Inhalt
Was vor ihr lag, war ein Grabstein! Da alles Mögliche an Land gespült wurde, warum nicht auch ein Grabstein, den jemand, weil er nicht wusste, wohin damit, einfach ins Meer geworfen hatte. Das war es nicht, was Kelly erschütterte, so sehr, dass sie sich erst einmal in den feuchten, steinigen Sand fallen lassen musste. Man konnte den Stein einer Person zuordnen. Es stand ein Name darauf, was auch nichts Außergewöhnliches war. Und es gab ein Geburtsdatum und den Sterbetag. Kelly spürte, wie sie einen ganz trockenen Mund bekam. Sie starrte wie ein hypnotisiertes Kaninchen auf den Stein, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie die Ungeheuerlichkeit begriff. Es war der Grabstein einer Kelly MacCready. Nicht nur das, sie hatte, genau wie sie, am 16. September Geburtstag, nur dass diese Kelly vor hundert Jahren das Licht der Welt erblickt hatte ..., und 25 Jahre nach der Geburt gestorben war. Kelly ... 16. September ... Das allein war es nicht, es gab noch eine Gemeinsamkeit. Sie war 25 Jahre alt, und wenn das jetzt ein Omen sein sollte, dann hatte sie nicht mehr lange zu leben!
»Flucht ist kein Ausweg!« Kelly Mortimer hatte noch sehr gut die Stimme ihrer Freundin Grace im Ohr, als sie ihr von der Reise ohne Ziel erzählt hatte. Auch jetzt noch verspürte sie nichts als Bitterkeit.
Grace hatte gut reden, dachte Kelly, schließlich hatte sie nicht zwei Tage vor der geplanten und ersehnten Hochzeit erfahren müssen, dass ihr Glück, ihre Zukunft nichts als ein Lügengebäude gewesen waren und Jim Adams nicht einen Augenblick lang sie gemeint hatte, sondern das Geld, das sie einmal von ihren Eltern erben würde.
Sie war auf seine Beteuerungen, auf seine Liebesschwüre hereingefallen, dabei hatte es vor ihr diese schreckliche Mandy gegeben.
Sie hatten während der ganzen Zeit eine Beziehung zu dritt geführt.
Und Jim hatte nicht einen Moment lang daran gedacht, seine Geliebte aufzugeben.
Die beiden mussten sich doch schlapp gelacht haben, dass man eine Millionenerbin so einfach hinters Licht führen konnte.
Sie hatten es sich nett gemacht, waren zusammen gewesen, als Kelly ihren Bräutigam auf einer Geschäftsreise wähnte, und sie hatten sich sogar eine Eigentumswohnung in allerbester Lage angesehen, die ihr Liebesnest werden sollte, von der Erbin finanziert.
Und das alles war geschehen, während sie noch auf der rosaroten Wolke des Glücks geschwebt war, selig, weil sie geglaubt hatte, in Jim Adams den Mann gefunden zu haben, der sie, Kelly, meinte und nicht den Mortimer-Goldfisch.
Nun, der Absturz war schrecklich gewesen und tat noch immer weh.
»Sei froh, dass das Schicksal es so gut mit dir gemeint und beizeiten die Augen geöffnet hat«, war die Reaktion ihrer Freundin gewesen, »er hätte dich ausgenommen wie eine Weihnachtsgans …, besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Ich konnte ihn nie leiden, mir war er zu glatt, und ehrlich gestanden, war er mir auch zu schön, und dabei fällt mir noch ein sehr treffender Satz ein – von einem schönen Teller isst man nicht.«
Ja, ihre Freundin Grace, die hatte auf alles eine Antwort und hatte auch immer einen Spruch parat.
Aber recht hatte sie. Wenn Kelly ehrlich war, musste sie das zugeben.
So richtig hatte sie Jim Adams nie durchschauen können, und er hatte auch nicht viel von sich preisgegeben, so stimmte das mit dem »glatt und schön sein« schon.
Auch ihre Eltern waren von ihrem künftigen Schwiegersohn nicht begeistert gewesen und hatten nur beide Augen zugedrückt, weil es ihr Wunsch war, dass ihr einziges Kind glücklich werden sollte.
Und glücklich war sie gewesen.
Zumindest hatte sie sich das eingeredet, und Jim hatte sich ja auch voll ins Zeug geschmissen. Sie seufzte. Warum grub sie die alten Klamotten immer wieder aus?
Warum konnte sie nicht loslassen? Noch einmal wollte sie das Ende durchleben, und dann würde sie einen Cut machen, wie mit einem scharfen Messer.
Und danach würde sie die Zeit mit Jim aus ihrem Leben streichen und alles daran setzen, ihn so schnell wie möglich zu vergessen, und seine grässliche Mandy auch.
Eigentlich hätte sie so kurz vor der Hochzeit überhaupt keine Zeit gehabt, die Vernissage zu besuchen, die schon ein gesellschaftliches Ereignis war, weil der Maler total angesagt war und für seine Bilder schwindelerregende Preise erzielte.
Sie wäre gern mit Jim zur Vernissage gegangen, doch der hatte einen wichtigen Termin, über den er nicht sprechen wollte.
Und da sie Peter Dunn, den Künstler, sehr gut kannte, sogar eine Einladung von ihm persönlich erhalten hatte, und weil Grace darauf drängte, die sich solche Ereignisse niemals entgehen ließ, hatte sie nachgegeben, war mitgegangen und hatte es eigentlich nicht eine Sekunde lang bereut, bis … Kelly schloss die Augen. Es war so präsent, als sei es gerade jetzt erst geschehen.
Sie hatten ganz entspannt mit dem Künstler ein Gläschen Champagner getrunken, sich mit ihm über seine Erfolge gefreut, als Grace sie heftig am Arm gepackt hatte. So heftig, dass Kelly einen leisen Schmerzensschrei nicht hatte unterdrücken können.
Ihr ›ob sie verrückt geworden sei‹, hatte Grace überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, sondern mit ausgestrecktem Arm in eine Richtung gedeutet und gerufen: »Ich kann es nicht fassen, sieh dir das an.«
Kelly hatte in die Richtung geblickt, und sie hatte es nicht glauben können.
Eine ziemlich overdressed wirkende Frau mit auffallenden roten Haaren, vielleicht einer Spur zu viel Make-up im Gesicht, und die auch eine Spur zu auffallend war, trug eine atemberaubend schöne Kette.
Eine Kette, die es nur einmal auf der Welt gab, weil sie nur für die Mortimers angefertigt worden war und deswegen auch der Mortimer-Diamant genannt wurde.
Ihre Urgroßmutter war die erste Glückliche gewesen, die dieses außergewöhnliche Stück hatte tragen dürfen, und dann war er von Generation zu Generation weitergegeben worden. Nach dem Tod der Vorbesitzerin. Ihre Mutter hatte die Kette durchbrochen und ihr den Mortimer-Diamanten jetzt schon vermacht, damit Kelly ihn an ihrem Hochzeitstag tragen konnte und weil ihre Mutter auch der Meinung gewesen war, dass ein so erlesenes Stück an einem jungen glatten Hals auf jeden Fall besser aussah, als auf alter Haut.
Sie war überglücklich gewesen und entsetzt, als sie bemerkt hatte, das der Mortimer-Diamant verschwunden war, als sie ihn aus ihrer Schmuckschatulle nehmen wollte, um ihn zu ihrem Hochzeitskleid probeweise anzulegen.
Sie hatten alles in Bewegung gesetzt, um ihn zu finden und