Und nun sah sie die Diamantkette am Hals einer vollkommen Fremden, die sie mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit trug.
Kelly erinnerte sich, dass sie nicht in der Lage gewesen war, etwas zu unternehmen. Und hätte Grace nicht ganz resolut eingegriffen, hätte sie die Fremde vermutlich sogar entwischen lassen, die allerdings nicht den Eindruck gemacht hatte, etwas zu tragen, was ihr nicht gehörte.
»Die schnappen wir uns«, hatte Grace gerufen und sie zu der Frau gezogen, die um ein kurzes Gespräch gebeten und weggezerrt, ehe die hatte antworten können.
Als sie in einer ruhigeren Ecke standen, hatte Grace es auch übernommen, den Sachverhalt aufzuklären und sich ohne weitere einleitenden Worte erkundigt, woher sie die Kette habe.
Die Rothaarige hatte ziemlich frech reagiert und sich wieder entfernen wollen.
Da war auch sie aus ihrer Lethargie erwacht und hatte mit erstaunlich ruhiger Stimme gesagt, dass die Kette ihr gehöre, dass sie einmalig auf der ganzen Welt sei und man nun die Polizei holen wolle, die den Diebstahl aufklären und ihr ihr Eigentum zurückgeben solle. Polizei … Diebstahl … Das hatte die Frau panisch gemacht, und da hatte sie angefangen wie ein Wasserfall zu plaudern.
Wäre Grace nicht an ihrer Seite gewesen, vermutlich wäre sie zusammengebrochen, denn es war so ungeheuerlich, was da zutage gekommen war …
Die Erinnerung übermannte sie schmerzhaft. Kelly schloss die Augen, biss sich auf die Lippen. Das war der Augenblick des Absturzes gewesen, das Zerbersten ihrer Träume, des Schmerzes zu wissen, von Anfang an die Belogene und Betrogene gewesen zu sein.
Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten, wenn sie an Mandy dachte. Um ein schönes Leben zu haben, hatte sie von Anfang an mitgemacht bei dieser entwürdigenden menage a trois.
Den Schmuck hatte sie zufällig entdeckt, und da sie davon ausgegangen war, dass Jim ihn für sie gekauft hatte, war für sie nichts dabei gewesen, ihn bei einem solchen gesellschaftlichen Anlass auch zu tragen.
Die Wege des Schicksals sind unergründlich …, wieder so einer von den Sprüchen ihrer Freundin. Doch dem konnte man nicht widersprechen.
Sie war nur zufällig zu der Vernissage gegangen. Mandy hatte den Schmuck zufällig entdeckt und ihn getragen.
Und dadurch war der Stein ins Rollen gekommen, dass er vieles mitgerissen und tiefe Wunden hinterlassen hatte, nun, dagegen konnte man nichts machen.
Kelly hatte ihren Schmuck wieder, doch um welchen Preis! Würde sie jemals wieder unbefangen und offen einem Mann gegenübertreten können?
Würde sie nicht in jedem einen Jim Adams sehen?
Aus Angst davor, mit der Polizei in Berührung zu kommen, hatte Mandy wirklich gesungen wie ein Vögelchen und den ganzen gemeinen Betrug erzählt.
Also, diesen Spruch von wegen …, die Zeit heilt alle Wunden, würde Kelly nun nicht unterschreiben. Zwei Tage vor der Hochzeit die Hölle zu erleben. So hartgesotten konnte niemand sein, der das Kapitel des Lebens abschloss und eine neue Seite aufschlug, um eben neu zu beginnen.
Sie konnte es nicht, auch nicht, obwohl Grace und ihre Eltern sich rührend um sie bemüht hatten.
Schon allein die Peinlichkeit! Eine große Hochzeit! Ein gesellschaftliches Ereignis erster Güte! Und dann ein … April, April, die Hochzeit findet nicht statt.
Die Mortimers waren, vielleicht auch, weil sie sehr großzügig waren und ihnen all ihr Geld, all ihr Besitz niemals zu Kopf gestiegen waren, sehr beliebt und angesehen.
Doch Kelly war fest davon überzeugt, dass so mancher sich ins Fäustchen lachte, dass ihrer einzigen Tochter »so etwas« widerfahren war.
Den Grund für die Absage der Hochzeit hatten sie nicht genannt, doch sofort nachdem das publik geworden war, hatte die Gerüchteküche angefangen zu brodeln.
Mitleidige Blicke … Unverholene Schadenfreude … Häme … Kelly hätte es nicht ertragen, und deswegen war es schon richtig gewesen, sich erst einmal unsichtbar zu machen und mit unbekanntem Ziel abzureisen.
Mochte Grace es nun Flucht nennen, für sie war es Selbstschutz und die Chance, wieder zu sich, zu ihrer Mitte zu finden …
*
Kelly war gefahren und gefahren, als sei der Leibhaftige hinter ihr her. Während einer Tankpause hatte sie einen Kaffee getrunken und sich aus einem Automaten ein grässlich schmeckendes Sandwich mit Putenfleisch geholt.
Dann war sie wieder losgefahren bis die Straße vor ihren Augen angefangen hatte zu flimmern, bis sie ihre das Lenkrad umklammernden Finger nicht mehr spürte und ihr Nacken steif war und höllisch schmerzte. Es ging nicht mehr!
Nachdem sie zu dieser Erkenntnis gelangt war, hatte sie auch überhaupt keine andere Wahl mehr, sondern steuerte ein kleines Hotel an, das ziemlich einsam in einem Niemandsland zwischen Blackham Market und Dorsey lag, und den ein wenig irreführenden Namen »The Crown« trug.
Krone brachte man mit königlich in Verbindung, und königlich war an diesem Haus nun wirklich überhaupt nichts. Es sah eher so aus, als trotze es zwar Sturm und Regen, die bestimmt häufig über es hinwegfegten, habe aber kaum eine Chance auf ein Überleben, wenn nicht bald mit Restaurierungsarbeiten begonnen würde.
Als Kelly auf den Parkplatz gefahren war, hatte sie gewusst, das »The Crown« genau das Richtige für sie war.
Das Haus spiegelte von außen das wider, wie es in ihrem Inneren aussah.
Desolat, zerzaust, gebeutelt, aber mit einem guten Fundament.
Die Mortimers stiegen normalerweise in ganz anderen Häusern ab, doch Kelly hatte sich vom ersten Augenblick an geborgen gefühlt.
Das lag ganz gewiss an der jungen Wirtin Rosalind Scott, die klein, sommersprossig, rothaarig, zielstrebig und unglaublich zäh war.
Ihr war schon bewusst gewesen, auf was sie sich da einließ, als sie »The Crown« von ihren Eltern übernommen hatte.
Es war eine hundertprozentige Umstellung ihres Lebens gewesen, das leicht, unbeschwert, erfolgreich verlaufen war.
Ein Leben, dem sie manchmal jetzt noch nachtrauerte, wenn sie nachts nicht schlafen konnte, weil sie nicht wusste, wie sie ihre Rechnungen oder dringend notwendige Reparaturen am Haus ausführen lassen sollte.
Das hatte sie offen zugegeben, doch sie hatte auch gesagt, dass sie den Schritt dennoch nicht einen Augenblick lang bereut hatte und es wieder tun würde, auch, weil sie überhaupt keine andere Wahl hatte.
Vor ihr waren es vier Generationen gewesen, die »The Crown« mehr oder weniger erfolgreich geführt hatten.
Zu verkaufen und vor allem für das riesige, dazugehörende Grundstück einen fetten Preis zu kassieren, käme Rosalind nie in den Sinn.
Es war schon beeindruckend, wie sie kämpfte, und dennoch verlor sie nie ihren Humor, und sie war eine ganz hervorragende Wirtin, die alles für ihre Gäste tat, nur gab es davon zu wenige.
Das Grundstück war in seiner Ursprünglichkeit belassen worden und bestand aus Gras, üppigen Ginster- und Wacholderbüschen.
Riesige Gesteinsbrocken hatte man niemals weggeräumt, sie streckten sich nackt und kalt dem Licht entgegen, während andere zugewuchert waren und sich als grüne Hügel präsentierten.
Das Grundstück erstreckte sich bis zum Meer, wo riesige Wellen unermüdlich gegen den Felsen krachten und die Gischt nach oben spritzen ließen.
Vor und hinter den Klippen gab es Strände, die malerisch schön waren und relativ geschützt lagen. Nur wurden sie nicht genutzt, sondern verwilderten, wurden zugemüllt von dem Strandgut, das ständig angespült wurde, um das sich, außer den Möwen, niemand kümmerte. Die Möwen allerdings