»Darf man fragen, was Ihnen durch den Kopf geht?« fragte Gero lächelnd. »Ist es etwas Wichtiges? Oder kann ich Sie stören?«
»Können Sie ruhig, Herr Wilms!« entgegnete Isabel und blickte ihn an. »Ich habe Urlaub und will keine Probleme wälzen.«
»Richtig so. Isabel… hätten sie etwas dagegen, wenn ich ab und zu meine Mittagspause unten am Strand bei Ihnen und Sara verbringe?«
Ihr Herz tat einen schnellen Sprung… sie freute sich, daß er sie beim Vornamen nannte, ohne lange zu fragen, ob es ihr recht war. Überhaupt kam es ihr so vor, als seien sie sich schon vor viel längerer Zeit begegnet, nicht erst gestern.
»Was sollte ich dagegen haben… Gero?« erwiderte sie lächelnd. »Vielleicht können Sie uns dabei helfen, eine richtige schöne Sandburg zu bauen, ich bin da ein bißchen ungeschickt.«
»Klar kann ich das!« stimmte er sofort zu. »Ich bin doch schließlich Architekt!«
Sie mußten beide lachen, und
Isabel stellte fest, daß sie sich seit langem nicht so wohlgefühlt hatte. Es war ein herrlicher Nachmittag. Sara war inzwischen auf den Rücken des braven Ponys gekletterte und trabte ein paar Runden die Wiese entlang, neugierig beobachtet von den beiden Schafen.
Ein bißchen neugierig war Isabel natürlich schon, was ihren netten Gastgeber anbelangte…
»Sie sind also ein eingefleischter Junggeselle?« fragte sie. »Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, ich will mich nicht in Ihr Privatleben mischen…«
Er lachte. »Aber Sie wüßten doch ganz gern Bescheid, nicht wahr? Nun, ich habe die Richtige immer noch nicht gefunden… obwohl ich inzwischen vierunddreißig bin. Ich will nicht leugnen, daß es die eine oder andere Bekanntschaft gab… aber es war nie etwas Ernstes.«
Isabel wurde ein wenig verlegen. »Sie sind mir doch keine Rechenschaft schuldig, Gero. Vielleicht hätte ich Sie gar nicht fragen sollen…«
»Warum nicht?« erwiderte er spontan. »Ehrlichkeit und Offenheit sind mir am liebsten. Ich habe nichts zu verbergen. Auch nicht, daß ich hin und wieder Besuch von einer Frau bekomme, die ich allerdings nicht gern bei mir sehe…«
Er seufzte und kam kurz auf Marita zu sprechen. Isabel hörte ihm aufmerksam zu. Daß Gero so viel Vertrauen zu ihr hatte, entzückte sie. Auch sie hätte ihm am liebsten nun doch von Rolf erzählt… aber wieder zögerte sie und beschloß, noch damit zu warten.
»Sie muß eine lästige Person sein, Ihre Bekannte!« meinte sie nach einer Weile. »Im Grunde genommen ist Ihre beiderseitige Beziehung doch beendet…«
»Stimmt. Aber darüber setzt sich Marita hinweg.« Gero seufzte noch einmal. »Lange genug habe ich ihre Blitzbesuche hier in Hohensand bei mir noch geduldig über mich ergehen lassen… aber jetzt ist endgültig Schluß.«
Er sah Isabel aus seinen umwerfend blauen Augen lange an und fügte dann leise hinzu: »Ich habe einen ganz besonderen Grund, diese Frau endgültig vor die Tür zu setzen…«
Eine Pause entstand, und plötzlich wurde es Isabel heiß. Dabei war es angenehm frisch in dem schattigen Garten.
Sara sprang fröhlich herbei, gerade im richtigen Moment. »Es ist toll hier!« jubelte sie und gebrauchte mal wieder ihr Lieblingswort. »Mami, auf der Wiese gibt es ganz viele Bäume mit grünen Kugeln dran. Werden das mal Äpfel?«
Gero mußte lachen. »Klar, und zwar sehr saftige! Die Apfelernte ist bei uns immer ein richtiges Fest. Thea, meine Haushälterin, kocht Saft ein oder Apfelmus, und einen Teil gebe ich einem Bauern im Nachbarort. Der hat eine kleine Schapsbrennerei. So komme ich jedes Jahr zu einigen Flaschen Apfelschnaps.«
»Davon wird man betrunken!« kicherte Sara. »Schnaps macht blau!«
»Nicht, wenn man nur ein oder zwei Gläschen trinkt!« meinte der junge Architekt schmunzelnd. »Dann ist er gut für den Magen. Oder zum Aufwärmen im Winter, wenn die Kälte in den Gliedern zwickt! Natürlich nur für Erwachsene. Kinder sollten sich mit heißem Apfensaft begnügen… vor allem Springmäuse wie du, Sara!«
Das kleine Mädchen amüsierte sich königlich. »Springmaus ist super! Mami sagt auch immer Maus zu mir. Das paßt zusammen!«
Und weg war sie, diesmal um die Ecke. Auch hinter dem großen Reetdachhaus gab es noch eine Menge zu sehen.
Als sich Mutter und Tochter später verabschiedeten, ging es auf den Abend zu. Kiki hatte die ganze Zeit über nur sehr leise und wohlerzogen ein paar Worte wie ›Klabautermann‹ und ›Kombüse‹ vor sich hingebrabbelt. Erstens war er müde und zweitens flößten ihm das Pony und die beiden Schafe großen Respekt ein.
Sara fielen ebenfalls fast die Augen zu. Ihre Wangen waren rot vor Begeisterung über den schönen Tag.
»Wir bleiben noch ganz lange hier, Mami, versprich es mir!« bat sie beim Abendessen. Heini Hartbeck hatte eine Portion Landrauchschinken und einen Korb Kirschen vor die Tür gestellt mit einem kleinen Zettel dazu: ›Guten Appetit!‹
Isabel nahm ihre Tochter in den Arm. »Wir sind doch erst angekommen, Kleines, und haben noch viel, viel Zeit.«
»Ich will aber nicht, daß dieser Rolf auch herkommt!« Sara ließ sich die Kirschen schmecken. »Bitte, Mami, sag ihm, er soll in Köln bleiben.«
»Das geht nicht, Mausi. Es war abgemacht, daß Rolf auch hier Urlaub macht. Er hat gestern abend noch angerufen und mir gesagt, daß er auf jeden Fall anreisen wird, der Termin steht noch nicht fest.«
Wie immer, wenn es sich um Rolf Berger drehte, verdüsterte sich Saras Gesichtchen.
»Wir brauchen ihn doch gar nicht. Wir haben doch jetzt den Herrn Wilms. Er hat gesagt, ich darf ihn einfach Gero nennen, weil er auch nicht Fräulein Sievers zu mir sagt, sondern Sara…«
Isabel lachte. »Humor hat er, das muß man ihm lassen. Ich freue mich auch, Saralein, daß er uns ein bißchen die Gegend zeigen will. Aber deshalb können wir Rolf doch nicht einfach den Stuhl vor die Tür setzen.«
Sara zog einen Flunsch.
»Na gut… aber wenn er kommt, darf er nicht lange bleiben. Mami… du heiratest ihn doch ganz bestimmt nicht, oder?«
Isabel strich ihrer Tochter über den blonden Kopf und meinte nachdenklich: »Hm… nein. Rolf hat sich zwar schon große Mühe mit mir gegeben, und mit dir eigentlich auch, Kleines… aber wir passen einfach nicht zusammen.«
Warum Isabel auf einmal zu dieser Gewißheit kam… sie hätte es selbst nicht genau sagen können.
Klein-Sara jedenfalls war zufrieden und schlief rasch ein. Und während sie im Schlaf den Strand, die Möwen und eine ganze Schar Tiere vor sich sah, träumte ihre Mutter… von Gero aus dem Reetdachhaus.
*
Innerhalb der nächsten zehn Tage verschwand Saras trockener Husten völlig, und ihr Appetit wuchs. Bald war sie nicht mehr »spillerig wie eine Makrele«. Das hatte nämlich Heini Hartbeck anfangs gemeint. Immer wieder brachte er den beiden »Damen« im Haus Nummer drei etwas Eßbares vorbei: Landbrot, Eier frisch vom Bauernhof oder garantiert ungespritztes Obst. Er wußte eben genau, wo man diese einfachen, aber köstlichen Lebensmittel in bester Qualität bekommen konnte.
Unter Geros fachkundiger Leitung war eine prächtige Sandburg entstanden. Er nahm sich die Zeit, jeden Tag zwei Stunden mit Isabel und Sara am Strand zu verbringen. Verziert wurde die »Sarisaburg« mit Muscheln, die Jens Harmsen gesammelt hatte, Saras neuer Freund.
»Sarisaburg«, einfach toll, fand Sara. Eine Kombination aus ihm und Mamis Namen! Toll und super. Bloß Kiki erwies sich als stur und dachte gar nicht daran, die beiden neuen Worte von sich zu geben. Er krächzte die Möwen in der Seemanssprache