SchattenSchnee. Nané Lénard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nané Lénard
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783827183903
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Ihm schwante Übles. „Kommst du dann heute Nacht überhaupt nach Hause?“

      „Keine Bange, einige Untersuchungen laufen noch. Da kann ich gar nichts beschleunigen. Über manche Details muss ich mir erst mal Gedanken machen“, erklärte die Rechtsmedizinerin. „Zum Beispiel, warum der Uterus einfach so im Bauchraum lag und keinen Fötus aufwies, man aber die oberen Hautschichten wieder fachmännisch vernäht hatte. Könnte also sein, dass ich sogar früher daheim bin.“ Sie zögerte. „Genau, und so mache ich das jetzt auch“, beschloss sie. „Meine Arbeit hier vor Ort ist erledigt oder angeschoben. Ich muss nachdenken. Ihr sicher auch. Also, bis dann! Wo ihr mich notfalls erreichen könnt, wisst ihr ja.“ Sie schwieg einen kurzen Moment. „Notfalls, sagte ich! Nicht, dass ihr mir prompt ein weiteres Opfer präsentiert.“

      „Haben wir nicht vor“, versprach Niklas.

      „Bis später“, sagte Peter und wollte gerade auflegen, als Nadja noch „Tschüss, Wolf, bis bald!“ rief.

      „Ja, vielen Dank, wir sehen uns“, antwortete Wolf und lehnte sich mit seinen Händen auf Peters Schreibtisch, um ihn zu fixieren.

      „Was?“, fragte Peter leicht genervt, als er Wolfs undefinierbare Miene sah.

      „Da kommt verdammt noch mal was auf euch zu“, seufzte Wolf.

      „Wie soll ich das verstehen?“, brummte Peter. „Willst du dich jetzt wieder in dein Heim verziehen und uns alleine machen lassen?“

      „So in etwa“, grummelte Wolf zurück. „Ich habe Anwendungen, Therapie. Du verstehst? Es geht um meine Gesundheit. Ich will nicht ewig ein Krüppel bleiben, der im Rollstuhl sitzt.“

      „Danke, das war deutlich“, sagte Niklas und verließ den Raum. Nadine folgte ihm kopfschüttelnd mit bösem Blick auf Wolf.

      Der biss sich auf die Zunge. So ein Mist, das hätte er nicht sagen dürfen.

      „Niemand sagt, dass du diese Stunden nicht wahrnehmen sollst“, versuchte Detlef zu beschwichtigen, „aber vielleicht können wir uns darauf einigen, dass du definitiv mit im Team bist und uns deine Unterstützung zusicherst, soweit es dir möglich ist. Wir brauchen deine Erfahrung und Besonnenheit.“

      Peter lachte. „Besonnen war das jetzt nicht gerade, sondern beschissen. Aber wir haben auch leicht reden. Niemand steckt in deiner Haut. Uns allen geht es mehr oder weniger gut. Wir können normal leben. Trotzdem solltest du Detlefs Vorschlag, der uns allen aus dem Herzen spricht, überdenken. Dafür rede ich mit Niklas. Wenn sein Blutdruck wieder gesunken ist, wird er Verständnis für dich haben. Vielleicht trinkt ihr gelegentlich ein Bier zusammen, so von Mann zu Mann, nicht von Vater zu Sohn.“

      „Wenn ich ihn aus Nadines Armen loseisen kann“, sagte Wolf und zwinkerte den beiden Kollegen zu. „Die hätte mich am liebsten eben gefressen. Sprich lieber mit ihr. Und ja: Natürlich unterstütze ich euch. Das habe ich eben nicht so gemeint. Falsche Wortwahl sozusagen. Klar bin ich mit dabei. Was denkt ihr? Ich stecke schon viel zu tief drin. Es würde mich sowieso beschäftigen.“

      „Offiziell geht es natürlich nicht“, erinnerte Peter ihn und zwinkerte ihm zu. „Müssen wir vor der ollen Kukla geheim halten.“

      „Unsere Staatsanwältin wird doch hoffentlich nach ihrer Weltreise immer noch gute Laune haben und über solche nichtigen Kleinigkeiten hinwegsehen“, witzelte Detlef.

      Wie abgesprochen schüttelten Peter und Wolf gleichzeitig den Kopf. Da waren sie sich einig.

      „Die?“

      „Nie im Leben!“

      „Na, dann will ich mal zum Abendbrot rollen“, beschloss Wolf.

      Peter sah auf die Uhr. Gerade mal halb fünf.

      „Sag nichts“, bat Wolf.

      „Wieso, Buletten oder Hähnchenschenkel kann ich zu jeder Tageszeit essen oder auch ein schönes paniertes Schnitzel.“ Peter kam ins Schwärmen.

      „Darf ich euch noch einen guten Rat geben?“, erkundigte sich Wolf vorsichtig. Es sollte sich nicht nach Chef anhören, denn das war er im Moment definitiv nicht.

      „Klar“, antwortete Detlef. „Immer gerne!“

      „Passt auf, dass nichts an die Presse dringt. Wir haben Advent. Wenn die erst spitzkriegen, dass die Tote wie ein Rauschgoldengel drapiert war, gibt es wilde Spekulationen. Glaub mir, das solltet ihr in eurem eigenen Interesse lieber verhindern. Sonst rennen sie euch hier die Bude ein.“

      „Wir wissen aber noch nicht, wer sie ist“, wandte Peter ein.

      „Schöpft erst mal alle anderen Quellen aus, bevor ihr die Medien um Hilfe bittet“, schlug Wolf vor. „Das könnt ihr notfalls immer noch machen.“

      „Okay“, sagte Peter leichthin und ahnte nicht, dass es anders kommen sollte.

      Die Kräuterhexe

      Am noch früheren Morgen war nämlich schon Sissy Schulte mit ihrer Katze Miss Marple durch den Herminenpark gegangen. Das nach der bekannten Detektivin benannte Tier war in Richtung Gebüsch gesprungen und hatte dort mit den Locken des Rauschgoldengels gespielt.

      Schnell hatte Sissy ihre Katze dort weggenommen und war noch einen Moment stehen geblieben, um das Werk eines unbekannten Performance-Künstlers inbrünstig zu betrachten. Er hatte wohl schon mit seiner Adventsdekoration begonnen. Davon war gar nichts in der Zeitung zu lesen gewesen, wie schade, dachte sie. Vielleicht hatte der Himmel einen Engel geschickt. Die Welt brauchte mehr als einen, fand sie.

      Nie im Leben wäre sie darauf gekommen, dass hier eine Tote vor ihr lag. Die gute Sissy hatte einen an der Waffel, wie ihre Nachbarn am Südharrl zu wissen glaubten, und das lag nicht nur daran, dass sie mit ihrer Katze Gassi ging. Nein, sie pflegte in ihrem Garten einen umfangreichen Kräutergarten, dessen Erzeugnisse sie behutsam pflückte und in Gefriertüten an ihre Nachbarn verteilte. Wer genauer hinsah, fand Löwenzahn, Giersch und Gänseblümchen neben Borschtsch oder Petersilie. Wer die unfreiwillige Gabe nicht sofort wegwarf, fischte sich ein paar Stängel Schnittlauch für sein Abendbrot heraus.

      Gelegentlich konnte man Sissy auch beim Trampolinspringen beobachten. Sie ruhte dann ganz in sich, als wäre sie in weiten Sphären unterwegs und hörte ätherische Musik über einen Lautsprecher, die den Leuten auf den Wecker ging, aber sie sagten nichts, weil die Frau ihnen leidtat.

      Es war nämlich so, dass der Mann von Sissy kürzlich gestorben war. Manche munkelten, dass sie nachgeholfen hatte, doch das war sicher nur ein böses Gerücht. Fakt war, dass sie nicht alle Steine auf der Schleuder hatte. Jeder merkte es sofort, der mit ihr sprach. Alles an ihr war langsam und bedächtig. Beinahe schien es so, als bewege sie sich grundsätzlich nur im Zeitlupentempo, einschließlich ihrer Lippen. Dadurch kam man sich selbst bescheuert vor, denn sie sprach mit einem, wie mit einem minderbemittelten Kind. Wahrscheinlich tat man ihr unrecht, und sie war nur ein armes, einsames, altes Weib. Aber so sind die Menschen nun mal. Alles Andersartige wird misstrauisch beäugt. Und so wurde Sissy Schulte wegen ihres seltsamen Verhaltens und ihrem Hang zu speziellen Pflanzen hinter vorgehaltener Hand nur die „Kräuterhexe“ genannt.

      Doch so harmlos sie auch wirkte, eins konnte sie dennoch: Sich umfangreich beschweren! In diesem Fall war es ihr Nachbar Momo, der die Salve abbekam – in langatmigem, leierndem Tempo.

      Das könne doch nicht sein, dass da Kunstwerke im Herminenpark ausgestellt würden und die Öffentlichkeit nichts davon mitbekäme, lamentierte sie an seiner Haustür in der Schillerstraße. Momo Dietsch wusste überhaupt nicht, wie ihm geschah, versprach aber, die Angelegenheit umgehend in Augenschein zu nehmen. Er selbst hatte nicht das Geringste davon gehört.

      „Um wie viel Uhr haben Sie das Kunstwerk denn entdeckt?“, fragte er mit einem Blick auf die Uhr und unterdrückte ein Gähnen. Es war eben erst halb neun, und er hatte bis tief in die Nacht an diversen Reportagen geschrieben.

      „Muss so halb sechs gewesen sein“, informierte ihn die Kräuterhexe.

      „Haben Sie vielleicht ein