Aber der Zwerg blieb hartnäckig.
»Wir brauchen trotzdem einen Sheriff. Sehen Sie, Wyatt, das Gipsgesicht sitzt im Jail, und –«, flüsternd fügte er hinzu. »Bennie sitzt in meinem Stall. Wer soll die beiden Halunken morgen vormittag vor den Richter führen?«
»Dafür werden sich schon ein paar Männer finden.«
»Aber trotzdem braucht Ellsworth einen Sheriff.«
»Ich bin keiner, Mister Black.«
»Noch nicht. Aber Sie könnten dazu ernannt werden. Ihr Probestück als Hilfs-Marshal haben Sie ja gestern bereits abgelegt. Sie können sich das aussuchen. Vielleicht wird das County Sie zum Sheriff ernennen, dann haben Sie den ganzen Bezirk unter sich. Oder der Mayor fragt beim Gouverneur an, ob er Sie als Town-Marshal einstellen kann. Die Aufgaben bleiben die gleichen.«
»Ich weiß.«
»Sehen Sie«, meinte der Kleine, »drüben sitzt der Mayor am Tisch; er wartet darauf, daß ich ihn rufe. Der ganze Stadtrat sitzt bei ihm. Die Leute sind einstimmig für Sie, Wyatt.«
Der Missourier stand auf. »Ich werde es mir bis morgen vormittag überlegen.« Er ging hinaus.
Im Mietstall streichelte er den Hals seines treuen Ponys und machte anschließend noch einen Gang durch die Stadt. –
Am nächsten Vormittag, als Wyatt beim Frühstück saß, kam Black wieder herein.
»Mister Earp, ich bin schon da!«
Wyatt nickte. »Ich sehe es. Und draußen auf dem Vorbau warten die andern, nicht wahr?«
»Ja, woher wissen Sie das?« fragte der Schneider verdutzt.
»Ich kann es mir denken.«
»Sie müssen das verstehen, Wyatt, die Sache liegt uns am Herzen. Wir brauchen einen Friedens-Offizier. Das Gesetz hat es noch sehr schwer hier in dieser rauhen Stadt. Wir brauchen eine Respektsperson. Einen Mann, den die Leute achten und fürchten. Und Sie wären genau der Richtige für uns.«
Wyatt blickte nachdenklich auf seine Hände.
In dem Augenblick, als er den Kopf hob und dem Schneider eine Antwort geben wollte, wurde die Tür aufgestoßen, und ein alter, hagerer Cowboy mit tiefdunklem Gesicht, hängendem Seehundsbart und zerfetzter Hutkrempe trat ein. Er ging schnurstracks auf den Missourier zu, tippte an den Hutrand und meinte mit seiner tiefen, rauhen Stimme:
»Es ist alles klar, Mister Earp.«
Wie von einer magischen Kraft gezogen, stand der Missourier auf. Er legte den Kopf ein wenig auf die Seite und fragte leise:
»Alles klar?«
»Yeah, der Rancher wartet mit Mac, Hal und den Rindern draußen vor der Stadt!«
Über das Gesicht des Missouriers glitt ein Sonnenstrahl, der eben durchs Fenster brach.
»All right, Ed, ich hole mein Gewehr!«
Er ging hinauf, holte sein Gewehr und sein Bündel, zahlte seine Zeche, ging hinüber in den Mietstall und holte sein Pferd.
»Augenblick noch, Ed!« rief er dem alten Vormann zu. Dann trabte er zurück zu dem Vorbau des Boardinghauses.
Da stand der Schneider, der Bürgermeister und sieben ältere Männer, die ihm entgegenblickten.
»Es tut mir leid, Mister Black«, sagte Wyatt. »Sie haben sich wirklich viel Mühe gegeben. Und wenn ich einmal Sheriff werden sollte, frage ich zuerst in Ellsworth an, ob der Job zufällig frei ist. Paßt gut auf die beiden Mörder auf. Ich habe einen Job bei Wyan Roopers angenommen. So long!«
Nur der kleine Schneider hatte so viel Herz, dem Davontrabenden nachzuwinken…
Wenn Ellsworth gewußt hätte, was für ein Sheriff ihm da für immer verlorenging, hätte er sicher ein anderes Aufgebot zusammengetrommelt, um den wertvollen Mann zurückzuhalten.
Viele Jahre später, wenn der Missourier längst der berühmte Marshal von Dodge City sein sollte, ein Mann, den man von den Schneebergen Kansas bis hinunter in die glühenden Sandstädte Mexikos kannte, sollte der kleine Schneider Black einmal in einer stillen Stunde zu dem kugeligen Mayor sagen: »Wenn ich damals Mayor gewesen wäre, wäre er heute noch hier, und unsere Kinder könnten in Boston, New York und San Franzisco erzählen, daß sie aus der Stadt kommen, wo Wyatt Earp Marshal ist…«
*
Schon seit Wochen schob sich die große Herde über die Savanne nach Nordwesten.
Vor Fort Morgan oben in Colorado schlug Wyatt dem Rancher eine dreitägige Rast vor.
Nervös kratzte sich der staubbedeckte Wyan Rooper das Kinn. Er preßte die Augen zusammen und plinkerte in die untergehende Sonne.
»Können wir uns denn einen so langen Aufenthalt leisten, Wyatt?«
»Ich glaube schon.«
»Peshaur wird mit seiner Herde längst weit in Wyoming sein.«
»Sicher. Er hat den Treck von Ellsworth aus schnell eingeholt und wird jetzt oben in den Bergen sein.«
Der Rancher nahm den Hut vom Kopf und wischte sich über die heiße Stirn.
»Ich begreife nicht, wie Sie ihm zuvorkommen wollen.«
»Haben Sie Vertrauen, Mister Rooper. Wir schaffen es schon. Wenn es auch noch ein verdammt hartes Stück Arbeit ist!«
Selbst der Trail bis hier herauf war harte, schwere Treiberarbeit gewesen. Die fünf Männer sackten jeden Abend zu Tode erschöpft aus ihren Sätteln. Aber das Treib-System des Missouriers hatte sich bewährt. Niemand behielt einen festen Posten. Es ging immer rundum, so daß niemals einer allzulange den großen Staub schlucken mußte. Der schwarze Leitstier wechselte in ständiger Folge den Führer, der ihn mit dem Lasso am Sattel fest hatte. Trotzdem war schon das zurückgelegte Stück eine furchtbare Anstrengung gewesen. Und das Schlimmste lag noch vor ihnen: der Trail hinauf in die Berge.
Während der blonde Hal Holz für ein Lagerfeuer zusammentrug, zog Wyatt sich wieder in den Sattel.
»Wohin?« forschte der Rancher.
»Ich reite in die Stadt. Es gibt einige Dinge zu kaufen…«
»Kann ich mitkommen?« fragte der rote Mac, den wohl der Gedanke an einen erfrischenden Schluck Whisky leitete.
Wyatt blickte zu der Herde hinüber. Die Tiere standen ruhig da. Auch sie waren von dem langen Weg ziemlich erschöpft.
»Meinetwegen können Sie mitkommen.«
Die beiden ritten im leichten Trab auf Fort Morgan zu. Um das alte Fort herum hatte sich in den letzten fünf Jahren eine kleine Stadt angesiedelt.
Die beiden staubbedeckten Männer ritten in die Mainstreet, als die Sonne unterging.
Als Wyatt am Sheriff Office vorbeiritt, hielt er an. Er fixierte ein kleines Plakat, das auf der Türfüllung angebracht war.
Dann stieg er vom Pferd, warf Mac seine Zügelleine zu und ging auf das Office zu.
Er sah es, noch ehe er die unterste Stufe der Vorbautreppe erreicht hatte. Zwei fettgedruckte Namen sprangen ihm entgegen: Ben Thompson und Abraham Clinholm, gesucht wegen Mordes.
Wyatt wischte sich über die Augen.
Die beiden waren also entkommen! Und wahrscheinlich schon seit langem, sonst hätte der hiesige Sheriff den Steckbrief bestimmt noch nicht gehabt.
Wyatt ging zu seinem Kameraden zurück.
Der blickte ihn fragend an. »Was Besonderes?«
Der Missourier schüttelte den Kopf. »Nichts Besonderes.«
Da hatte er nun den Spieler und den gefährlichen Revolverschwinger unter Einsatz seines Lebens festgenommen und den Ellsworthern sogar die Arbeit des Einsperrens abgenommen.