»Nein!« plärrte Sara. »Gestern abend, als wir zurückgekommen sind, da hat er nur noch ganz leise ›ab in die Kombüse‹ gesagt und gleich den Kopf weggesteckt! Ganz zerrupft war er, und er hatte auch nichts gefressen. Kein einziges Körnchen! Mami, Kiki ist so traurig, weil er allein ist! Und die Wohnung hier ist doch ganz fremd für ihn!«
»Egal… er muß sich daran gewöhnen. Abends sind wir wieder da. Ich habe ja gleich gesagt: Lassen wir ihn in Köln bei Oma und Opa. Es wäre eben doch besser gewesen.«
»Das auch nicht!« schluchzte Sara und streichelte Kikis herabhängende Federhaube. »Mami, wir können ihn doch mit an den Strand nehmen. In seinem Käfig. Hauptsache, wir sind da, dann ist er sooo glücklich! Wir stellen ihn neben den Strandkorb, wo noch ein bißchen Schatten ist, und…«
»Ausgeschlossen. Die Leute lachen sich noch kaputt über uns, Sara… mit einem Kakadu an den Strand! Nein, nein.« Isabel wurde wirklich ärgerlich, und das kam selten bei ihr vor. »Sara, hör auf, mich zu nerven. Außerdem… wenn wir Kiki mitnehmen würden, dann müßten wir mit dem Auto zum Strand fahren, das ist ein großer Umweg, und der Parkplatz ist mir auch viel zu sonnig. Der Wagen steht dann den ganzen Tag in der Hitze. Es ist abgemacht, daß wir zu Fuß gehen, den kleinen Weg entlang, und vorbei an…«
»… dem Haus mit den Schafen und dem Pony!« Sara trocknete ihre Tränen und fügte hinzu: »Der Mann ist nett, Mami, findest du nicht? Ich meine, dieser Herr Wilms. Stimmt es, daß wir heute um vier Uhr hingehen?«
»Ja. Er will mir ein bißchen über die Gegend hier erzählen.«
Sara dachte nach.
»Mami… wenn ich dir verspreche, daß ich Kikis Käfig trage, ganz allein, darf er dann mit an den Strand?«
»Der Käfig ist zu schwer, Maus!« Isabel runzelte die Stirn. Ihre Tochter konnte sehr hartnäckig sein, das wußte sie. Und im Grunde genommen war Kiki ja auch wirklich zu bedauern… so allein den ganzen Tag! War er deshalb mit an die See gereist? Nein!
Und so kam es, daß Mutter und Tochter an Heini Hartbecks Kate klingelten… wenn man die rostige Türglocke überhaupt als Klingel bezeichnen konnte.
»Wir bauchen Ihren Rat, Heini!« sagte Isabel. »Haben Sie vielleicht ein altes Fahrrad zum Schieben oder irgendeinen Holzwagen, den Sie uns leihen könnten? Unser Kakadu kann nicht allein bleiben, er soll mit ans Meer. Und mit dem Auto fahre ich nicht extra hinunter.«
Sofort erschein ein freundliches Grinsen auf Heinis Gesicht.
»Kein Problem!« meinte er und lüftete kurz seine Schiffermütze, die er offenbar nie abnahm. »Einen kleinen Bollerwagen mit Deichsel hab’ ich noch im Schuppen stehen, Frau Sievers. Da paßt der Käfig gleich ein paarmal drauf, und das Badezeug noch dazu!«
Saras strahlende Augen waren Dank genug. So schnell er konnte, schob Heini Hartbeck den kleinen Deichselwagen aus dem Schuppen auf die Wiese. »Hier, meine Damen… bitte!«
Wenig später war eine seltsame Truppe auf dem kleinen Weg zum Strand unterwegs: Ein vergnügtes kleines Mädchen, eine sehr hübsche junge Frau in Shorts und T-Shirt und ein weißer Kakadu, der in den lautesten Tönen krächzte:
»Segel hissen! Gute Nacht. Wo ist der Kapitän? Luv und Lee!«
Am Strand war Kiki bald die große Attraktion. Selbst die Möwen kamen nahe heran, beäugten ihn neugierig und wichen erschrocken zurück, wenn er sie
anschnarrte: »Alle Mann von Bord!«
Jens Harmsen, der Junge, den Sara schon gestern getroffen hatte, war restlos begeistert.
»Der ist ja toll!« meinte er und steckte den Finger in Kikis Käfig. Vorsichtig knabberte der Vogel daran… Kiki liebte Kinder über alles. »Du, Sara, können wir ihm nicht noch was beibringen? Kiki ist toll, zum Beispiel, oder…«
»…super. Kiki ist toll und super. Ja, das muß er lernen.«
Wenigstens hatte Isabel Ruhe. Die Kinder spielten, der Kakadu war zufrieden – ein kleiner, gefiederter Strandurlauber – und auch der Strandwärter hatte nichts gegen seine Gegenwart einzuwenden.
»Vögel haben wir hier sowieso!« meinte er gutmütig und deutete auf die Möwen. »Da kommt es auf einen mehr oder weniger nicht an!«
Am frühen Nachmittag mußte Jens sich verabschieden, weil er seinem Vater helfen mußte.
»Morgen bin ich wieder da!« versprach der blonde Junge. »Wenn du willst, kannst du auch mal mit uns zum Fischen rausfahren, Sara. Ganz früh, so um halb fünf. Nur den Mund mußt du halten und still sein. Mein Vater sagt immer, reden vertreibt die Fische.«
Isabel, die im Strandkorb saß und in einer Zeitschrift blätterte, wiegelte sofort ab.
»In aller Herrgottsfrühe zum Fischen? Nein, das kommt nicht in Frage.«
»Ich möchte aber so gern, Mami!« quälte Sara. Ihr Pferdeschwanz wippte vor Begeisterung. »Bitte. Du kannst doch mitkommen!«
»Können Sie!« bestätigte Jens. »Mein Vater hat bestimmt nichts dagegen. Aber Sie dürfen auch nicht reden.«
Isabel mußte lachen. »Das läßt sich einrichten. Na gut… wenn ich auch dabei sein darf… in einem Fischerkahn auf dem Meer, das ist vielleicht nicht gerade bequem, aber interessant.«
»Toll, super, Mami!« jubelte Sara, und dann hockte sie sich vor Kikis Käfig und schärfte ihm ein: »Aufpassen, Kiki! Du mußt von jetzt ab super und toll sagen. Merk es dir!«
Gero Wilms staunte nicht schlecht, als Punkt vier Uhr nachmittags sein Besuch in ausgelassener Stimmung bei ihm erschien… samt Kakadu auf einem kleinen Holzwagen mit roten Rädern!
»Eine gute Idee!« meinte er lachend. »Ich muß sagen… das gefällt mir. Wenn wir Kikis Käfig jetzt ganz einfach mal auf die Wiese stellen, kann er sich in Ruhe die Schafe und das Pony ansehen.«
Es gab Kaffee, Apfelsaft für Sara und den Kuchen von Geros Haushälterin. Während sich das kleine Mädchen bald zu den Tieren gesellte, erzählte der sympathische Gastgeber Isabel Wissenswertes über Hohensand und die Umgebung, nannte Ausflugsziele und meinte dann nach einem kurzen Zögern: »Das eine oder andere könnte ich Ihnen selbst zeigen, Frau Sievers. Zum Beispiel das Eutiner Schloß. Auch Plön ist ein lohnenswertes Ziel. Man kann mit einem Schiff über den See fahren, ich wette, Sara wäre begeistert.«
»Ich nehme Ihr Angebot gern an!« hörte Isabel sich selbst sagen.
Etwas war sie über sich selbst erstaunt… schließlich kannte sie Gero Wilms doch noch gar nicht! Ein paar Worte gestern, die heutige Kaffeestunde… aber er kam ihr durchaus vertrauenswürdig vor.
Etwas schien er noch auf dem Herzen zu haben, denn er räusperte sich mehrmals.
»Frau Sievers… aufdrängen will ich mich natürlich nicht. Ich weiß ja nicht, ob Sie… ich meine, ob Saras Vater nachkommt oder…«
Isabel senkte den Kopf.
»Er kann nicht nachkommen!« sagte sie leise. »Mein Mann lebt nicht mehr. Nein, nein, entschuldigen Sie sich nicht, Herr Wilms, Sie konnten das nicht wissen…«
In knappen Worten berichtete sie von ihrem Schicksal, und Gero schwieg eine Weile.
»Bewundernswert, wie Sie Ihr Leben wieder im Griff haben!« erklärte er schließlich. »Ich glaube, daß Sie eine starke Frau sind… und daß Sie sehr viel Herz und Gefühl haben…«
Ein wenig verlegen fügte er noch hinzu: »Ich spüre das einfach. Es sind keine leeren Worte. Manchmal trifft man einen Menschen und bleibt gleichgültig. Manchmal aber…«
Er brach ab, und Isabel lächelte ein wenig. Wie nett er war! Ein erfolgreicher, gutaussehender Mann, der nicht die Spur von Arroganz zeigte!
Einen Moment lang war sie versucht, Rolf zu erwähnen… wohl oder übel würde er in Hohensand erscheinen, obwohl das