Slaughter's Hound. Declan Burke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Declan Burke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960542056
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Harry. Ich wollte nur sichergehen, dass du es nicht vergessen hast.«

      »Der Empfang ist ganz schlecht, Dee. Kannst du das wiederholen?«

      »Wenn ich dich in die Finger kriege, geht’s dir ganz schlecht. Hast du das empfangen?«

      »Hör mal, Dee, du weißt doch, dass ich meinen Schlaf …«

      »Wir haben Inventur morgen, Harry. Das hab ich dir schon mal gesagt. Ich kann da nicht weg.«

      »Aber ich soll meine Einnahmen in den Wind schießen. Damit du deinen Job machen kannst.«

      »Das findet einmal im Jahr statt, also kannst du ruhig mal was mit Ben unternehmen. Das ist bestimmt nicht zu viel verlangt.«

      Das alte Argument. Ich ließ es stehen.

      »Es ist wichtig, dass du das machst, Harry. Und zwar für Ben, nicht für mich. Und vielleicht ja sogar für dich selbst.«

      Das sagte sie ohne fiesen Unterton. Klang eher müde, mit diesem leichten Zittern in der Stimme, das sich angesichts des traurigen Rests in ihrem dritten Glas einstellte, von dem Fusel, der in dieser Woche gerade im Angebot war.

      »Können wir das nicht auf vier Uhr verschieben?«, fragte ich. »So könnte ich wenigstens …«

      »Harry«, sagte sie ohne Zittern, ganz geradlinig, »das Gespräch findet um zwei Uhr statt. Und du bist um halb zwei hier, um Ben abzuholen, wenn nicht, dann schwör ich dir, werd’ ich es ihm erzählen.«

      Die alte, uralte Drohung. Vielleicht war sie ja schon beim vierten Glas. Der Zapfhahn klickte, der Tank war voll.

      »Hast du mich verstanden?«

      »Warum sagst du’s ihm nicht einfach, Dee?« Er wird sowieso früher oder später erfahren, dass der Mann, von dem er denkt, er sei sein Vater, den erschossen hat, der niemals sein Vater sein wollte. Besser, Dee erzählte es ihm, als irgendein Schandmaul auf dem Schulhof.

      »Wenn ich wüsste, wo er ist«, sagte sie. »Ich schwör’s dir, wenn er jetzt zu Hause wäre …«

      »Hat er denn sein Handy nicht einstecken?«

      »Versuch du doch mal, ihn anzurufen. Na los, ruf ihn an, probier doch mal, wie weit du damit kommst.« Das Geräusch, das ich für fernes Donnern gehalten hatte, waren ihre Finger, die auf das Telefon trommelten. »Ein Uhr dreißig, Harry. Sei pünktlich.«

      Sie legte auf. Die Lage verbesserte sich auch nicht angesichts der Tatsache, dass ich nach dem Volltanken siebenundfünfzig Euro hinblättern musste und anschließend nur noch ein paar Münzen in der Tasche hatte. Dann machte ich den Fehler, quer durch die Stadt fahren zu wollen, anstatt die Umgehungsstraße zu nehmen. In den Außenbezirken war es besser, und es gab ja vor allem Außenbezirke, aber die Innenstadt war eine Katastrophe aus Beton und Chrom. Alte Straßen, hoch und eng, Verkehrsadern, so verstopft und verkalkt, dass der Verkehr nur tropfte oder sich gar nicht mehr bewegte. Die Ampel ein unscharfes Standbild mit Rot und Grün, blinkendes rosa Neon, fluoreszierender Blues. Bum-Bum-Rhythmen aus heruntergelassenen Seitenfenstern, wummernd pulsierende, kräftige Bassklänge. An einem schlechten Abend brauchte man fünfzehn Minuten, um die zweihundert Meter von der Abtei bis zur Statue von Lady Erin zurückzulegen. Der Mob, der sich vor den Klubs drängte, trug Kapuzenjacken über Baggy-Jeans, deren ausgefranste Hosenbeine den Boden wischten. Die Nacht der lebenden McToten. Mädchen in kurzen Tops mit dicken Bäuchen, mit tiefsitzenden Hüftjeans, darunter String-Tangas wie Käseschneider. Falls jemand auf die Idee kommen sollte, sie könnten womöglich gar keine Unterwäsche tragen.

      Ich verließ die O’Connell Street und fuhr nach Westen, bog in die Adelaide und an der neuen Brücke links ab auf Lynn’s Dock, wo der Mond wie eine Grapefruit über den Hafenmauern hing. Finn spielte die Northern Pikes mit »Place That’s Insane«. Weiter am Ballast Quay und den eigentlichen Kaianlagen entlang, auf das Deepwater Quay, schwarzes Wasser zu meiner Rechten, Lagerhäuser und Depots zu meiner Linken, der Connacht-Gold-Baumarkt leuchtete wie eine abschussbereite Rakete. Dahinter ragte das hässliche Gebäude der Hafenverwaltung auf und noch weiter hinten ein Dschungel aus Gestrüpp und die rostrote Marsch. Gelegentlich wurde davon gesprochen, die Marsch in ein Naturschutzgebiet zu verwandeln, ein Vogelschutzgebiet, aber niemand unternahm etwas in dieser Hinsicht. Die Vögel kamen und flogen wieder davon, auch so.

      Ich bog ab auf den Hof der Hafenverwaltung, umfuhr im Slalom die Schlaglöcher, langsam im zweiten Gang. Der Hof war vollgestellt mit verrosteten Containern, Haufen von Alteisen und Anhängern voll verschimmelter Holzbohlen. Hohes Gestrüpp wucherte in zugemauerten Eingängen. Es war ein schwüler Tag gewesen, die Luft noch warm, der scharfe Geruch nach heißem Teer hing in der Luft.

      Das Verwaltungsgebäude war neun Stockwerke hoch und ein Beispiel für die hässlichen Ausprägungen des Modernismus der sechziger Jahre und seiner Überheblichkeit, erbaut, als der Hafen noch florierte und das Land unter Lemass hart vor dem Wind segelte. Polnische Kohle, norwegisches Holz, jamaikanischer Zucker, australische Wolle. Öltanker gingen vor der Küste vor Anker. Russen sprangen von Bord und gingen nie mehr zur See. Der erste Afrikaner stammte aus Nigeria und war eine Berühmtheit. Sie nannten ihn Paddy Dubh, und er musste nie bezahlen, wenn er sich ein Glas Stout bestellte.

      Dann brachen die siebziger Jahre an, die Ölpreise gingen durch die Decke. Die Kohle blieb aus, dann der Zucker. Der Kanal verschlammte. Paddy musste sein Bier selbst bezahlen. Die Krise wurde so schlimm, dass die Behörde für Industrieförderung das Gebäude der Hafenverwaltung kaufen musste, um dann zwei der neun Stockwerke wiederum an die Hafenverwaltung zu vermieten. Sogar das war eine Farce, weil die Industrieförderung der Verwaltung das Geld für die Miete leihen musste.

      Dann kamen die Achtziger, ein gutes Jahrzehnt für Unkraut und Ratten. Alle vergaßen, dass es mal einen Hafen gegeben hatte, oder versuchten es zumindest.

      Und Big Bob Hamilton zog ein wie die Kavallerie. Zu diesem Zeitpunkt hatte er so gut wie jeden Quadratzentimeter von Thatchers London mit Trockenbaukonstruktionen zugemüllt, und als sie die Eiserne Lady schließlich rauswarfen, nahm Bob das als deutlichen Hinweis und kam nach Hause. Das war 1991, und er erkannte mal wieder die Zeichen der Zeit. Er verkaufte teuer in London und kaufte billig in Sligo und dem gesamten Nordwesten. Wurde Mitglied bei den Rotariern, im Tennisklub, im Golfklub und bei den Lions, in so gut wie jedem Klub bis auf den Dienstagsschachklub im Trades Club. Schließlich wurde er Mitglied des Aufsichtsrats der Behörde für Industrieförderung und vier Monate später kaufte er sechseinhalb Hektar Hafengelände inklusive Verwaltungsgebäude und Schrottplatz und so gut wie allem, was es da sonst noch gab.

      Finn hatte mir das alles erzählt, vom unteren Bett in unserer Zelle in Dundrum. Er klang dumpf und gelangweilt dabei, aber die Geschichte war klar und deutlich. Wie es hieß, Big Bob persönlich sei verantwortlich für die neue Schreibwarenfabrik in Finisklin, wo drei Angestellte unermüdlich daran arbeiteten, den Bedarf an braunen Briefumschlägen zu decken. Seriöse Investitionen seien auf den Weg gebracht, der Hafen sollte eine Verjüngungskur bekommen, Bob hatte alles vorbereitet, um einen großen Fisch an Land zu ziehen. Die Investition kam dann nie, und der große Fisch ging nicht an Land, im Gegenteil, 1998, als Finn gerade achtzehn geworden war, sah er mit eigenen Augen, wie der nagelneue BMW seines Vaters über die Kaimauer ins Wasser fuhr, während sein Vater noch am Steuer saß. Die offizielle Version lautete Tod durch Unfall, obwohl die Untersuchung keine befriedigende Erklärung dafür fand, wieso sämtliche Fenster des Beamers heruntergelassen waren, direkt am Wasser spätabends im Januar.

      Kurze Zeit darauf fingen die Brandstiftungen an, und Finn raste mit Vollgas auf seinen ersten Absturz zu.

      Ich fuhr auf den kleinen Parkplatz vor dem Gebäude und bemerkte einen schnittigen braunen Saab im Licht der einzigen Lampe über der Eingangstür. Das war eigenartig. McCool FM war eine One-Man-Show, und DJs, die Leonard Cohen auflegen, haben keine Groupies, jedenfalls nicht mehr seit dem Tod von John Peel, Gott segne seine Baumwollsocken. Was bedeutete, dass Finn unerwartete Gäste hatte. Oder er ging seiner Tätigkeit als Mittelsmann nach und verkaufte seine Beutel weiter.

      So oder so war es nicht gut.

      Der Fahrer des Saab stieg gerade aus.

      Die