Die Berechnungen und Nachweise müssen die gesetzlichen Anforderungen erfüllen und dem Stand der Technik entsprechen. Für Stahlkonstruktionen bilden die Normen DIN EN 1990, DIN EN 1991 und insbesondere DIN EN 1993 die wesentliche Grundlage. Tabelle 1.1 enthält eine Zusammenstellung der Nachweise zur Tragfähigkeit nach DIN EN 1993-1-1, [5].
Tabelle 1.1 Nachweise nach DIN EN 1993-1-1 zur Tragfähigkeit mit Ed ≤ Rd
Nachweismethode | Tragwerksberechnung ⇒ Beanspruchungen Ed | Querschnittsausnutzung ⇒ Beanspruchbarkeiten Rd |
NW 1 (sehr häufig) Querschnitte der Klassen 1 bis 3 | nach der Elastizitätstheorie ⇒ Schnittgrößen N, My usw. | nach der Elastizitätstheorie ⇒ Bemessungswert der Streckgrenze fy,Rd |
NW 2 (häufig) Querschnitte der Klassen 1 und 2 | nach der Elastizitätstheorie ⇒ Schnittgrößen N, My usw. | nach der Plastizitätstheorie ⇒ Ausnutzung der plastischen Querschnittstragfähigkeit |
NW 3 (selten) Querschnitte der Klasse 1 | nach der Plastizitätstheorie ⇒ Schnittgrößen nach der Fließ-gelenk- oder Fließzonentheorie | nach der Plastizitätstheorie ⇒ Ausnutzung der plastischen Querschnittstragfähigkeit |
NW 4 (selten) Querschnitte der Klasse 4 | nach der Elastizitätstheorie ⇒ Schnittgrößen N, My usw. | nach der Elastizitätstheorie unter Berücksichtigung des Beulens |
Die Verwendung einer Nachweismethode setzt voraus, dass die einzelnen Querschnittsteile (Stege und Gurte) die Druckspannungen aufnehmen können, so dass kein Beulen auftritt und eine ausreichende Rotationskapazität vorhanden ist, s. Abschnitt 5.1.2. Hilfen für die Überprüfung der c/t-Verhältnisse finden sich in Profiltabellen, s. z. B. [15]. Vollplastische Schnittgrößen für Walzprofile finden sich in den Profiltabellen von [15], Interaktionsbeziehungen und Nachweise mit dem Teilschnittgrößenverfahren im Abschnitt 5.1.2 und in [15] und [12].
Der Index „d“ bei Ed und Rd in Tabelle 1.1 kennzeichnet, dass die Beanspruchungen mit den Bemessungswerten der Einwirkungen zu berechnen sind und es sich um die Bemessungswerte der Beanspruchbarkeiten handelt. Auf die Berechnung der Beanspruchungen und Beanspruchbarkeiten wird im Abschnitt 1.4 „Lineare und nichtlineare Berechnungen“ näher eingegangen. In Tabelle 1.2 wird erläutert, wie die Nachweise in der Regel geführt werden.
Tabelle 1.2 Hinweise zur Durchführung der Tragfähigkeitsnachweise
Nachweismethode | Nachweise |
NW 1 (QK 1 bis 3) | mit Spannungen und der Streckgrenze bzw. dem Fließkriterium |
NW 2 (QK 1 und 2) | mit plastischen Grenzschnittgrößen bzw. Interaktionsbeziehungen |
NW 3 (QK 1) | nach der Fließgelenktheorie mit kinematischen Ketten oder schrittweise elastischen Berechnungen; nach der Fließzonentheorie mit EDV-Programmen |
NW 4 (QK 4) | mit Spannungen unter Berücksichtigung des Beulens |
1.2 Verfahren zur Schnittgrößenermittlung
Bekanntlich können die Schnittgrößen in statisch bestimmten Systemen mithilfe von Gleichgewichtsbedingungen und Schnittprinzipien ermittelt werden. Dies ist bei statisch unbestimmten Systemen nicht möglich und man benötigt daher andere Lösungsverfahren, wie z. B. das Kraftgrößenverfahren, das das klassische Verfahren der Baustatik ist. Es ist für die Handrechnung gut geeignet und sehr anschaulich, da es dem ingenieurmäßigen Verständnis unmittelbar zugänglich ist. Der Nachteil ist jedoch, dass man für die unterschiedlichen baustatischen Systeme stets einen neuen Lösungsansatz entwickeln muss und es darüber hinaus für viele Aufgabenstellungen gänzlich ungeeignet ist.
Bild 1.1 zeigt als Beispiel einen einfach statisch unbestimmten Biegeträger. Beim Kraftgrößenverfahren muss daher eine unbekannte Kraftgröße bestimmt werden. Danach kann der Momentenverlauf unter Verwendung der Gleichgewichtsbedingungen bestimmt werden. Ausgangspunkt des Verfahrens ist stets die Wahl eines statisch bestimmten Hauptsystems. Da man dabei mehrere Möglichkeiten hat, sind die beiden Systeme in Bild 1.1 ausgewählte Beispiele. Allgemein werden drei Verfahren für die Schnittgrößenermittlung unterschieden:
• Kraftgrößenverfahren
• Weggrößenverfahren → FEM
• Übertragungsmatrizenverfahren → FEM
Während beim Kraftgrößenverfahren die Kraftgrößen die Unbekannten des entstehenden Gleichungssystems sind, sind es beim Weggrößenverfahren die Weggrößen, d. h. die Verschiebungen und Verdrehungen, weshalb es auch Verformungsgrößenverfahren genannt wird. Wenn man die baustatischen Systeme in finite Elemente (Stabelemente) einteilt, ist das Weggrößenverfahren in hervorragender Weise für eine verallgemeinerte Formulierung geeignet und daher universell in einem weiten Anwendungsbereich einsetzbar. Ingenieurmäßig anschaulich ist es nicht und es ist stark mathematisch-mechanisch ausgerichtet, weil häufig große Datenmengen zu verarbeiten und große Gleichungssysteme zu lösen sind. Dies hängt natürlich vom statischen System und der FE-Modellierung ab.
Bild 1.1 Unbekannte Größen beim Kraftgrößen-, Weggrößen- und Übertragungsmatrizenverfahren für ein ausgewähltes Beispiel
Bild 1.1 zeigt beispielhaft die Anwendung des Weggrößenverfahrens. Unbekannte Größen sind bei diesem Verfahren die Verformungsgrößen in den Knoten, d. h. beim untersuchten Biegeträger die Verschiebung w und die Verdrehung φ. Pro Knoten treten also zwei Unbekannte auf. Für das Beispiel ergeben sich dann unter Berücksichtigung der geometrischen Randbedingungen eine bzw. 19 Unbekannte. Bei der FE-Modellierung mit zehn Elementen treten relativ viele Unbekannte auf (19). Vorteilhaft ist dabei aber, dass keine weiteren Handrechnungen erforderlich