SchattenSchnee. Nané Lénard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nané Lénard
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783827183903
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der Durchtrennung der Arterien und Venen nicht weiter beachtet hatte? Nadja hatte zwar auf den äußeren Gefäßwänden Zeichen gefunden, die den Einsatz von Klemmen erklären würden, aber keine mehr im Bauchraum entdeckt. War der Tod des Embryos, nicht der der Mutter gewollt gewesen? War etwas schiefgegangen?

      Variante B: Von der Schwangerschaft war noch nichts bekannt gewesen. Sie war einem Irren zum Opfer gefallen.

      Variante C: Sie war eine Prostituierte, die man zu einem unseriösen Schwangerschaftsabbruch im osteuropäischen Ausland genötigt hatte, aber warum lag sie dann im Herminenpark?

      Doch so sehr sei auch grübelte, Nadja fand keine sinnvolle Lösung für das Heraustrennen einer Gebärmutter, die man dann doch an ihrem Platz gelassen hatte, ohne zu wissen, was sich darin befand. Es war auch aberwitzig, dass man die Bauchdecke danach wieder mit einer Naht geschlossen hatte. Warum war das geschehen?

      Noch konnte Nadja nicht sagen, ob sie post mortem erfolgt war. Ihrer Meinung nach hätte die Frau aber mit dem Entfernen des Uterus ausbluten müssen. War das nicht geschehen, wusste sie im Moment auch nicht weiter. Es war ein wenig schwierig mit der Geduld, wenn man unbedingt eine schnelle Lösung finden wollte.

      Ihre Gedanken schweiften ab zu den schwach entwässerten Zellen, zu der Blutleere und der Substanz. Sie tappten noch völlig im Dunklen. Auch draußen war es schwärzeste Nacht. Dichte Schneewolken verbargen jegliches Licht, und irgendwo gab es jemanden, der nicht verstand. Nicht, wo er war, nicht, was geschah, während ein anderer bangte.

      Auch Wolf Hetzer lag wach. Er versuchte, das große Ganze zu sehen und hatte vor seinem geistigen Auge eine schöne Schwangere, die ihm plötzlich das Bild einer Mutter Gottes auf einem Altarbild suggerierte. Vielleicht war das der Schlüssel? Möglicherweise sollten sie diese Verbindung erkennen. Die Frau, die vor ihnen gelegen hatte, war eventuell nicht als Engel drapiert worden, sondern als Mutter Maria mit dem Jesuskind. Wo aber war dieses Kind, das für den Verursacher des Stilllebens so eine große Bedeutung haben musste, wenn er richtig lag?

      Ein neuer Tag

      Der nächste Morgen begann nicht für jeden aus dem Team gleich.

      Während Nadja und Wolf übernächtigt aus den Federn gestiegen waren, hatte Peter wie ein Baby geschlafen. Auch Niklas und Nadine konnten auf eine gute Nacht zurückblicken. Sie hatten zwar noch lange über den Fall gerätselt, waren dann aber Arm in Arm in Löffelchenstellung eingeschlafen, aus der sie in den Morgenstunden genauso wieder aufwachten.

      Moni schlief in Todenmann derzeit sowieso schlecht. Ohne Wolf an ihrer Seite fühlte sie sich nicht wohl. Die Geborgenheit fehlte. Am meisten jedoch störte sie die Stille. Wenn ihr Verlobter nicht an ihrer Seite schnarchte, schreckte sie oft aus dem Tiefschlaf hoch. Glücklicherweise hatte sie die Hunde Leo und Ole überreden können, rechts und links neben ihrem Bett in komfortablen, viskoelastischen Körbchen zu schlafen. Das sorgte für die notwendige Geräuschkulisse und milderte die Einsamkeit. Wie sehr freute sie sich auf Weihnachten, wenn Wolf endlich wieder nach Hause kommen würde.

      In Kleinenbremen stand Peter Kruse unter der Dusche, während sich seine Nadja einen Kaffee eingoss und ein paar Brote schmierte. Sie wusste nicht, wie lang der Tag im Institut werden würde. Aber sie wollte vorbereitet sein, wenn er mehr Zeit in Anspruch nahm.

      „Schatz, was gibt’s denn heute Abend zu essen?“, rief Peter von oben, während er sich die Haare abrubbelte.

      „Was auch immer du Gesundes kochst“, erwiderte Nadja und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ich erinnere dich, dass heute unser vegetarischer Tag ist. Bestimmt bin ich länger im Institut als du auf der Dienststelle. Lass dir was Schönes einfallen.“

      „Scheiß Körner- und Salatfresserei“, schimpfte Peter oben vor sich hin, aber er musste durchhalten. Er hatte zähneknirschend zugestimmt, als sie sich auf einen fleischfreien Tag geeinigt hatten. Zwei waren überhaupt nicht infrage gekommen.

      „Mach doch einen Auflauf“, schlug Nadja vor, der das Fluchen nicht entgangen war.

      „Wie soll ich denn Moussaka ohne Fleisch machen?“, stöhnte Peter und kam in die Küche. „Das schmeckt doch nach nix.“

      „Doch, lass einfach das Hack weg“, sagte Nadja. „Es hat genug Pfiff durch die Zutaten und dann noch die Käsekruste. Alles perfekt.“

      „Das ist wie Sahneheringstopf ohne Heringe“, meckerte Peter weiter. „Isst du da auch nur die Soße und das Gestrüpp aus Zwiebeln und Gurken?“

      „Hmm, darauf hätte ich auch mal wieder Appetit, aber bitte mit Kartoffeln“, bat Nadja.

      „Ohne Fisch?“, fragte Peter erschrocken.

      „Nein, natürlich nicht. Fisch ist immer erlaubt“, erwiderte Nadja. „Ist ja in dem Sinne kein Fleisch.“

      Peter tickte sich an die Stirn. „Du legst dir das auch so zurecht, wie es dir passt. Nur weil die Viecher keine Beine haben, ist ihr Fleisch kein Fleisch.“

      „Bitte schneid noch zwei frische Äpfel rein“, sagte sie und überhörte sein Geleier, obwohl sie es nur mühsam unterdrücken konnte, ihn darauf hinzuweisen, dass sie auch keine Lungen, sondern Kiemen hatten, dass sie unter Wasser lebten und sich anders als Landtiere ernährten.

      „Manchmal kannst du ganz schön penetrant sein“, behauptete Peter. „Ich weiß auch nicht, ob Moussaka mit Äpfeln anstatt Hack schmeckt.“ Er grinste frech.

      Aber Nadja schüttelte nur den Kopf, gab ihm einen Kuss und verschwand mit ihrer Brotdose in Richtung Agaplesion.

      Im Vehlener Großklinikum war Rechtsmediziner Enno schon bei der Arbeit und runzelte die Stirn, als Nadja durch die Tür kam.

      „Ich kapiere immer noch nicht, was es mit dieser Gebärmutter auf sich hat“, sagte er.

      „Meinst du, weil der Blutwert eine Schwangerschaft anzeigt, wir aber keinen Embryo gefunden haben?“, hakte Nadja nach.

      „Ja“, erwiderte er, „ich habe sogar schon in den Eileitern nachgesehen und im Bauchraum, falls sich was verirrt hat, aber: Fehlanzeige!“

      „Ah, da hast du mir echt was abgenommen. Genau diese Idee hatte ich heute Nacht auch. Das war das Erste, womit ich heute Morgen beginnen wollte, mit der Suche nach dem Fötus.“

      „Wir haben keinen“, bestätigte Enno noch mal, „umso verwunderlicher, weil es weitere Schwangerschaftsanzeichen gibt.“

      „Welche?“, erkundigte sich Nadja verwundert.

      „Laktation“, erklärte Enno. „Ich konnte Milch aus den vergrößerten Brustdrüsen drücken. Außerdem erkenne ich eine Dunklerfärbung der Warzen und Höfe. Normalerweise sind die bei diesem Hauttyp heller. Aber Letzteres ist eher eine Theorie. Ich habe es trotzdem schon oft bei Schwangeren gesehen. Ebenso verändert sich der Gesichtsausdruck, aber das ist wissenschaftlich nicht untermauert.“

      „Okay, nehmen wir mal an, sie war schwanger. Der Fötus könnte kürzlich abgegangen sein.“

      Enno schüttelte den Kopf. „Das müsste ja kurz vor dem Tod geschehen sein. Dann hätten wir das im Inneren des Uterus gesehen. Plazentareste, dickere Schleimhaut, Vergrößerung, zumindest marginal, wenn sie noch am Beginn der Gravidität war.“

      Nadja seufzte. „Gut, dann schauen wir erst mal nach, was das Labor herausgefunden hat.“

      „Mache ich“, versprach Enno. „Nimm du dir ruhig erst einen Kaffee, ich habe schon welchen gekocht.“

      Kurze Zeit später kam er wieder. Nadja fragte sich, was aus seinem Gesicht zu lesen war. Er wirkte betroffen.

      „Was ist?“, erkundigte sie sich.

      „Ich glaube, ich habe da was höchst Interessantes für dich.“

      „Das will ich hoffen.“

      „Wir hatten uns doch beide gewundert, warum die Gebärmutter unserer aktuellen Toten herausgetrennt, aber im Bauchraum belassen worden ist. Schöne Naht