Mami Staffel 9 – Familienroman. Stephanie von Deyen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stephanie von Deyen
Издательство: Bookwire
Серия: Mami Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740946593
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Anna ins Kinderheim Santa Monica begleitet und war überrascht gewesen, Mike Cramer hier anzutreffen.

      »Señor, es tut mir leid, daß ich Sie verdächtigt habe. Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse.«

      Mike winkte ab. »Ich hätte mich an Ihrer Stelle ebenso verhalten. Und wenn sie mal abends Zeit haben, trinken wir ein Glas Wein miteinander. Ich bin nämlich noch ein paar Tage hier, solange wie sich Katjas Reisegesellschaft in Andalusien aufhält.«

      »Katja, das ist sicher das Mädchen auf dem Bild in der Zeitung. Hübsch, sehr hübsch. Dabei haben Sie Katjas Bekanntschaft der kleinen Emely zu verdanken, nicht wahr? Hat allerhand bewegt, diese junge Dame!« José deutete voll väterlichem Wohlwollen auf das Kind, das sich liebebedürftig an Anna schmiegte.

      »Ich glaube, ich sollte mich umziehen. Frische Sachen habe ich im Auto. Kann ich vielleicht irgendwo…?«

      Jetzt kam Leben in die neugierig lauschenden Kinderschwestern. Sie zeigten Mike das Bügelzimmer, in dem er sich umkleiden konnte, und sie erboten sich, seine Sachen zu säubern.

      *

      »Diese Kathedrale mit ihren achthundertsechsundfünfzig Säulen war früher eine Moschee. An vielen Stellen sind die typischen Merkmale erhalten. In den riesigen Innenraum haben die Christen teils barocke, teils gotische Altäre gebaut. Verzierungen in verschwenderischer Fülle wurden angebracht, wunderschöne Portale erstellt. Diese Kathedrale gehört zu den geschichtsträchtigsten Bauwerken Europas. Beachten Sie die einzigartigen Farb- und Lichteffekte.« Langsam ging Katja mit ihrer Reisegruppe durch den Bau mit seinen vielen zweifarbigen Rundbögen. Es ergaben sich immer wieder andere Perspektiven, und alle waren so reizvoll, daß die Fotografen unter den Reiseteilnehmern eine Aufnahme nach der anderen machten. Katja führte ihre Gruppe zu der Wand, an der in arabischen Schriftzeichen Teile des Korans wiedergegeben wurden, umrahmt von künstlerisch gestalteten Fresken und Steinmetzarbeiten.

      Das Mittagessen war in einem Restaurant in der Nähe des Flusses bestellt. Das Haus lag etwas erhöht und bot einen hübschen Blick auf den ruhig dahinfließenden Guadalquivir. Büsche wuchsen an seinem Ufer. In ihren dichten Ästen nisteten Möwen, die immer wieder wie kleine weiße Wolken über dem Wasser segelten. Es war ein friedliches Bild, und doch konnte sich Katja nicht daran freuen. Das Telefongespräch vom frühen Vormittag ging ihr nicht aus dem Sinn. Zwar versuchte sie, ihre Arbeit so gut wie immer zu machen, doch es fiel ihr schwer, sich auf ihre Ausführungen zu konzentrieren.

      Irgendwie war sie enttäuscht, denn sie hätte nie gedacht, daß

      Mike Cramer sie so raffiniert belügen könnte. Was sie für Interesse gehalten hatte, war nur ein falsches Spiel. Eigentlich nahm Katja an, daß sie mehr Menschenkenntnis besaß. Nun war sie auf einen Blender hereingefallen und konnte es nicht fassen.

      »Darf ich mich zu Ihnen setzen?« fragte eine Stimme und riß Katja aus ihren Gedanken. Die junge Reiseleiterin sah auf und erkannte Frau Müller-Ibach, die freundlich lächelte. »Sie sind ganz allein am Tisch, und ich wäre es auch.«

      »Bitte.« Begeistert war Katja nicht, aber das konnte sie nicht zeigen.

      »Diesmal habe ich meine Tabletten dabei«, begann die ältere Dame das Gespräch. »Dabei bin ich der Ansicht, daß ich sie gar nicht brauche. Es geht mir nämlich gut. Alles klappt fabelhaft. Es gibt keinen Ärger und keine Aufregungen, und das ist nicht selbstverständlich. Ich habe schon manche Rundreise mitgemacht und muß sagen, daß ich diesmal sehr zufrieden bin. Wenn ich nur an Griechenland denke im vergangenen Jahr.« Frau Müller-Ibach begann nun ausführlich von den Mißgeschicken zu erzählen, die ihr auf dieser Reise widerfuhren.

      Katja hörte nicht zu. Das alles hatte ihr Frau Müller-Ibach schon einmal erzählt. Immer wieder überlegte Katja, ob Mikes Interesse an Emely auch nur gespielt war. Sicher war er sehr zufrieden darüber gewesen, daß sie so rasch bereit war, sich für seine Interessen einzusetzen, denn die Sache mit Emely ging ja eigentlich nur ihn an. Vermutlich hatte er sie, Katja, heimlich ausgelacht. Ärgerlich war das, sehr ärgerlich. Warum hatte sie seine Einladung in die Club-Bar sofort angenommen, warum hatte sie es sogar bedauert, daß er sie zum Abschied nicht küßte? Warum? Die Antwort kannte Katja genau, aber sie war nicht mehr gültig. Die Liebe, die sich da anbahnte, mußte sie ganz schnell vergessen. Wenn das so einfach gewesen wäre…

      »In der Reisebeschreibung steht, daß wir nach dem Essen das Schloß der katholischen Könige anschauen. Stimmt das?«

      Katja überhörte die Frage, da sie zu intensiv mit ihren Überlegungen beschäftigt war.

      »In den prachtvollen Gärten soll man die Bäder des Kalifen bewundern können. Sehen wir uns die auch an?«

      Wieder bekam Frau Müller-Ibach keine Antwort. Erstaunt sah sie ihre Tischnachbarin an. »Ist Ihnen nicht gut, Fräulein Stein?« erkundigte sie sich besorgt. »Ich habe Tabletten dabei, die beseitigen zuverlässig jede Übelkeit.«

      Beim Wort »Tabletten« wurde Katja aufmerksam. Es war ihre peinlich, daß sie keine Ahnung hatte, was sie gefragt worden war.

      »Sie sehen auch richtig bleich aus, Fräulein Stein. Vielleicht sollten Sie lieber ein Zäpfchen… Ich habe hier…« Frau Müller-Ibach wühlte in ihrer Handtasche.

      »Danke. Ich brauche das nicht«, versicherte Katja schnell.

      »Ihr jungen Leute geht leichtsinnig mit der Gesundheit um«, belehrte Frau Müller-Ibach die Reiseleiterin. »Wenn Ihnen ein Pulver lieber ist, habe ich… Man löst es in Wasser auf und trinkt das Glas so rasch wie möglich leer.«

      »Das ist sehr nett von Ihnen, aber nicht nötig. Lassen Sie nur, mir fehlt nichts.«

      Frau Müller-Ibach ließ nicht locker. »Das können Sie mir nicht erzählen. Ihre Augen glänzen ganz fiebrig.«

      Katja wußte, daß die ältere Dame nicht so unrecht hatte. Ihr stiegen tatsächlich immer wieder die Tränen in die Augen, und sie mußte sich sehr beherrschen, um nicht loszuweinen.

      Katja setzte auf Ablenkung. »Was nicht in der Reisebeschreibung steht, ist, daß wir auf dem Rückweg durch die Subbética kommen. Das ist zwar etwas weiter, lohnt sich aber. Es gibt dort die berühmten ›weißen‹ Dörfer, eingebettet in einen eindrucksvollen Naturpark. In Priego de Córdoba besichtigen wir das maurische Viertel mit einem der schönsten Brunnen Andalusiens. In der Pfarrkirche Asunción gibt es eine weitere Sehenswürdigkeit: die barocke Sakramentskapelle.«

      Das Essen wurde gebracht. Während sich Frau Müller-Ibach sofort dem Genuß eines landestypischen Omeletts widmete, mußte sich Katja zwingen, um einige Happen zu essen. Und auch das tat sie nur, weil ihre Tischnachbarin sie ständig beobachtete und sie einem neuerlichen Medikamentenangebot entgehen wollte. Lustlos kaute Katja und gab sich Mühe, die Appetitlosigkeit zu verbergen. Der Schmerz um die zerbrochene Freundschaft mit Mike tat doch mehr weh, als sie sich selbst eingestehen wollte.

      Frau Müller-Ibach leerte ihren Teller in Rekordzeit. Danach lehnte sie sich gesättigt und zufrieden zurück.

      Für Katja hatte dies den Nachteil, daß die ältere Dame nun wieder ausreichend Zeit hatte, Spekulationen über ihre angeschlagene Gesundheit anzustellen. »Als mich meine Nichte kürzlich besucht hat, war sie genauso lustlos und bleich wie Sie. Zuerst dachte ich, daß sie sich erkältet hat, aber dann stellte sich heraus, daß das Mädchen unglücklich verliebt war und das in den Sohn meiner Nachbarin. Den Jungen habe ich mir vorgeknöpft, denn in einem solchen Fall helfen keine Tabletten. Ich habe die beiden zusammengebracht, und schon war meine Nichte geheilt. Als ich das meinem Arzt erzählt habe…«

      »Ich glaube, wir müssen gehen«, unterbrach Katja die Schilderung.

      »Aber Sie haben noch gar nicht aufgegessen, Fräulein Stein. Sind Sie vielleicht auch verliebt?«

      Unter Frau Müller-Ibachs forschendem Blick wurde Katja ein bißchen rot. Die ältere Dame triumphierte. »Ist es vielleicht der junge Mann, der mit uns in Ronda die Kirche besichtigt hat? Kann ich verstehen. Ein flotter Typ. Das merkt man sogar noch, wenn man wie ich fünfundsiebzig ist. Wenn wir ihn irgendwo treffen sollten, werde ich…« Es klang sehr entschlossen.