehmen. Marias ganz eigenes Ding.« Er grinste verlegen und fasste sich an die Nase. »Ich meine, man kann ja niemandem ein Hochzeitsgeschenk machen und die Nutzung einschränken, oder?«
Jetzt war es raus.
»Scheiße«, sagte ich. »Und wieder muss eine tolle Frau dran glauben.«
Sein breites Grinsen entgleiste kurz. »Wenn sie mich nimmt. Eigentlich ist das mit dem Salon gar nicht so genial. Ich könnte sie sonst auf diese zypriotischen Mistkerle ansetzen, die die Sache bremsen. Diese Drecksäcke haben mich schon fast dreihundert Riesen gekostet, und kein Ende abzusehen.«
»Meine Güte, dass ist aber ziemlich viel Schmiergeld.«
»Nein, ich meine wegen Gillick. Vor genau einem Jahr hat er mir neunhundert Riesen für das Gebäude hier inklusive sechzehn Morgen Grundstück angeboten. Sein letztes Angebot war nur noch sechshundert und ein paar Zerquetschte.«
»Mach bloß keine Geschäfte mit dem. Bist du verrückt geworden?«
»Gillick ist ein beschissener Erbsenzähler. Wenn ich die Flatter mache, wird er so tun, als sei er gerade knapp bei Kasse, überschuldet oder sonst was. Also wird er mir, keine Ahnung, die Hälfte anbieten, vielleicht auch weniger. Fünfzig Riesen Vorschuss, dem Rest kann ich dann hinterherjagen, und das von Zypern aus.«
»Dann scheiß doch auf ihn. Mach’s mit einem anderen.«
»Das tue ich ja. Gillick ist nur der Mittelsmann, er repräsentiert ein Konsortium. Und so wie es im Moment aussieht, stehen die Leute nicht gerade Schlange wegen sechzehn Morgen Hafengrundstück in Sligo.«
»Kann