Eine weitere wesentliche Grundidee der FEM besteht darin, die Knoten eines Tragwerks freizuschneiden und an den Knoten mithilfe des Prinzips der virtuellen Verrückungen bzw. der virtuellen Arbeit das Gleichgewicht zu formulieren:
(2.1)
Das Prinzip wird in Abschnitt 2.4.2 erläutert. Beispielhaft wird in Bild 2.2 der Knoten 4 des ebenen Rahmens betrachtet. Die Einzellastgrößen führen zur äußeren virtuellen Arbeit δWext, die Knotenschnittgrößen der angrenzenden Stabelemente zur inneren virtuellen Arbeit δWint. Dabei ist zu beachten, dass sich die Knotenschnittgrößen mit Querstrich ebenso wie die Lastgrößen auf das globale X-Z-KOS beziehen und sich entsprechend die virtuelle Arbeit mit den globalen Knotenverformungsgrößen ergibt. Die Richtungen bzw. Vorzeichen der Knotenschnittgrößen ergeben sich aus dem Gleichgewicht mit den Stabendschnittgrößen (Richtung wie die Lastgrößen!), die übrigens an beiden Elementenden mit den angegebenen Richtungen positiv definiert sind. Die daraus resultierende Vorzeichendefinition II für die Stabendschnittgrößen ist ein wesentlicher Bestandteil der FEM und der systematischen Bildung des Knotengleichgewichts.
Bild 2.2 Gleichgewicht am Knoten 4
Betrachtet man die aus den virtuellen Verrückungen
Da man das Gleichgewicht in analoger Weise an jedem Knoten eines Tragwerks bilden kann, erhält man für den ebenen Rahmen mit fünf Knoten in Bild 2.1 insgesamt 15 Bedingungen, durch die das Gleichgewicht des Rahmens erfasst wird. Die Forderung, dass an jedem Knoten eines Tragwerks die virtuelle Arbeit gleich null sein muss, ist ein zentraler Bestandteil der FEM.
Die Bedingungen für das Gleichgewicht an den Knoten reichen nicht aus, um die unbekannten Knotenschnittgrößen bestimmen zu können. Beispielsweise enthalten die 15 Gleichungen für den ebenen Rahmen mehr als 15 unbekannte Knotenschnittgrößen. Zur Lösung des Problems benötigt man daher eine weitere Grundidee. Dazu werden in Bild 2.3 ebenfalls beispielhaft das Stabelement 4 betrachtet und sechs Beziehungen zwischen den lokalen Stabendschnittgrößen und den korrespondierenden Verformungsgrößen aufgestellt. Ihre Herleitung auf Grundlage der virtuellen Arbeit gehört zum Kern der FEM und des Weggrößenverfahrens und wird in Abschnitt 3.2 für Stabelemente ausführlich behandelt. In Matrizenschreibweise lautet die Elementsteifigkeitsbeziehung unter Berücksichtigung der „Elementlasten“:
In Gl. (2.2) beziehen sich alle Größen auf das lokale x-z-KOS des Stabelementes. Die Transformation in das globale X-Z-KOS wird in Abschnitt 3.4 ausführlich behandelt; als Ergebnis erhält man:
Bild 2.3 Stabendschnittgrößen von Element 4
Bild 2.4 Transformation der lokalen Knotenverschiebungsgrößen von Stabelement 4 in das globale X-Z-Koordinatensystem
Eine anschauliche Interpretation von Gl. (2.3) gelingt mithilfe von Bild 2.4. Dort werden die lokalen Knotenverschiebungsgrößen von Stabelement 4
(2.4)
Bild 2.5 Gleichungssystem für den ebenen Rahmen in Bild 2.1
Für den ebenen Rahmen in Bild 2.1a erhält man das in Bild 2.5 dargestellte Gleichungssystem, das aus 15 einzelnen Gleichungen besteht, die den auf der linken Seite aufgeführten