»Entschuldige. Ich habe so viel im Kopf. Der Küchenchef vom Hilton will mit Elèn und mir das Essen besprechen, die Schneiderin kommt gleich wegen der Anprobe. Einen Termin mit dem Abbé von Sevilla habe ich auch. Wir werden selbstverständlich in der alten Kathedrale getraut. Elèn sagt, es wäre am stilvollsten, wenn wir in einer sechsspännigen Kutsche vorfahren. Lauter weiße Pferde. Was hältst du davon?«
»Ich hätte gern einen Kuß«, raunte Mike verliebt. »Alles andere überlasse ich gern dir.« Mike bewegte die Lippen.
Maurena dachte gar nicht daran, seiner Bitte nachzukommen. »Du machst es dir sehr einfach«, kritisierte sie.
»Leider kenne ich mich mit den Gegebenheiten hier nicht so aus. Wie soll ich beispielsweise mit dem Geistlichen verhandeln, wenn ich ihn nicht verstehe? Ich bin aber gern bereit, dich nach Sevilla zu begleiten.« All diese Äußerlichkeiten waren Mike nicht so wichtig. Er hütete sich aber davor, Maurenas Eifer zu bremsen. Schließlich wollte er diese Hochzeit, und es war verständlich, daß Maurena sie ganz groß feiern wollte.
»Dann müssen wir uns beeilen.« Maurena sah auf ihre kleine, mit Diamanten verzierte Armbanduhr. Mike hatte sie ihr geschenkt. Bei jedem Besuch, auch heute, brachte er ein kostbares Schmuckstück mit. Diese großzügige Geste war inzwischen schon so sehr zur Gewohnheit geworden, daß Maurena sie kaum mehr beachtete.
»Für einen Kuß wird doch noch Zeit sein«, drängte Mike, ein bißchen enttäuscht.
»Für einen, aber nicht mehr«, lachte die Frau mit den wunderschönen roten Haaren und dem hellen, makellosen Teint. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte Mike auf den Mund. Dabei versuchte sie, soviel Abstand zu halten, daß weitere Berührungen vermieden wurden.
Doch das war nicht in Mikes Sinn. Er hatte wochenlang auf diesen Moment gewartet und wollte ihn auskosten. Sanft hielt er die geliebte Frau fest und küßte sie voll Leidenschaft. Nicht einmal, sondern immer wieder.
*
Mikes künftige Schwiegermutter war gewöhnlich vor allen anderen munter. Das hatte sie sich angewöhnt, um das Hauspersonal zu kontrollieren. Inzwischen gab es auf Schloß Derceville nur noch einen alten Butler und einige Putzfrauen, die allerdings nur zweimal in der Woche kamen.
Elèn hoffte allerdings zuversichtlich, daß sie nach der Hochzeit ihrer Tochter wieder ein so großes Haus führen konnte, wie das vor dem Tod ihres Mannes möglich gewesen war. Mike Cramer war reich, und es würde Maurena sicher nicht schwerfallen, ihm entsprechende Summen abzuschmeicheln.
Natürlich wußte sie, daß ihre Tochter einen anderen liebte, doch darauf konnte keine Rücksicht genommen werden. Bei dieser Heirat ging es um Geld, nur um Geld. Ein Glück war es, daß Mike Cramer das nicht ahnte.
Er hatte Maurena als Tochter eines vermögenden Mannes kennengelernt und wußte nicht, daß sich zwischenzeitlich einiges geändert hatte.
Wenn Frau Elèn daran dachte, wurden ihre schmalen Lippen noch dünner, und auf ihrem strengen Gesicht erschienen Sorgenfalten. Sie galten der Tatsache, daß Maurena recht eigenwillig war und sich häufig weiterte, auf Elèns Rat zu hören.
Obwohl die Hausherrin wußte, daß der alte Butler mit all der Arbeit, die er jetzt allein bewältigen mußte, überfordert war, dachte sie gar nicht daran, selbst etwas zu tun. Sie ließ sich bedienen wie eh und je und reklamierte sofort, wenn etwas nicht zu ihrer Zufriedenheit ausfiel.
Wie immer hatte der alte Mann schon in aller Frühe den Tisch für die beiden Damen im kleinen Eßzimmer gedeckt. Es war ein gemütlicher Raum, dessen Fenster auf den Garten und das angrenzende Meer gingen. Ruhig und leuchtend blau lag es in der Morgensonne, und die weißen Möwen, die scheinbar schwerelos darüber segelten, ergänzten das hübsche Bild.
»Rosario, wissen Sie nicht, daß wir Besuch haben? Wir brauchen drei, nicht zwei Frühstücksgedecke«, reklamierte die Schloßherrin in scharfem Ton.
»Pardon, Madame, ich habe es übersehen«, versicherte Rosario, der Spanier, in diesem Haus aber Französisch sprechen mußte. »Ich bringe das dritte Gedeck sofort.« Rosario verneigte sich leicht. Eine Geste, die in vielen Dienstjahren antrainiert worden war, und die er beibehielt, obwohl sein Respekt vor Madame nicht mehr so groß war.
»Und wo bleibt die Zeitung? Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, daß sie morgens an meinem Platz zu liegen hat.«
»Die Zeitung war noch nicht da.«
»Erzählen Sie keine Märchen, schauen Sie nach!« Nie wäre es Elèn in den Sinn gekommen, den Weg selbst zu machen.
In gebeugter Haltung schlurfte der alte Mann davon.
Madame sah ihm ärgerlich nach und nahm sich vor, sofort einen anderen Butler einzustellen, wenn sie wieder »flüssig« war. Das aber lief zweifellos nur über Mike.
Elèn war immer wieder froh, eine so hübsche Tochter zu haben. Maurenas Schönheit war besser als jede Aktie. Einige Wochen noch, dann war die Durststrecke überwunden. Gleich nach der Hochzeit sollte Mike seiner Frau ein Konto einrichten, über das auch Elén verfügen konnte. Die Höhe der benötigten Summe würde allerdings ein kleines Problem darstellen. Doch in dieser Hinsicht vertraute Madame der Überredungskunst ihrer Tochter. Maurena war in solchen Dingen sehr geschickt.
Der Butler kam und brachte die Zeitung.
»Ich hab’ ja gewußt, daß sie dasein muß«, bemerkte Elèn hochmütig und griff gleichzeitig nach dem Blatt. »Im übrigen warte ich noch immer auf den Kaffee.«
»Aber er steht hier.« Der alte Mann wies auf die zierliche Kanne, deren Inhalt auf einem Stövchen warmgehalten wurde.
»Wollen Sie mir nicht einschenken?« erkundigte sich Elèn vorwurfsvoll.
»Doch, selbstverständlich. Naturellement.« Der Alte im schwarzen Anzug, der ihm längst zu groß geworden war, verneigte sich erneut. Nur mit dieser demütigen Haltung konnte er seine Chefin nachsichtig stimmen.
Zufrieden sah Elèn zu, wie Rosario etwas zittrig Milch und Zucker in ihre Tasse tat. »Nehmen Sie sich bloß zusammen, wenn später mein künftiger Schwiegersohn zum Frühstück kommt«, warnte sie.
»Si, si, Madame.« Rosario war dreiundachtzig. Daß er noch immer arbeiten mußte, lag daran, daß er auf Schloß Derceville nie viel verdient hatte. Diese bescheidenen Bezüge hatte Madame nach dem Tod ihres Mannes sogar noch gekürzt.
Elèn nippte an der Tasse, die sie ihres Erachtens sehr vornehm, mit zwei abgespreizten Fingern, zum Mund führte. Danach faltete sie die Zeitung auseinander und vertiefte sich in die Regionalberichte. Meldungen aus Politik und Wirtschaft interessierten sie nicht. Mehr schon die Klatschgeschichten aus Marbella, und davon gab es täglich eine ganze Menge.
»Das ist der Hammer!« stöhnte sie plötzlich in ihrer Muttersprache. »Mannomann, das haut den stärksten Eskimo vom Schlitten!«
Rosario eilte erschrocken herbei, denn er war überzeugt davon, die Ursache für die Entrüstung seiner Chefin zu sein. Zwar bemühte er sich nach Kräften Eléns Wünschen gerecht zu werden, doch klappte das häufig nicht.
Diesmal wurde der Butler allerdings gar nicht beachtet. Madame sprang auf, rannte Rosario fast um und lief weiter, ohne sich zu entschuldigen.
Geradewegs ins Zimmer ihrer Tochter lief sie. Auf die Idee, daß Maurena nicht allein sein könnte, kam die aufgebrachte Elèn nicht.
Sie hatte Glück. Mike hatte das Zimmer vor wenigen Minuten verlassen, um zu duschen und sich in seinem Zimmer, das ganz am Ende des Flurs war, umzukleiden.
Maurena lag faul im breiten Bett, hörte Musik und war überhaupt nicht erfreut, ihre Mutter zu sehen. Elèn kommandierte nämlich nicht nur die Hausangestellten, sondern auch die Tochter herum, weshalb es mit der eigenwilligen Maurena
häufig zu Auseinandersetzungen kam.
»Keine Sorge, ich komme schon zum Frühstück, du brauchst mich nicht aus dem Bett zu scheuchen.« So gesehen war Maurena froh, bald dem mütterlichen